Das Auslaufen des Abkommens ist auch für die ukrainischen Landwirte eine Hiobsbotschaft.
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Riga, Genf Mehrfach war der Getreidedeal verlängert worden, damit die Ukraine trotz des Krieges zumindest in begrenztem Umfang Agrargüter per Schiff exportieren konnte. Doch nun wird die Abmachung in der Nacht zu Dienstag wohl endgültig auslaufen.
Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte am Montag, Moskau kehre erst dann zur Erfüllung der Vereinbarung zurück, wenn alle Forderungen Russlands für die Ausfuhr russischen Getreides erfüllt seien. Die Hoffnung, dass es in letzter Sekunde noch zu einer Einigung kommt, sind allerdings gering.
Das knapp ein Jahr alte Abkommen ermöglichte die sichere Verschiffung von Getreide aus der Ukraine über das Schwarze Meer. Moskau hatte im Gegenzug zuletzt deutliche Erleichterungen bei den Sanktionen für seine Dünge- und Lebensmittelexporte gefordert, unter anderem bei Versicherungen, Fracht und der Finanzierung.
Außerdem forderte der Kreml, die staatliche Landwirtschaftsbank von den Sanktionen des Westens zu befreien und wieder an das Swift-Zahlungssystem anzuschließen, um Geschäfte abwickeln zu können.
„Es ist eine schlechte Botschaft, dass Putin das Getreideabkommen nicht verlängern will“, schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag auf Twitter. Russland fühle sich „nicht verantwortlich für ein gutes Miteinander und bedroht mit seinem Angriff auf die Ukraine die ganze Welt“.
Experten erwarten, dass sich das Ende des Abkommens spürbar auf die globale Nahrungsmittelversorgung auswirken wird – und auf die Ukraine selbst. Das Land ist für die weltweite Lebensmittelversorgung von großer Bedeutung. 2021 stammten etwa zehn Prozent der globalen Weizen- und 13 Prozent der Maisexporte aus der Ukraine. Laut der Website Hellenic Shipping News hatten die gesamten Getreideexporte der Ukraine in der Saison von Juli 2021 bis Juni 2022 rund 48 Millionen Tonnen erreicht.
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Nach Einschätzung von Heinz Strubenhoff, der die Europäische Kommission und die deutsche Regierung zu Agrarfragen rund um die Ukraine berät, sind vor allem für die importierenden Länder starke Auswirkungen zu erwarten. Zugleich seien die Berichte über das wohl anstehende vorläufige Ende der Initiative aber „auch schlechte Nachrichten für die ukrainischen Bauern“ selbst.
„Global werden die Preise erst einmal anziehen, weil alle Entwicklungen rund um den Getreidedeal eine hohe Signalwirkung haben“, sagt Strubenhoff. Für die Bauern im Land „werden die Preise aber erst mal sinken“, so der Experte, „wegen der hohen Risiken und der Transportkosten, die dann noch zusätzlich auf die Händler zukommen“. Viele Landwirte kämpften schon jetzt mit einem massiven Mangel an Liquidität.
„Herber Rückschlag“ für die globale Ernährungssicherheit
Strubenhoff zufolge hat die Ukraine aber „schon einen Plan B“. Eine Möglichkeit für eine teilweise Aufrechterhaltung der Ausfuhr könnte darin bestehen, internationales Geleit für die Schiffe zu fordern. Diplomatisch ziehe Kiew „alle Register“, sagt der Experte, der derzeit in der ukrainischen Hauptstadt arbeitet. Außerdem ließe sich Getreide über die Donau mit Binnenschiffen bis zum rumänischen Schwarzmeerhafen Konstanza bringen.
Russland stoppt Getreideabkommen mit der Ukraine
Der dritten Weg, der EU-unterstützte Transport über den Landweg per Lkw und Bahn (die sogenannten „Solidarity Lanes“), sei möglich, aber „sehr teuer“. Außerdem gebe es für Lkw lange Wartezeiten an den Grenzen. Seiner Einschätzung nach ist die ukrainische Seite aber nicht völlig überrascht von der Situation.
Martin Rentsch vom Welternährungsprogramm nennt das Ende des Getreideabkommens einen „herben Rückschlag“ für die globale Ernährungssicherheit. „Das Abkommen hat geholfen, die Preise nach Beginn des Kriegs gegen die Ukraine wieder zu senken“, sagt Rentsch. Dieser stabilisierende Effekt wäre ohne das Abkommen verloren, so Rentsch. Betroffen seien vor allem jene Länder, die besonders auf das Getreide aus der Ukraine angewiesen seien und in denen Menschen einen besonders hohen Anteil ihres Einkommens für Nahrungsmittel aufwenden.
Dass alternative Transportrouten die Lücken füllen können, glaubt Rentsch nicht. „Ein Schiff kann 30.000 Tonnen Getreide transportieren, ein großer Güterzug vielleicht 2000 Tonnen, ein Lkw gerade mal 40 Tonnen.“ Die Ukraine brauche den Seeweg dringend.
Mehr als 1000 Schiffe waren im Rahmen der Initiative unterwegs
Bislang wurden im Rahmen der Initiative knapp 33 Millionen Tonnen landwirtschaftlicher Waren aus dem osteuropäischen Land ausgeführt, wie die UN ermittelte. Mehr als 1000 Schiffe hätten ukrainische Häfen verlassen und seien über sichere humanitäre Korridore in das Mittelmeer und weiter gefahren.
In den vergangenen Monaten ging die Menge an exportierten Agrargütern aus der Ukraine allerdings zurück. Die Ukraine warf Russland vor, die vereinbarten Inspektionen zu verzögern. Seit dem 27. Juni wurde kein Schiff mehr für die Initiative zugelassen.
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Zudem hatte die Initiative auch eine politische Dimension, sie galt als die einzige längerfristige Übereinkunft zwischen den Kriegsparteien Russland und Ukraine.
Russland hatte nach Beginn seines Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 die Seeausfuhren des Nachbarlands blockiert. Am 22. Juli 2022 einigten sich die Ukraine, Russland und die Türkei in Istanbul auf die Initiative. Die UN traten als Vermittler auf. Die Vereinbarung wurde mehrmals verlängert.
Eine zweite Vereinbarung kam in Istanbul zwischen den Vereinten Nationen und Russland zustande. In einem „Memorandum of Understanding“ willigten die UN ein, sich für die ungehinderte Ausfuhr russischer Lebensmittel und Düngemittel auf die Weltmärkte einzusetzen.
Russland beklagte immer wieder die mangelnde Umsetzung des Memorandums. Kremlchef Wladimir Putin verlangte etwa, dass Russlands Landwirtschaftsbank wieder an das internationale Zahlungssystem Swift angeschlossen werden.
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