Jul 6, 2023
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ZDH-Präsident Jörg Dittrich: „Beim Heizungsgesetz ist viel Vertrauen verspielt worden“

Written by Thomas Sigmund

Berlin Das Handwerk braucht eine verlässliche Grundlage, wenn die Betriebe die Kunden über den Einbau einer Wärmepumpe oder einer zusätzlichen Dämmung beraten sollen. Dass das Heizungsgesetz nach der Intervention des Bundesverfassungsgerichts nicht wie geplant an diesem Freitag vom Bundestag verabschiedet werden kann, findet Handwerkspräsident Jörg Dittrich deshalb auch nicht so schlimm.

Denn viele Fragen sind weiter offen – und für den Dachdeckermeister aus Dresden gilt der Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“. Privat hat Dittrich noch eine Gasheizung. Aber in seiner Straße wurden bereits die Vorbereitungen für den Fernwärmeanschluss getroffen.

Herr Dittrich, am Freitag wollte der Bundestag eigentlich das Heizungsgesetz verabschieden, nun hat das Bundesverfassungsgericht das vorerst gestoppt. Ist das Gesetz Murks oder ein gelungener Kompromiss?
Wir haben von Beginn an gesagt: Dieses Gesetz braucht intensive Beratung; ein „Durchpeitschen“ verbietet sich. Mit dem Gesetz sollen schließlich für Jahrzehnte die Weichen für den Wärmebereich neu gestellt werden. Doch es waren nur wenige Tage eingeplant, um die Expertise der Verbände und aus der Praxis einzuholen. Gleiches gilt für die parlamentarischen Beratungen. Da ist viel Vertrauen verspielt worden. Immerhin enthält die jetzige Gesetzesfassung zwei Kernforderungen des Handwerks – Technologieoffenheit und die Verzahnung mit einer Wärmeplanung.

Bringt die Entscheidung und damit die weitere zeitliche Verzögerung nicht noch mehr Unsicherheit? Was bedeutet sie für das Handwerk?
Echte Planungssicherheit hätten wir auch noch nicht gehabt, wenn das Gesetz am Freitag unter Dach und Fach gebracht worden wäre. Denn eine ganze Reihe von Fragen ist immer noch offen – etwa zur Förderkulisse, die die Wärmewende flankieren soll, und deren Finanzierung. Und auch das eigentliche Wärmeplanungsgesetz liegt noch nicht vor.

Die Politik wäre jetzt gut beraten, die Zeit bis zum Herbst zu nutzen, in einem geordneten Verfahren zunächst Förderkonzept und Wärmeplanung abzuschließen, und dann ein stimmiges Gesamtpaket mit angemessenen Übergangsfristen auf den Weg zu bringen, das die Betriebe in die Lage versetzt, ihre Kunden verlässlich zu beraten und es umzusetzen. Daher auch mein Appell an die Politik: bei einem Gesetzesvorhaben von solcher Tragweite umso mehr den Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ zu beherzigen.

Würden Sie sich denn morgen noch eine neue Gasheizung einbauen lassen?
Ich persönlich würde das nicht machen, aber ich höre von Mitgliedsbetrieben, dass sie gerade alle Hände voll damit zu tun haben, Gasheizungen einzubauen, weil viele Menschen verunsichert sind.

Die Regierung setzt vor allem auf die Wärmepumpe …
Die rechnet sich am Ende erst, wenn der Strompreis wie erhofft sinkt, ohne ihn dauerhaft subventionieren zu müssen. Denn Ökologie nach dem Motto, koste es, was es wolle, wird nicht zum Erfolg führen. Die Energiewende muss bezahlbar bleiben.

>> Lesen Sie hier: Fernwärme macht Wärmepumpe oft überflüssig

Der energieintensiven Industrie will die Regierung jetzt mit einem subventionierten Strompreis helfen. Ist das gerechtfertigt?
Die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts steht auch wegen der hohen Energiekosten stark unter Druck. Wir brauchen zwingend eine bezahlbare und verlässliche Energieversorgung für alle Unternehmen, denn gerade viele Handwerksbetriebe – hier besonders die energieintensiven – sind darauf angewiesen. Der Bäcker kann nicht die Temperatur seines Ofens während des Backvorgangs einfach herunterdrehen, und außerdem muss der Meister wissen, mit welchem Energieträger er planen soll.

Haus mit Wärmepumpe

Eine Wärmepumpe rechne sich laut Dittrich erst, wenn der Strompreis wie erhofft dauerhaft sinkt.

(Foto: epd)

Die Klima- und Heizungswende ist ein Konjunkturprogramm für das Handwerk. Aber haben Sie überhaupt genug Leute, die Wärmepumpen oder Solaranlagen montieren können?
Es fehlen momentan über alle Handwerksberufe rund 250.000 Fachkräfte, und deshalb müssen wir über berufliche Bildung und ihre Finanzierung sowie über einen spürbaren Abbau von Bürokratie sprechen. Und wenn die Politik qualifizierte Handwerker für die Energiewende will, dann darf der Bund nicht die Mittel für die überbetriebliche Lehrlingsunterweisung von ohnehin nicht gerade üppigen 70 auf 59 Millionen Euro runterfahren, wie es jetzt die Planungen vorsehen.

