Tokio Ein kleines Wohnzimmer im Norden Tokios, eingerichtet mit einem Esstisch mit vier Stühlen und einem Sofa vor einer Holzwand. Ein kurzes Kommando und der Raum macht sich bereit für die Nacht: Die Vorhänge ziehen sich zu, das Licht wird dunkler, die vermeintliche Holzwand schiebt sich nach vorne, das Esszimmer schrumpft und es wird ein Doppelbett, dessen eine Hälfte vorher das Sofa war.
Japan gibt dem Wort Smart Home eine neue Bedeutung. Statt nur Heizungen, Kühlschränke und Klimaanlagen in einem smarten Zuhause zu vernetzen, entwickeln japanische Forscher und Unternehmer auch Aufräum-Roboter, intelligente Toiletten und autonome Möbel. Und so ist das Tokioter Wohnzimmer nicht nur mit Möbeln ausgestattet, sondern auch mit versteckten Kameras sowie Sensoren für Bewegung, Licht, Temperatur und Luftdruck.
Eben dieses Zimmer stand kürzlich auf dem Besuchsprogramm von Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) in Japan. Das ostasiatische Land ist mit seinen smarten Wohnungen Vorbild für Deutschland.
Sowohl Japan als auch Deutschland sind mit einer alternden Bevölkerung konfrontiert. Japan ist beim smarten Wohnen allerdings deutlich weiter: Die japanische Bevölkerung schrumpft schon seit 2009. Entsprechend hoch ist das Problembewusstsein, meint Ken Sakamura, Direktor des Instituts für akademisch-industrielle Zusammenarbeit (Iniad) an der Toyo-Universität.
So ist etwa die von Geywitz besuchte Wohnung Teil des Projekts „Open Smart UR“ der staatlichen Wohnungsbaugesellschaft UR in der Siedlung „Nouvelle Akabane-dai“. Dort entwickelt und erprobt Japans größter Bauträger gemeinsam mit der Toyo-Universität Ideen für flexibles Wohnen in alternden Gesellschaften.
Dabei geht es zum einen darum, Wohnungen so zu gestalten, dass sie sich leicht an die Bedürfnisse von Singles, Familien und Senioren anpassen lassen. Zum anderen soll der Einsatz von Technik und Künstlicher Intelligenz (KI) gerade alte Menschen unterstützen.
KI soll Senioren in ihren Wohnungen unterstützen
Ein Feature ist die Notfallerkennung. So können die mit Sensoren und intelligenten Klimaanlagen ausgestatteten Wohnungen den Gesundheitszustand der Bewohner erfassen und bei Bedarf den Rettungsdienst rufen.
Institutsdirektor Sakamura erklärt den Hintergrund des Projektes so: „In einer Zukunft mit sinkenden Geburtenraten und einer alternden Bevölkerung wird ein System benötigt, in dem nicht nur junge Menschen, sondern auch Roboter, Künstliche Intelligenz und andere verschiedene ‚Hände‘ das Leben älterer Menschen unterstützen.“ Das Ziel sei, ein Plattformgeschäft für „Wohnen als Dienstleistung“ aufzubauen, das sich laut Sakamura ab 2030 verbreiten könnte.
Dabei würden Hausbesitzer nicht nur die Wohnung vermieten, sondern zusätzliche kostenpflichtige Dienstleistungen wie die Notfallerkennung anbieten. Außerdem könnten die Bewohner über eine heimische Schaltzentrale Essen, den Reinigungsdienst und Taxis bestellen.
Sakamura denkt auch an weitergehende Gesundheitsdienstleistungen – und das in Verbindung mit den Toiletten in den Wohnungen.
Die Toiletten der großen japanischen Hersteller Panasonic, Toto und Lixil ähneln bereits Robotern. Sensoren registrieren, wenn sich ein Benutzer nähert, heben den Deckel an, beheizen den Sitz, spülen und schließen den Deckel nach dem Toilettengang wieder. In Labors testen Hersteller nun Toiletten, die den Stuhlgang oder sogar das Gewicht und den Fettanteil ihrer Benutzer analysieren und die Daten an Ärzte übermitteln können.
Sakamura will auch Daten von weit entwickelten Klimaanlagen nutzen. Diese können mithilfe von Wärmesensoren erkennen, wo sich die Bewohner aufhalten, und dann den warmen oder kühlen Luftstrom direkt auf die Menschen richten. Einige Produkte „lernen“ den Alltag der Bewohner kennen, um den Stromverbrauch zu optimieren.
Auch Möbel werden in Japan smart
Die neuen Wohnkonzepte sind erfolgversprechend. Schon jetzt beobachtet Mika Kasamatsu, Forscherin bei der nationalen Online-Wohnungsvermittlungsplattform Suumo, einen Trend zum „Minimal-Wohnen“. Früher wurden Einfamilienhäuser nachgefragt, die von der Hochzeit über die Kinder bis zum Lebensabend genügend Zimmer und Platz boten.
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Jetzt würden die Menschen je nach Lebensphase verstärkt nach neuem, für diese Phase optimalem Wohnraum suchen. Kasamatsu erwartet eine verstärkte Nachfrage nach kleinen, einstöckigen Häusern um die 70 Quadratmeter, die sich mit geringen Investitionen an die jeweilige Lebenssituation anpassen lassen.
Doch nicht nur Japans Wohnungen, sondern auch die Möbel werden smart. Das KI-Einhorn Preferred Networks wagt den ersten Schritt in diese Richtung. In diesem Jahr hat die Robotereinheit Preferred Robotics ihr erstes autonomes Möbelstück auf den Markt gebracht.
Kachaka (sprich: ka-tscha-ka) heißt das System, dessen erstes Produkt aus zwei Teilen besteht: einem Regal auf Rollen und einer kleinen, flachen, kastenförmigen Plattform mit Kameras und Sensoren, die ähnlich wie ein Staubsaugerroboter aussieht. Diese kann sich autonom im Raum bewegen und auf Befehl verschiedene Regale herbeischaffen.
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Vor fünf Jahren hatte das Unternehmen bereits einen Aufräumroboter präsentiert. Toru Isobe, Chef von Preferred Robotics, hält das autonome Möbelstück allerdings für massentauglicher. Bei der Entscheidung hätten einerseits der Trend zu flexiblen, anpassbaren Wohnungen und andererseits der Stand der Technik eine Rolle gespielt, sagte er dem Handelsblatt.
Komplexe Roboter, die viele Funktionen erfüllen, seien für den Normalverbraucher noch unerschwinglich, erklärt Isobe. „Insofern sind intelligente Möbel marktfähiger.“ Der Roboter kostet derzeit rund 1500 Euro, die autonomen Regale je nach Größe zwischen 160 und 200 Euro.
Isobes übergeordnetes Ziel ist es, eine „Smart Furniture Platform“ aufzubauen, die dem Hersteller zusätzliche monatliche Gebühren einbringt. Bei Kachaka sind es etwa sieben Euro im Monat für die Steuerungs-App. Nun muss sich zeigen, ob die Menschen dieses Bezahlmodell auch für das intelligente Wohnen akzeptieren.
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