Jul 6, 2023
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Bundeshaushalt: Für stabile Steuern nimmt Lindner höhere Sozilabeiträge in Kauf

Written by Frank Specht

Berlin Der Plan der Bundesregierung, den Bundeshaushalt teilweise auch zulasten der Beitragszahler zu konsolidieren, sorgt für erheblichen Missmut in der Wirtschaft und bei den Sozialversicherungen. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger nannte geplante Umbuchungen, die absehbar zu höheren Sozialabgaben führen werden, „unsozial“. Der Chef der Krankenkasse DAK, Andreas Storm, kritisierte, der Gesundheitsetat werde „zum Steinbruch für die Haushaltssanierung“.

Um seine Einsparziele zu erreichen, will Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf Vorschlag der Fachminister auch bei den Zuweisungen des Bundes an die Sozialkassen sparen. Damit kommen auf die Beitragszahler zumindest langfristig steigende Ausgaben zu – obwohl die Sozialabgaben mit 40,8 Prozent des Bruttoeinkommens bereits die kritische 40-Prozent-Marke durchbrochen haben. Bei Kinderlosen sind es wegen des Zuschusses zur Pflegeversicherung sogar 41,4 Prozent.

Nun will Lindner den sogenannten zusätzlichen Bundeszuschuss an die Rentenversicherung im Zeitraum 2024 bis 2027 um jährlich 600 Millionen Euro kürzen. Mit dem Zuschuss, der sich im vergangenen Jahr auf rund 29,1 Milliarden Euro belief, finanziert die Rentenversicherung Leistungen wie die Mütterrente oder den Grundrentenzuschlag, die nicht durch Beiträge gedeckt werden.

Zwar bleibe der Beitragssatz trotz der geplanten Kürzungen bis 2026 stabil bei 18,6 Prozent, heißt es dazu von der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV). Danach werde er aber schneller steigen als bisher kalkuliert. Die DRV kritisiert zudem, dass sich der Bund erneut bei der Rentenkasse bedient.

Denn bereits im vergangenen Jahr hatte die Regierung vier zugesagte Sonderzahlungen von je 500 Millionen Euro für die Jahre 2022 bis 2025 an die Rentenkasse nachträglich wieder abgeschafft. Mit der jetzt geplanten zusätzlichen Kürzung um 600 Millionen Euro hat die Rentenversicherung also im kommenden Jahr 1,1 Milliarden Euro weniger zur Verfügung.

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„Eine ständig steigende Steuerfinanzierung der Sozialversicherungen, die die absehbaren Beitragssatzerhöhungen auffängt, war nie eine Option“, sagt dazu der Wirtschaftsweise Martin Werding. Das werde jetzt sehr viel schneller deutlich als erwartet.

„In der jetzigen Spardiskussion werden die Finanzströme aber teilweise zulasten der Beitragszahler umgekehrt“, sagte der Bochumer Ökonom dem Handelsblatt. So laufe beispielsweise die Kürzung des zusätzlichen Zuschusses dem Grundsatz zuwider, dass der Bund der Rentenversicherung eigentlich alle versicherungsfremden Leistungen erstatten sollte.

Besonders hart trifft es die Pflegeversicherung, bei der es zu Monatsbeginn gerade erst eine kräftige Beitragssatzanhebung gegeben hatte. Da für das kommende Jahr eine Milliarde Euro Bundeszuschuss gestrichen wurde, will Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Zuweisung an den Pflegevorsorgefonds aussetzen. Dieser ist eigentlich dazu gedacht, mit einer Finanzreserve nötige Beitragssatzanhebungen abzufedern, wenn bei den geburtenstarken Babyboomer-Jahrgängen Pflegebedürftigkeit auftritt.

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„Während in der Rentenversicherung der Einstieg in eine Teilkapitaldeckung beschlossen ist, wird diese in der Pflegeversicherung wieder abgebaut“, kritisierte DAK-Chef Strom. Dieses widersprüchliche Vorgehen der Bundesregierung sei nicht zu vermitteln.

Insgesamt ist Lauterbachs Ressort am stärksten von der Kürzung der Bundesmittel betroffen. Statt wie im Koalitionsvertrag versprochen den Bundeszuschuss für versicherungsfremde Leistungen anzuheben und endlich kostendeckende Beiträge für die Versorgung von Bürgergeldbeziehern zu zahlen, setze der Bund bei der Krankenversicherung den Rotstift an, kritisierte der Vorsitzende des Verbands der Ersatzkassen (VDEK), Uwe Klemens.

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In der Konsequenz verkünde Gesundheitsminister Lauterbach, die Beitragssätze, die bereits auf einem Rekordniveau von durchschnittlich 16,2 Prozent lägen, im kommenden Jahr noch einmal zu erhöhen.

Allerdings zeigt Ökonom Werding auch Verständnis für die geplanten Kürzungen: „In der Kranken- und Pflegeversicherung werden Maßnahmen zurückgenommen, die die Systeme in der Krise stützen sollten“, sagt er. Das sei „eine zeitgemäße Normalisierung“, auch wenn die Mittel dort zurzeit besonders knapp seien, weil die Leistungen ohne Rücksicht auf die Finanzlage ausgeweitet wurden.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will ebenfalls den Bundesetat zulasten der Beitragszahler schonen. Denn arbeitsmarktpolitische Eingliederungshilfen wie beispielsweise Einstiegsqualifizierungen für unter 25-jährige Bürgergeldbezieher sollen ab 2025 nicht mehr vom Steuerzahler, sondern von den Beitragszahlern zur Arbeitslosenversicherung finanziert werden.

Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) gibt es aktuell 695.000 Bürgergeldempfänger im Alter von 15 bis 24 Jahre. Zusätzliche Ausgaben dürften der BA den Wiederaufbau der Rücklage erschweren, die als erforderlich erachtet wird, um künftige Krisen auf dem Arbeitsmarkt abfedern zu können.

Aus der Opposition kommt entsprechend Kritik an dem Vorhaben: „Um Steuermittel bei der Förderung von jungen Menschen einzusparen, werden Aufgaben verschoben, damit sie zukünftig von Beitragszahlern der Arbeitslosenversicherung bezahlt werden“, sagt der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Stracke (CSU). Damit sollten dauerhaft 900 Millionen Euro im Bundeshaushalt eingespart werden.

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Der Verschiebebahnhof von steuerfinanzierten Belastungen auf die Beitragszahler sei nichts anderes als eine versteckte Steuererhöhung durch die Hintertür, kritisiert Stracke. „In den kommenden Jahren werden die Beitragssätze für die Sozialversicherung ungebremst durch die Decke gehen.“ Das belaste ganz besonders die arbeitende Mitte der Bevölkerung und die Unternehmen – und das in Zeiten von Inflation und schwächelnder Konjunktur.

Handwerkspräsident Jörg Dittrich warnt davor, den Bogen zu überspannen: Weiter steigende Sozialabgaben wären für das personalintensive Handwerk eine große Gefahr, weil seine Leistungen dadurch an der einen oder anderen Stelle schlicht unbezahlbar würden, sagte er dem Handelsblatt. „Die Finanzierung unserer Sozialsysteme muss auf den Prüfstand. Leider traut sich da – wohl auch aus Rücksicht auf anstehende Wahlen – niemand heran.“

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