Jul 20, 2023
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Großbritannien: Wie Regierung und Opposition in London mit ihren Zielen hadern

Written by Torsten Riecke


London Etwa ein Jahr vor den Parlamentswahlen in Großbritannien haben sich Premierminister Rishi Sunak und Oppositionsführer Keir Starmer in Westminster einen politischen Schlagabtausch geliefert. Dabei versuchten beide Politiker kurz vor drei wichtigen Nachwahlen zum Unterhaus am Donnerstag noch Wähler auf ihre Seite zu ziehen. Sie warfen sich gegenseitig vor, wichtige Wahlversprechen gebrochen zu haben. 

Starmer hielt dem Premier in der Unterhaus-Debatte die Misere des staatlichen Gesundheitssystems NHS vor, fast 7,5 Millionen Patienten warten auf eine Behandlung im Krankenhaus. Sunak hatte noch Anfang des Jahres versprochen, die Warteliste schnell und deutlich zu reduzieren. „Ein weiteres gebrochenes Versprechen“, stichelte der Oppositionsführer und Chef der Labour-Partei in der letzten Sitzung vor der parlamentarischen Sommerpause. 

Sunak konterte mit dem Hinweis, dass Starmer gerade seine Linie beim Kindergeld geändert habe und nun, wie die konservative Regierung, eine Begrenzung der staatlichen Hilfen auf zwei Kinder unterstütze. „Er (Starmer) hat nie Versprechen gehalten, die er gemacht hat“, sagte der Regierungschef.

Tatsächlich wird der Labour-Chef wegen des Kurswechsels auch in der eigenen Partei heftig kritisiert. Hintergrund des Sinneswandels ist das Bemühen Starmers, seine Partei von dem Image zu befreien, angeblich unbezahlbare Sozialleistungen zu versprechen. Kürzlich hat er auch Zweifel an dem Vorhaben geäußert, bei einem Wahlsieg von Labour 28 Milliarden Pfund pro Jahr in grüne Technologien zu investieren.

Zum Imagewandel von Starmer gehört darüber hinaus sein Auftritt mit dem früheren Labour-Premier Tony Blair in dieser Woche, der bei der Partei-Linken wegen seiner militärischen Unterstützung der Irak-Invasion eine Persona non grata ist. Starmer will hingegen den Wahlerfolg von Blair 1997 im nächsten Jahr wiederholen. Dazu gehört seiner Meinung nach nicht nur eine solide Finanzpolitik, sondern auch eine klare Abgrenzung von der Politik seines Vorgängers Jeremy Corbyn aus dem linken Flügel.

Drei Parlamentssitze müssen neu besetzt werden

Die Nachwahlen am Donnerstag sind insbesondere für die Konservativen ein wichtiger Stimmungstest. In den drei Wahlkreisen Uxbridge & South Ruislip nahe London, Sommerton & Frome im Südwesten und Selby & Ainsty im Nordosten Englands müssen die Wähler Parlamentssitze neu besetzen, die zuvor von Tories gehalten wurden.

>> Lesen Sie hier: Parlamentsausschuss fällt vernichtendes Urteil über Boris Johnson

Der frühere Premier Boris Johnson hatte sein Mandat in Uxbridge im Juni niedergelegt, nachdem ihm ein Parlamentsausschuss vorgeworfen hatte, das Unterhaus belogen zu haben. Nach Meinung des konservativen Parlamentariers Steve Brine leiden die Tories noch immer unter „Long Boris“ – eine Anspielung auf den unter dem Namen „Partygate“ bekannten Skandal der Johnson-Ära während der Pandemie.

In Sommerton musste der konservative Abgeordnete David Warburton zurücktreten, nachdem ihm sexuelle Belästigung und Drogenmissbrauch vorgeworfen worden waren. Und in Selby trat der Johnson-Vertraute Nigel Adams zurück, nachdem ihm die Adelswürde als Lord verweigert wurde. 

Nach den jüngsten Meinungsumfragen könnten die Tories alle drei Sitze entweder an Labour oder die Liberaldemokraten verlieren, was Partei- und Regierungschef Sunak weiter unter Druck setzen würde. Zwar würde das die Unterhaus-Mehrheit der Konservativen von rund 60 Sitzen nicht gefährden. Aber der Verlust von drei einstigen Hochburgen würde die ohnehin gedrückte Stimmung bei vielen Tories noch weiter verschlechtern.

