El Salvador Chilenen haben in Lateinamerika den Ruf, zuverlässig, ernsthaft und zielstrebig zu sein. Gabriel Boric, der 37-jährige Präsident Chiles, hat gerade beim Gipfel in Brüssel gezeigt, dass an diesem Klischee etwas dran sein muss.
Denn dort hatten sich bis Dienstag mehr als 50 Staatschefs der EU und Lateinamerikas zu ihrem ersten Gipfel nach acht Jahren versammelt. Das Treffen sollte eine Zeitenwende in den Beziehungen zwischen beiden Kontinenten einleiten. Intensiver wolle man künftig zusammenarbeiten, so der gute Vorsatz.
Doch dann hatten die Regierungsvertreter nichts vorbereitet, auf das sie sich hätten einigen können: Erwartet wurde vor allem, dass die südamerikanische Freihandelszone Mercosur mit der EU weiter vorankommen würde. Das Abkommen, so hatte es der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva noch nach einem Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz Anfang des Jahres in Brasília verkündet, sei „auf der Zielgeraden“.
Tatsächlich aber versäumte Brasilien es in den vergangenen Monaten, ein gemeinsames Verhandlungsangebot des Mercosur auszuarbeiten.
Ganz anders Gabriel Boric aus Chile. Er hielt, was er vor einem Monat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und zuvor Bundeskanzler Olaf Scholz versprochen hatte – und rettete damit den Gipfel: Das Andenland unterzeichnete mit der EU eine Absichtserklärung für eine künftige enge Partnerschaft über nachhaltige Rohstoff-Wertschöpfungsketten.
Künftige Partnerschaft bei Rohstofflieferungen
Für Europa ist das von großer Bedeutung: Chile produziert die für die Energiewende wichtigen Rohstoffe Lithium und Kupfer – und könnte darüber hinaus schon bald Großlieferant für grünen Wasserstoff werden.
Die EU will nicht nur die nachhaltige Produktion der Rohstoffe unterstützen und sie von dort beziehen. Europäische Unternehmen werden vor Ort im Andenland auch massiv investieren. Künftig könnte Chile so nicht nur Lithium liefern, sondern womöglich auch Batterien für E-Autos herstellen.
Für die EU ist das Abkommen ein wichtiger erster Schritt bei der Umsetzung der Global-Gateway-Strategie – der europäischen Antwort auf die Seidenstraßen-Initiative Chinas. Auch die EU will ihren Partnern Kapital für Investitionen in Infrastruktur bieten, wie Peking das seit mehr als einer Dekade weltweit im großen Stil praktiziert. Bisher fehlten der EU die großen Vorzeigeprojekte. Chiles Präsident Boric könnte nun dafür sorgen, dass ein solches entsteht.
Für den ehemaligen Studentenführer ist der außenwirtschaftliche und diplomatische Erfolg in Brüssel enorm wichtig, um seine Popularitätswerte im eigenen Land zu steigern: Denn seit seinem klaren Wahlsieg vor eineinhalb Jahren sind die Chilenen enttäuscht vom jüngsten Präsidenten in ihrer Geschichte.
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Nur noch 30 Prozent der Bevölkerung urteilen positiv über ihn. Das liegt daran, dass das seit Jahrzehnten wirtschaftlich erfolgreiche Land in letzter Zeit kaum noch wächst. Zugleich haben Probleme mit steigenden Kriminalitätsraten und unkontrollierter Migration zu einem Rechtsruck in der Politik geführt. Mehrere wichtige Gesetzesprojekte, für die Boric mit seiner links-grünen Koalition stand – etwa der neue linke Verfassungsentwurf oder die Steuerreform –, sind krachend gescheitert.
Längst hat der Präsident aus pragmatischen Gründen viele seiner linken Prinzipien aufgegeben. So setzt er erstmals auf eine intensive Zusammenarbeit mit der Polizei, um das Sicherheitsproblem lösen zu können. Für Boric wäre das vor kurzem noch ein absolutes Tabu gewesen.
Europäer jedoch würden Borics Regierung als modern und sozialdemokratisch klassifizieren. So sind Frauen und Männer in seinem Kabinett paritätisch vertreten. Die Außenpolitik des Landes sollte feministisch sein, forderte Boric beim Amtsantritt und versprach den Indigenen weitreichende Sonderrechte. Offenbar will Boric nun seinen Landsleuten zeigen, dass seine moderne linke Politik bei Verhandlungen wie mit den Europäern durchaus ein Vorteil sein kann.
Tabubruch unter den Linken in Südamerika
Anders als viele der linken Staatschefs in Lateinamerika kritisiert Boric offen die Menschenrechtsverletzungen in Nicaragua, Kuba und Venezuela – ein Tabubruch unter den Linken Lateinamerikas.
Gerade noch hatte sich Boric bei einem Südamerika-Gipfel bei Brasiliens Lula und Kolumbiens Gustavo Petro unbeliebt gemacht, als er Venezuelas Menschenrechtspolitik anprangerte. Auch jetzt dürfte es einigen Staatschefs nicht gefallen haben, dass er ihnen die Show gestohlen hat.
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