Bangkok, Mumbai Wo immer Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei seiner Indien-Reise vor ein Mikrofon tritt, erwähnt er Indiens Potenzial, grünen Wasserstoff in großem Maßstab zu produzieren. Deutschland will dabei helfen, die Wasserstoff-Wertschöpfungskette aufzubauen – und außerdem auch möglichst viel des in Indien produzierten Wasserstoffs kaufen.
Doch Indien tut sich schwer mit den Anforderungen, die Deutschland stellt. Im ungünstigsten Fall könnte sich Indien dem asiatischen Markt zuwenden, statt Wasserstoff für Deutschland und den Rest Europas zu produzieren.
Das Land hat große Ambitionen beim Thema grüner Wasserstoff. Die Produktion soll schnell wachsen, außerdem durch großindustrielle Produktion billig werden.
Dabei mischt der reichste Mann Indiens, Mukesh Ambani, ganz vorn mit. Er hat Erfahrung damit, neuen Technologien zum Durchbruch zu verhelfen: Ambani brachte schon Hunderten Millionen Indern 4G-Internet zu Discountpreisen. Das US-Magazin „Forbes” schätzte sein Vermögen im Jahr 2022 auf gut 90 Milliarden Dollar.
Nun will der Mann, der im Ölgeschäft reich wurde und mit seinem Konglomerat Reliance seither große Teile der indischen Wirtschaft prägt, seine Erfolge mit grünem Wasserstoff wiederholen. Er verspricht, den Kilopreis bis zum Ende des Jahrzehnts unter zwei Dollar zu drücken – ein Bruchteil der aktuellen Kosten. Anfang der 2030er-Jahre sei laut Ambani auch weniger als ein Dollar pro Kilo denkbar.
Milliardär Ambani will riesige Industrieanlage für Wasserstoff bauen
Erreichen will der Multimilliardär das Ziel mit einer 20 Quadratkilometer großen Industrieanlage im westindischen Bundesstaat Gujarat, die massenweise günstige Solarzellen und Elektrolyseure produzieren soll. „Reliance strebt an, Indien zu einem weltweit führenden Hersteller neuer Energien zu machen“, sagte Ambani bei der Hauptversammlung seines Konzerns im vergangenen Jahr.
Billiger Strom aus Solarzellen oder Windkraftanlagen ist zusammen mit billigen Elektrolyseuren der Schlüssel, um die Kosten für die Produktion von grünem Wasserstoff zu senken.
Grüner Wasserstoff wird hergestellt, indem Wasser per Elektrolyse in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgeteilt wird. Dafür braucht man große Mengen Strom aus erneuerbaren Quellen. Länder mit viel Sonne und Wind sind daher für die Produktion von grünem Wasserstoff prädestiniert, der als klimaneutral gilt.
Er ist der Schlüssel zur Dekarbonisierung industrieller Prozesse, kann außerdem den Schwerlast-, Schiffs- und Luftverkehr klimaneutral machen. Industrieländer wie Deutschland werden künftig große Mengen Wasserstoff benötigen, den sie zum größten Teil importieren müssen.
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Der 66-jährige Ambani ist nicht der einzige Geschäftsmann in Indien, der darauf wettet, dass der bisher auf Energieimporte angewiesene Subkontinent mithilfe von grünem Wasserstoff selbst die Weltmärkte beliefern könnte: Neben Reliance haben indische Konzerne wie Indian Oil, Adani Enterprises und Renew Power angekündigt, massiv in die Herstellung des Energieträgers zu investieren. Die geplanten Produktionskapazitäten belaufen sich in einem ersten Schritt auf 3,5 Millionen Tonnen pro Jahr.
Indien soll globale Drehscheibe für Wasserstoff werden
Die Regierung in Neu-Delhi hat sich zum Ziel gesetzt, die Produktion bis 2030 auf mindestens fünf Millionen Tonnen jährlich zu steigern, und will dafür rund zwei Milliarden Dollar an Subventionen bereitstellen. „Unser Ziel ist es, Indien als globale Drehscheibe für grünen Wasserstoff zu etablieren“, sagte Indiens Informationsminister Anurag Thakur Anfang des Jahres. Das Land wolle 2030 mindestens zehn Prozent der weltweiten Nachfrage bedienen.
Indien erhofft sich, mithilfe von ausländischen Investoren die Produktionsmengen deutlich steigern zu können. Mit der Europäischen Union verhandelte das Land Medienberichten zufolge zuletzt über ein Abkommen, das die Lieferung von zehn Millionen Tonnen grünem Wasserstoff pro Jahr vorsieht – bei gleichzeitigen Investitionen aus Europa in die indischen Wasserstoffprojekte.
Industrievertreter aus dem Land verbinden große Erwartungen mit den Gesprächen: „Die bilateralen Abkommen, die derzeit erörtert werden, bieten den indischen Herstellern von grünem Wasserstoff bedeutende Geschäftsmöglichkeiten“, sagte Vineet Mittal, der Chef des indischen Erneuerbare-Energien-Produzenten Avaada.
