Dortmund Die Drohnen umschwirren den Arbeitsminister wie ein Schwarm Insekten. Dann wirft Hubertus Heil (SPD) eine Frisbeescheibe und sofort stürzt sich eines der kleinen Fluggeräte auf das fliegende Plastikrund.
Was sie hier am Dortmunder Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) erforschen, nennt sich Schwarmintelligenz. Die Drohnen fliegen autonom und stimmen sich untereinander ab, welche von ihnen die „Beute“ greift. Möglich macht es Künstliche Intelligenz (KI), die nicht nur mit eingespeisten Daten trainiert wird, sondern auch Umgebungsinformationen nutzt.
Was zunächst wie Spielerei aussieht, findet auch Eingang in praktische Anwendungen. Die Drohnen sind nur das Testfeld für autonome Transportroboter, die künftig vielleicht Personal in Logistikzentren ersetzen. Auf einem eingezäunten Areal lässt Heil sich vorführen, wie die „Load-Runner“ mit zehn Metern pro Sekunde umherschwirren, Waren aufnehmen und wieder abladen können.
„Wir sind an einem Punkt, wo wir anfangen, mit KI – mit Maschinen – Verantwortung zu teilen“, sagt Institutsleiter Michael ten Hompel, der Heil während seiner diesjährigen Sommerreise empfängt. „Und das ist eine wirkliche Zäsur.“
Eine, die die gesamte Arbeitswelt und damit auch den zuständigen Minister betrifft. Bis 2035 wird es keinen Arbeitsplatz mehr geben, der nicht von KI betroffen ist, sagen die Digitalexperten aus Heils Ressort voraus. Jeder vierte Beschäftigte nutzt heute schon Künstliche Intelligenz in der Industrieproduktion, im Controlling oder im Kundenmanagement – oft, ohne es zu wissen.
Heil steht dabei ungern am Rand. Er drängte früh auf eine Beteiligung seines Hauses, als sich die Große Koalition unter Angela Merkel an ihre erste KI-Strategie machte. Das 2018 veröffentlichte Werk erhielt im Jahr 2020 ein erstes Update.
KI in Unternehmen: Sorge, den Anschluss zu verlieren
Doch die Technologie entwickelt sich rasant weiter – und beim Institutsbesuch in Dortmund schwingt auch die Sorge mit, dass Deutschland trotz aller Initiativen und Förderprogramme den Anschluss verlieren könnte.
„Wir sind zu häufig in der Zuschauerrolle und nicht aktiv dabei“, sagt IML-Leiter ten Hompel. Obwohl er sich beruflich jeden Tag mit KI beschäftigt, habe es selbst ihn „umgehauen“, wie rasant sich Sprachmodelle wie ChatGPT weiterentwickelt haben.
Kein Unternehmen sei groß genug und habe ausreichend Geld, um allein mit der Entwicklung Schritt halten zu können, sagt der Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Förder- und Lagerwesen an der TU Dortmund. Kooperationen, auch mit der Wissenschaft, seien unabdingbar.
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Wenn aber selbst Dax-Konzernen die Überforderung droht, was ist dann mit kleinen und mittelständischen Unternehmen oder Handwerksbetrieben? Laut Arbeitsministerium nutzen bisher nur zehn Prozent von ihnen KI im Arbeitsalltag.
Den übrigen sollen ab Herbst die Vorteile der neuen „Kollegin KI“ nähergebracht werden, die Arbeit besser, sicherer und attraktiver machen kann. Heils Ressort richtet dafür in München und Stuttgart stationäre KI-Studios ein, wo anschaulich demonstriert wird, wie Künstliche Intelligenz beispielsweise in der Buchhaltung oder bei der Personalplanung eingesetzt werden kann.
Im Rest der Republik steuern KI-Infomobile die Unternehmen an ihrem Standort an. Das Ministerium fördert das Projekt vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und der Universität Stuttgart mit rund 4,1 Millionen Euro.
Die KI, so Heils Credo, muss als Chance begriffen werden, um die globale Wettbewerbsfähigkeit der Industrienation Deutschlands zu wahren – auch wenn der Minister hier eher im Terrain seines Grünen-Kabinettskollegen, Wirtschaftsminister Robert Habeck, wildert.
Aber als Arbeitsminister ist Heil auch für den Arbeitsschutz zuständig. Und er weiß natürlich, dass KI auch genutzt werden kann, Beschäftigte zu überwachen oder am Ende ganz überflüssig zu machen.
Viele Jobs könnten vollständig von Computern übernommen werden
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schätzte schon für das Jahr 2019, dass gut jeder dritte sozialversicherungspflichtige Job in Deutschland zumindest theoretisch auch vollautomatisch von Computern oder computergestützten Maschinen erledigt werden kann. Drei Jahre zuvor traf das nur auf jeden vierten Job zu. Und auch seit 2019 hat sich die Technologie wieder rasant weiterentwickelt.
Heil hat deshalb schon im April gemeinsam mit Innenministerin Nancy Faeser (SPD) „Vorschläge für einen modernen Beschäftigtendatenschutz“ vorgelegt. Im Herbst soll aus dem Eckpunktepapier dann auch ein Entwurf für ein eigenständiges Gesetz werden.
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„Künstliche Intelligenz ist auf große Datenmengen geradezu angewiesen“, heißt es in dem siebenseitigen Eckpunkte-Papier. Weil dies bei Beschäftigten zu „Verunsicherung und Zurückhaltung“ führen könne, bedürfe es klarer Regelungen zu ihrem Schutz. Es gehe darum, eine Balance zwischen den Interessen der Betriebe und der Beschäftigten herzustellen.
Im Rahmen der auf europäischer Ebene geplanten KI-Verordnung wollen die Ministerien Regelungen für typische Verarbeitungsvorgänge von Beschäftigungsdaten vorsehen, die auf KI oder Algorithmen beruhen.
In Dortmund wirbt Heil dann aber gleich auch noch für ein zweites Gesetz, an dem seine Beamten mitwirken. Im Fraunhofer-Institut darf er ein sogenanntes Exoskelett ausprobieren, das die Muskulatur stützt und beispielsweise Paketboten beim Heben und Tragen entlasten kann.
Leider werde es aber noch eine Zeit dauern, bis jeder Bote eine solche Hilfe bekomme, sagt der Arbeitsminister. In die Novelle des Postgesetzes, die Kabinettskollege Habeck plant, will er deshalb hineinverhandeln, dass Pakete ab 20 Kilo künftig von Speditionen und zwei Zustellern gebracht werden müssen. Mancher Job bleibt eben – trotz KI – Knochenarbeit.
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