Muss sich auch das Handwerk selbst verändern? Können beispielsweise Teilqualifizierungen helfen oder muss jeder, der Wärmepumpen einbauen will, erst eine dreijährige Ausbildung durchlaufen?
Wir sollten nicht auf die ganzheitliche Ausbildung für das Berufsbild Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik verzichten, nur weil wir jetzt dringend Installateure für Wärmepumpen brauchen. Dafür, wie auch für andere komplexe Tätigkeiten, braucht es Qualifizierungen, die ausreichend Kenntnisse und Kompetenzen vermitteln.

Bei vorqualifizierten Beschäftigten aus dem Handwerk oder anderen Bereichen kann das vielleicht weniger umfangreich sein. Auch von gut geeigneten Zuwanderern werden wir nicht verlangen können, erst eine vollumfängliche Ausbildung zu durchlaufen. Für diese Personen müssen wir also stärker in Bausteinen und Teilqualifizierungen denken, ihnen aber auch gleichzeitig die Perspektive zu vollen Qualifikationen und Abschlüssen bieten.

Wie steht es denn aktuell um die Handwerkskonjunktur?
Nach unseren Befragungen geht es den meisten Betrieben aktuell gut, aber die Zukunftsaussichten sind nicht rosig, was vor allem mit den Kostenschüben durch Lohnsteigerungen, aber auch durch gestiegene Materialkosten und vor allem auch durch immer weiter steigende Sozialabgaben zu tun hat. Und mehr als die Hälfte unserer Handwerksbetriebe hat mit dem Bau zu tun, der momentan einzubrechen droht.

>> Lesen Sie hier: Wohnungswirtschaft rechnet nur noch mit 200.000 Wohnungen jährlich

Also hat das Handwerk keinen goldenen Boden mehr?
Doch, langfristig schon. Handwerk bietet ganz hervorragende Perspektiven und Chancen. Künstliche Intelligenz wird den Handwerker unterstützen, kann ihn aber nicht ersetzen, wenn er beispielsweise die Photovoltaikanlage montiert. Das mag in anderen Bereichen mal anders aussehen. Wir können also Sicherheit ausstrahlen.

Diese Argumentation scheint aber bei vielen jungen Leuten nicht zu verfangen, weil Handwerksbetriebe zwar überproportional ausbilden, aber Schwierigkeiten haben, genügend Berufsnachwuchs zu finden.
Wir haben es mit dem Bildungsmantra, möglichst viele junge Menschen zum Studium zu bewegen, übertrieben. Wir brauchen für die Transformationen bei Energie und Mobilität, für die Digitalisierung und den Infrastrukturausbau dringend handwerkliche Fachkräfte, mit Akademikern allein werden wir das nicht hinbekommen. Und leider gibt es immer noch die längst überholten Vorurteile, dass Handwerksberufe anstrengend, schmutzig und schlecht bezahlt sind. Das stimmt aber so nicht mehr.

Im Friseurhandwerk NRW ist die Tarifvergütung in der untersten Lohngruppe zwar um stattliche 25 Prozent angehoben worden, liegt aber mit 12,65 Euro doch nur knapp über dem gesetzlichen Mindestlohn.
Bei den Friseuren befinden wir uns tariflich im unteren Lohnspektrum des Handwerks. Viele Friseurmeisterinnen und -meister zahlen mehr, viele würden ihren Beschäftigten gern mehr bezahlen, aber die Geschäftsmodelle geben es nicht her, weil kaum jemand bereit ist, für den Haarschnitt noch einmal deutlich mehr zu zahlen.

Was sagen Sie zu der teils scharfen Kritik an der jüngsten Entscheidung der Mindestlohnkommission, die nur mit der Stimme der Kommissionsvorsitzenden zustande kam?
Ich mache mir größte Sorgen, dass der Mindestlohn immer wieder politisch zum Spielball wird. Denn dann wird die Sozialpartnerschaft ausgehöhlt, die uns stark gemacht hat.

Die Löhne sind das eine, steigende Sozialabgaben das andere. Finanzminister Lindner will den Haushalt auch mit Kürzungen der Bundeszuschüsse für die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung konsolidieren. Damit drohen noch weiter steigende Sozialbeiträge. Was sagen Sie dazu?
Das ist für das personalintensive Handwerk eine große Gefahr, weil seine Leistungen dadurch so verteuert werden, dass an der einen oder anderen Stelle Unbezahlbarkeit droht. Die Finanzierung unserer Sozialsysteme muss auf den Prüfstand. Leider traut sich da – wohl auch aus Rücksicht auf anstehende Wahlen – niemand heran.

Sie haben eben den Bau angesprochen. Was muss denn getan werden, damit wieder mehr gebaut wird?
Wenn der Einbruch, den wir bei der Baukonjunktur erleben, nur ansatzweise bei der Industrie oder bei den Banken vorgekommen wäre, hätten wir jetzt schon die dritte Krisenrunde im Kanzleramt. Wir müssen uns dringend mit der Politik an einen Tisch setzen und gemeinsam nach Lösungen suchen.

Was schwebt Ihnen vor?
Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen und für eine verlässliche Förderkulisse sowie insgesamt bessere Rahmenbedingungen bei Steuern, Sozialabgaben und Bürokratie sorgen. Denkbar ist zudem vieles, von einer Reform der Grunderwerbsteuer über die finanzielle Stützung der Eigentumsbildung bis hin zur Förderung des Sozialwohnungsbaus. Ich mache mir die größten Sorgen über die große gesellschaftliche Mitte, die sich Eigentumsbildung heute nicht mehr leisten kann.

Herr Dittrich, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Ampelkoalition verzichtet auf Sondersitzung zum Heizungsgesetz



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