Landesweit liegen die Konservativen in den Meinungsumfragen etwa 20 Prozentpunkte hinter der Labour-Partei. Sunak hat selbst bei seinen Parteifreunden den frühen Glanz des Machers verloren und wird von einer Mehrzahl negativ beurteilt.

Zwischen Sunaks und Starmers Visionen gibt es Gemeinsamkeiten

Sunak hatte Anfang des Jahres neben der Reduzierung der Krankenhaus-Wartelisten vier weitere Versprechen abgegeben, an denen die Briten seine Regierungsarbeit messen sollen.

Ganz oben steht die Zusage, die hartnäckig hohe Inflation in Großbritannien zu halbieren. Die Inflationsrate ist zwar im Juni erstmals seit März 2022 unter acht Prozent gefallen, dennoch wird es der Premier nach Aussage seines Finanzministers Jeremy Hunt „schwer“ haben, sein Versprechen einzuhalten. Dazu müsste die Inflation bis Dezember auf 5,35 Prozent fallen.

>> Lesen Sie hier: Das britische Gesundheitssystem versinkt im Chaos – ein warnendes Beispiel für Deutschland

Auch seine anderen beiden Wirtschaftsversprechen werden den Premier weiter verfolgen: So will er die britische Wirtschaft auf einen Wachstumskurs bringen. Allerdings stagnierte Großbritannien im ersten Quartal mit einem minimalen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,1 Prozent. Die angekündigte Reduzierung der Staatsschulden lässt ebenfalls auf sich warten. Im Mai stieg der Schuldenberg erstmals seit 62 Jahren auf 100 Prozent des BIP. 

Einen politischen Fortschritt gab es für Sunak zumindest bei dem Versprechen, die illegal über den Ärmelkanal einreisenden Bootsflüchtlinge zu stoppen. Das neue Einwanderungsgesetz, das neben schnellen Internierungen auch die Abschiebung in Länder wie Ruanda vorsieht, wurde mit nur wenig Änderungen vom Oberhaus angenommen. Dennoch erreichten bis Anfang Juli fast 13.000 Flüchtlinge die englische Küste. Im gesamten vergangenen Jahr waren es 45.755. 

Premierminister Rishi Sunak

Sunak hatte Anfang des Jahres fünf Versprechen abgegeben, an denen die Briten seine Regierungsarbeit messen sollen.

(Foto: via REUTERS)

Vergleicht man Sunaks fünf Versprechen mit den fünf „Missionen“, mit denen Starmer die Politik einer künftigen Labour-Regierung umrissen hat, gibt es einige überraschende Gemeinsamkeiten. Auch der Oppositionsführer will das Wirtschaftswachstum „nachhaltig“ ankurbeln und Großbritannien zum Wachstumsführer unter den G7-Staaten machen. Dass er das grüne Investitionsprogramm seiner Partei gerade zurechtgestutzt hat, weckt jedoch nicht nur Zweifel an seinem Wachstumsversprechen, sondern auch an der Ankündigung, das Königreich zu einer „Supermacht für saubere Energie“ umzubauen. 

Der Misere im staatlichen Gesundheitssystem will Starmer vor allem mit Neueinstellungen und Weiterbildung begegnen. Dabei setzt er auch auf die Hilfe privater Anbieter. Ansonsten bleiben seine Ziele für das Gesundheitswesen genauso vage wie im Bildungsbereich, wo er die soziale Ungleichheit abbauen will. Die einst versprochene Abschaffung der Studiengebühren hat Starmer im Mai jedoch wieder infrage gestellt.

Deutlicher wird der frühere Staatsanwalt dagegen beim Thema innere Sicherheit. Ähnlich wie in der Finanzpolitik sieht er hier ein Imageproblem für Labour, das er mit der Ankündigung beheben will, die hohe Zahl von Straftaten zu halbieren und die Polizei besser auszustatten.  

Mehr: Großbritannien will zur technologischen Supermacht werden



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