Genf, Riga, Brüssel Nach dem Ende des Getreideabkommens mit der Ukraine verschärft Russland seine Drohungen. Seit Donnerstag betrachtet der Kreml alle Schiffe, die ukrainische Häfen ansteuern, als militärische Ziele.
Die westlichen Staaten rechnen mit Angriffen auf Frachter, nachdem die russische Armee in den vergangenen Nächten bereits Getreidelager in der ukrainischen Hafenstadt Odessa bombardiert hat. „Die Route über das Schwarze Meer ist unsicher“, sagte ein hochrangiger EU-Beamter dem Handelsblatt. Russland habe bereits vergangenes Jahr gezeigt, dass es nicht davor zurückschrecke, kleinere Transportschiffe zu versenken.
Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats in den USA sagte, Russland habe vor den ukrainischen Häfen zusätzliche Seeminen verlegt. Der Kreml wolle so Angriffe auf zivile Schiffe rechtfertigen und die Schuld der Ukraine zuschieben. Das britische Verteidigungsministerium erwartet, dass die russische Schwarzmeerflotte fortan „eine aktivere Rolle“ spielen werde.
Die Regierung in Kiew arbeitet nun mithilfe der EU daran, die Gefahr russischer Angriffe zu reduzieren, indem sie ihre Exporte umleitet. Nach EU-Angaben werden nur noch 40 Prozent des ukrainischen Getreides über die eigenen Häfen am Schwarzen Meer exportiert. 60 Prozent werden auf dem Landweg in die EU gebracht und von dort über Häfen an der Ostsee, der Adria und andere Häfen am Schwarzen Meer wie im rumänischen Konstanza verschifft.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erklärte am Dienstag beim Außenministertreffen in Brüssel, es sei von Anfang an richtig und wichtig gewesen, „dass wir parallel gefahren sind“. Die EU werde nun verstärkt daran arbeiten, das Getreide über die sogenannten „Solidarity Lanes“ aus der Ukraine herauszubekommen.
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Eine zunehmend wichtige Rolle spielt die Binnenschifffahrt. Vergangenes Jahr seien monatlich 2,2 Millionen Tonnen ukrainisches Getreide über die Donau abtransportiert worden, sagte der EU-Beamte. Inzwischen seien es mehr als drei Millionen Tonnen. Ziel seien vier oder fünf Millionen Tonnen. Die Operation ist komplex: In Rumänien beispielsweise mussten Lotsen mit Ortskenntnis aus dem Ruhestand geholt werden, um die Getreidetransporte ans Ziel zu bringen.
Zweimal im Monat trifft sich eine Ukraine-Arbeitsgruppe unter Leitung der EU-Kommission. Die ukrainische Regierung ist per Video zugeschaltet, von europäischer Seite nehmen die Nachbarn Polen, Ungarn, Slowakei, Bulgarien und Rumänien teil. Auch EU-Anwärter Moldau ist dabei. Dabei geht es darum, ausreichend Schiffe, Züge und Lastwagen zu organisieren und bürokratische Hindernisse aus dem Weg zu räumen.
Der Weitertransport des ukrainischen Getreides werde von europäischen Firmen zunehmend als gutes Geschäft gesehen, sagte der EU-Beamte. Während manche Bauern die billigen Getreideimporte aus der Ukraine bekämpften, sähen andere Firmen wie beispielsweise Logistiker einen Wachstumsmarkt.
UN versuchen, Getreideabkommen zu retten
Irgendwann werde es genug Kapazitäten geben, um die gesamte Getreideernte der Ukraine über die EU exportieren zu können, sagte der Beamte. Dann verliere die russische Blockade im Schwarzen Meer an Bedeutung.
Noch jedoch ist die Ukraine darauf angewiesen, dass der Export über ihre Häfen funktioniert. Die Vereinten Nationen versuchen deshalb, das Getreideabkommen in irgendeiner Form doch noch zu retten. Zusammen mit der Türkei hatten die UN das Abkommen mit Russland im Juli 2022 vermittelt.
Man werde alles tun, um sicherzustellen, dass die Weltmärkte Zugang zu ukrainischen und russischen Nahrungsmitteln und Düngemitteln haben, sagte ein UN-Sprecher. Dies sei wichtig für den Kampf gegen den Hunger in der Welt.
Der Handlungsspielraum der UN ist allerdings stark begrenzt. Sie hat keine Kontrolle oder keinen direkten Einfluss auf Bankenregulierung, das internationale Zahlungssystem Swift, das private Transportwesen oder den Versicherungsmarkt. Russlands Forderungen tangieren aber alle diese Bereiche. So forderte Moskau wiederholt, dass die russische Landwirtschaftsbank wieder an Swift angebunden werden solle.
In einem persönlichen Brief an Russlands Präsident Wladimir Putin hatte Uno-Generalsekretär Antonio Guterres kurz vor Ablauf des Getreidedeals konkrete Vorschläge zu Swift unterbreitet, unter Einbeziehung der US-amerikanischen Bank JP Morgan. Der Kreml war auf das Angebot nicht eingegangen. Er reagierte aber verärgert darauf, dass der Generalsekretär lange Auszüge des Schreibens veröffentlichte.
Ukraine setzt auf Vermittlerrolle der Türkei
Guterres habe „gegen alle Gesetze der diplomatischen Korrespondenz verstoßen“, kritisierte das russische Außenministerium. Der Streit über den Brief dürfte die Suche nach einer neuen Vereinbarung zusätzlich belasten. Ohnehin wirft die russische Regierung dem Uno-Generalsekretär vor, einseitig Partei für die Ukraine zu ergreifen.
Der ukrainische Botschafter in der Türkei, Vasyl Bodnar, sagte, Russland übe nicht nur Druck auf die Ukraine aus, sondern auch auf andere Länder, die auf das Getreide angewiesen seien. Er setzt große Hoffnungen auf die Vermittlerrolle der Türkei.
Man hoffe, dass Ankara „Verhandlungen mit dem Angreiferstaat führt, damit wir zu den zuvor erzielten Vereinbarungen zurückkehren können“, sagte er. Vielleicht könne man auch noch weitere Länder einbeziehen, insbesondere diejenigen, die die größten Empfänger von ukrainischem Getreide waren, wie zum Beispiel China, Spanien und afrikanische Staaten.
Am Mittwoch hatte Michailo Podoljak, enger Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski, auch vorgeschlagen, die Getreidefrachter von bulgarischen oder türkischen Kriegsschiffen eskortieren zu lassen, geschützt durch ein Uno-Mandat, damit wieder Getreide exportiert werden kann.
Podoljak sagte, Verhandlungen dazu seien „auf allen Ebenen“ im Gange. Die Nato-Staaten sehen diese Option jedoch skeptisch, weil ein russischer Treffer auf das Schiff eines Mitgliedslandes den Nato-Verteidigungsfall auslösen würde.
Mehr: „Die Ukraine braucht den Seeweg dringend“ – Was das Ende des Getreidedeals bedeutet.
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