Berlin In ihrem Koalitionsvertrag legen SPD, Grüne und FDP ein klares Bekenntnis zur Forschungspolitik ab: „Mit einer modernen Förderpolitik sorgen wir für einen erfolgreichen Aufbruch in ein Innovationsjahrzehnt“, heißt es darin.
Doch viele gemeinnützige Einrichtungen, die anwendungsorientierte Forschung für den Mittelstand betreiben, können von diesem Aufbruch wenig erkennen. Im Gegenteil: Sie sehen sich durch das Regierungshandeln sogar in ihrer Existenz bedroht.
Denn ihnen steht bei der Beantragung von Fördermitteln wie auch bei der Anwerbung von Wissenschaftlern das sogenannte Besserstellungsverbot im Weg. Es besagt, dass privatwirtschaftliche Forschungseinrichtungen, die mehr als die Hälfte ihrer Einnahmen aus öffentlicher Projektförderung bestreiten, ihre Beschäftigten nicht besserstellen dürfen als vergleichbare Mitarbeiter des Bundes. Die Bezahlung des Personals – einschließlich der Geschäftsführungen und Spitzenforscher – darf also nicht höher liegen als im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst.
Für auf Dauer vom Bund geförderte außeruniversitäre Forschungseinrichtungen wie die Helmholtz-Zentren oder die Fraunhofer-Gesellschaften gilt die Obergrenze nicht, wohl aber für die rund 130 meist gemeinnützigen, privatwirtschaftlichen Industrieforschungsinstitute, von denen sich gut die Hälfte in der Zuse-Gemeinschaft zusammengeschlossen hat.
Diese hätten keine Planungssicherheit und drohten auszubluten, weil sich exzellente Forscherinnen und Forscher nach neuen Jobs umsähen, warnt Zuse-Geschäftsführer Klaus Jansen. „Im Ergebnis geht die Industrieforschung vor die Hunde – und das gefährdet Arbeitsplätze, die Innovationsfähigkeit der mittelständischen Wirtschaft sowie ihre internationale Konkurrenzfähigkeit.“
Fördermittel in Millionenhöhe drohen wegzufallen
Dabei betreiben viele der betroffenen Einrichtungen Forschung, die für die Transformation der Industrie oder die Klima- und Wärmewende zentral ist. Ein der Zuse-Gemeinschaft angeschlossenes Institut hat hochgerechnet, dass es im laufenden Jahr wohl eine Million Euro weniger Fördermittel erhalten wird als geplant – bei einem Budget von acht Millionen Euro. Im kommenden Jahr könnten sich die Einbußen sogar auf 3,3 Millionen Euro belaufen.
Solche Einschnitte können existenzbedrohend sein. Doch die Bundesregierung lässt bisher keine Bereitschaft erkennen, von der strengen Auslegung des Besserstellungsverbots abzuweichen.
Betroffene Institute berichten davon, dass sie von Projektträgern aufgefordert werden, mit den Förderanträgen auch gleich die Gehaltslisten ihrer kompletten Belegschaft einschließlich der Geschäftsführung einzureichen, was schon aus Datenschutzgründen fragwürdig ist.
Das für die Projektförderung zuständige Bundeswirtschaftsministerium verweist darauf, dass Institute Ausnahmeanträge beim Bundesfinanzministerium stellen können. Dessen Beamte fühlen sich aber auch nicht richtig zuständig, weil die Anträge Ressortgelder betreffen.
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„Man gewinnt den Eindruck, dass jeder dem anderen die heiße Kartoffel über den Zaun wirft“, sagt Jansen. Dabei stehe das Ende der Übergangsfrist vor der Tür. Ursprünglich sollten die Institute, die Projektförderung beantragten, schon bis Ende 2022 nachweisen, dass sie das Besserstellungsverbot einhalten. Diese Frist wurde um ein Jahr verlängert.
Die Union und die Bundesländer Baden-Württemberg und Sachsen wollen die Unsicherheit für die gemeinnützigen Forschungseinrichtungen nun beenden. Die CDU/CSU-Fraktion hat vergangene Woche einen Antrag verabschiedet, den sie nach der Sommerpause in den Bundestag einbringen will.
Habeck kürzt Budget für Industrieforschung
Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, das Wissenschaftsfreiheitsgesetz so zu fassen, dass wie die großen Fraunhofer- oder Helmholtz-Institute auch gemeinnützige Forschungseinrichtungen vom Besserstellungsgebot ausgenommen werden.
Dabei soll der Bund, wenn die Institute öffentliche Fördermittel beantragen, nur die Personalkosten bis zur Höhe der Vergütung des öffentlichen Dienstes anerkennen. Den gemeinnützigen Forschungseinrichtungen steht es aber frei, höhere Vergütungen für Spitzenforscher oder Geschäftsführer aus selbst erwirtschafteten Industriemitteln zu zahlen.
Auch Baden-Württemberg und Sachsen machen sich in einer eigenen Gesetzesinitiative für eine Änderung des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes stark, die der Bundesrat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause zunächst an die Ausschüsse verweisen hat. Im Herbst wird die Länderkammer dann entscheiden, ob sie den Gesetzesvorschlag der Bundesregierung zuleitet.
Die gemeinnützigen Forschungseinrichtungen leiden aber nicht nur unter dem Besserstellungsverbot, sondern auch unter der Kürzung der Budgets für Industrieforschung, Innovationen und Transfer im Bundeshaushalt.
So sollen laut dem vom Kabinett gebilligten Haushaltsentwurf im Budget von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Mittel für das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) um 10,5 Prozent auf 626,6 Millionen Euro gekürzt werden.
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Hinzu kommt, dass seit dem Jahr 2022 pro Unternehmen nur noch ein Antrag alle 24 Monate förderfähig ist. Vorher galt die Regel, dass zwei Anträge innerhalb von zwölf Monaten gestellt werden können. Das Bundeswirtschaftsministerium will so erreichen, dass möglichst viele Firmen von den begrenzten Fördermitteln profitieren können.
Doch Unternehmen mit mehreren Geschäftsfeldern oder einem kontinuierlichen Forschungsbedarf werden so die Hände gebunden. Und den gemeinnützigen Forschungsinstituten gehen Auftraggeber verloren.
Bei Zuse hat man wenig Verständnis für die Streichung im Budget und die geänderte Förderpraxis: „Die Regierung setzt einerseits in ihrer Zukunftsstrategie ganz auf Innovation und Transfer, kürzt andererseits aber die Mittel für die innovations- und transferorientierte, industrienahe Forschung“, sagt Geschäftsführer Jansen. „Das ist nicht nur ein Widerspruch in sich selbst, sondern ein ganz falsches Signal.“
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