Inder beteiligen sich an Auktion in Deutschland
Als möglicher Absatzmarkt stößt Deutschland dabei auf großes Interesse. Ein Konsortium aus dem Mineralölunternehmen Hindustan Petroleum und dem Erneuerbare-Energien-Konzern ACME hat sich nach Angaben von Indiens Ölminister Hardeep Singh Puri auf die im vergangenen Jahr von der Bundesregierung initiierte Ausschreibung für den Import von grünem Wasserstoff beworben. Lokalen Medienberichten zufolge ist auch ein weiteres indisches Konsortium um die Konzerne Indian Oil Corporation, Renew Power und das Industrieunternehmen L&T im Rennen.
Eine offizielle Bestätigung von deutscher Seite gibt es nicht, weil die Ausschreibung für den Import von grünem Wasserstoff noch läuft. „H2 Global“, eine von der Bundesregierung ins Leben gerufene Stiftung, verwaltet das Verfahren. Sie bringt potenzielle Produzenten im Ausland mit potenziellen Abnehmern in Deutschland über Differenzverträge zusammen.
Wer im Auktionsverfahren das günstigste Angebot abgibt, bekommt den Zuschlag. Als Abnehmer kommt zum Zuge, wer bereit ist, den höchsten Preis zu zahlen. Die Differenz übernimmt „H2 Global“. Der Stiftung stehen in den kommenden Jahren 4,4 Milliarden Euro für mehrere Ausschreibungsrunden zur Verfügung.
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Stiftungschef Markus Exenberger sagt zwar nichts zu dem laufenden Auktionsverfahren, verweist aber auf die Sondierungen, die der Auktion vorausgegangen waren. „Bei der letzten Marktkonsultation vor den aktuellen Auktionen hatten wir insgesamt 1057 Teilnehmer, von denen überproportional viele aus Indien kamen. Das kann man sicher als nachhaltiges Indiz für das indische Interesse verstehen“, sagte Exenberger dem Handelsblatt.
Doch die Geschäftsanbahnung läuft nicht reibungslos. Die Anforderungen der deutschen Ausschreibung bereiten den Indern offenbar Probleme: Diese seien „restriktiv“, klagte Bhupinder Singh Bhalla, Staatssekretär im indischen Erneuerbare-Energien-Ministerium vor wenigen Wochen. Die Europäer hätten einige Kriterien aufgestellt, die bei der indischen Industrie auf Vorbehalte stießen. Seinen Worten zufolge schaltete sich Indiens Außenministerium ein, um die Differenzen bei der Bundesregierung anzusprechen.
Habeck: Grüner Wasserstoff muss zu europäischen Bedingungen produziert werden
Im Kern geht es um die Frage, welche Kriterien der Wasserstoff erfüllen muss. Die Europäer haben sich strenge Regeln auferlegt. Grüner Wasserstoff darf demnach nur dann als grüner Wasserstoff deklariert werden, wenn es einen engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zwischen Stromerzeugung und Wasserstoffelektrolyse gibt. Außerdem soll der Strom aus zusätzlichen Erneuerbaren-Anlagen kommen.
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Im Kern geht es dabei darum, die Stromnetze zu entlasten und Kannibalisierungseffekte zu vermeiden. Es soll dem Strommarkt zur Wasserstoffherstellung kein Grünstrom entzogen werden, der dann durch Strom aus Kohle- und Gaskraftwerken ersetzt werden muss. Die Anforderungen, die die Europäer an grünen Wasserstoff stellen, gelten nicht nur für innerhalb der EU hergestellten Wasserstoff, sondern auch für in die EU importierten Wasserstoff.
Daran lässt auch Habeck keinen Zweifel: Grüner Wasserstoff, der in die EU eingeführt werde, müsse „nach europäischen Bedingungen produziert werden“, sagte er am Donnerstag in Neu-Delhi. Die EU habe „verhältnismäßig strenge, aber einhaltbare Vorgaben“ entwickelt.
Das sehen die Inder anders. Die Bedingungen seien zu rigide, hört man in Indien. „Die Europäer täten gut daran, den Markthochlauf nicht mit übertriebener Regulierung zu behindern“, heißt es dort.
Finden sich Lieferanten mit Europas Vorgaben ab?
Auch H2-Global-Chef Exenberger sieht das Problem: „Nicht alle Vorgaben lassen sich auf Drittstaaten eins zu eins übertragen.“ Seine Stiftung leiste aber in dieser Hinsicht Pionierarbeit und sorge für eine rechtssichere Interpretation der strengen EU-Vorgaben. Dazu bediene man sich der Hilfe einer Reihe von Fachleuten und stimme sich mit der EU-Kommission ab. Die Auseinandersetzung mit der indischen Seite sei „sehr engagiert“, es bestehe „ein reger Wunsch zum Austausch“.
Ob Inder und andere potenzielle Produzenten wie Australien sich mit dieser – aus ihrer Sicht überflüssigen – Komplexität abfinden? In Indien heißt es jedenfalls mitunter: Die Europäer vergessen, dass ein Land wie Indien nicht auf Abnehmer aus Europa angewiesen ist.
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