Jul 27, 2023
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Proteste nach Justizreform: Staatskrise in Israel strapaziert Partnerschaft mit den USA

Written by Annett Meiritz


Washington Vertrauen ist ein großes Wort, und wenn es um Israel geht, will die US-Regierung es derzeit nicht in den Mund nehmen. Kann sich US-Präsident Joe Biden auf den israelischen Premier Benjamin Netanjahu verlassen? Vertraut er ihm? Das wurde Bidens Sprecherin Katherine Jeanne-Pierre am Dienstag gefragt. Doch sie wich aus. „Beide haben eine langjährige Beziehung“, weiter wollte sie nicht gehen. 

Die USA sind der wichtigste internationale Verbündete Israels und sein größter Waffenlieferant, beide Länder sind seit Israels Staatsgründung vor 75 Jahren eng verbunden: militärisch, ökonomisch, diplomatisch. 

Der frühere US-Sicherheitsberater im Weißen Haus unter Donald Trump, John Bolton, sagte dem Handelsblatt: „Sich in einen innenpolitischen Konflikt Israels einzumischen birgt hohe Risiken für die US-Regierung.“ Israel sei für die USA „und für den gesamten Westen“ als strategischer Partner unverzichtbar. Biden tue deshalb gut daran, das Land nicht unter Druck zu setzen. 

Am Montag hatte die Knesset, das israelische Parlament, für einen Gesetzentwurf gestimmt, der die Handlungsmöglichkeiten des obersten Gerichts stark eingeschränkt. Seitdem erschüttern Proteste das Land, Reservisten, Firmen und Ärzte drohen mit Streiks. Kritiker stufen die Justizreform als Gefahr für Israels Demokratie ein und warnen vor der Einführung einer Diktatur. 

Moody’s warnt vor Standort-Risiken

Die Unruhen könnten aus Sicht der Ratingagentur Moody’s auch den Wirtschaftsstandort Israel gefährden, der unter anderem wegen seines hochinnovativen Tech-Sektors als sehr attraktiv für amerikanische Investoren gilt. Im Jahr 2020 beliefen sich die amerikanischen Direktinvestitionen laut der Forschungsorganisation Bureau of Economic Analysis (BEA) in Israel auf über 40 Milliarden US-Dollar, Tendenz steigend. 

„Es besteht ein erhebliches Risiko, dass die politischen und sozialen Spannungen anhalten, mit negativen Folgen für Israels Wirtschaft und Sicherheitslage“, teilte Moody’s am Dienstag mit. Bislang äußerte sich aber noch keiner der Dutzenden amerikanischen US-Großkonzerne, die in Israel aktiv sind, zu den Geschehnissen. 

Biden hatte nur Stunden vor der Abstimmung in der Knesset versucht, Netanjahu von der Reform abzubringen. Er bat um ein Telefonat und warnte darin vor den „spaltenden Folgen“ – ohne Erfolg. In seiner ersten und bislang einzigen Stellungnahme nannte das Weiße Haus den Beschluss „bedauerlich“. 

Doch dem US-Präsidenten seien die Hände gebunden, erklärt Eric Mandel, Direktor der Washingtoner Denkfabrik Middle East Political Information Network. Er sieht die amerikanisch-israelischen Beziehungen „auf einem Tiefpunkt“, trotzdem dürfe es vorerst keine politischen Konsequenzen geben.

So werden die milliardenschweren Militärhilfen nicht eingeschränkt, stellte die US-Regierung schnell klar. „Es wird keine Kürzung oder Einstellung der Militärhilfe geben, denn unser Engagement für Israel und unsere Verpflichtung gegenüber Israels Sicherheit ist unumstößlich“, teilte das US-Außenministerium mit. 

>> Lesen Sie hier: Netanjahu in der Falle der Radikalen – ein Kommentar

Die USA unterstützen Israel laut US-Außenministerium jedes Jahr mit rund 3,8 Milliarden US-Dollar, davon geht ein beachtlicher Teil in die Abwehr von Raketen und Militärtechnik. Beide Seiten arbeiten am sogenannten Iron-Dome-Programm, um die Bedrohung durch chinesische, nordkoreanische und iranische Hyperschallraketen abzuwehren.

Zwei Gründe, warum die USA an Israels Seite bleiben

Seit der Gründung Israels im Jahr 1948 haben die Vereinigten Staaten laut US-Außenministerium 133 Milliarden US-Dollar an Beihilfen gewährt, so viel wie für kein anderes Land. Außerdem haben die USA in Israel einige ihrer weltweit größten Kriegsreserven stationiert. Im Fall einer Attacke können Munition, intelligente Bomben, Raketen, Militärfahrzeuge und ein Militärkrankenhaus schnell aktiviert werden.

Aus Sicht der US-Regierung sprechen mehrere Gründe dafür, daran nicht zu rütteln: 

  • Brandmauer gegen den Iran: Der Nahe Osten ist politisch instabil, und Israel ist noch immer ein vergleichsweise verlässlicher Partner. Die Freundschaft beider Länder reicht 85 Jahre zurück, als die USA als erstes Land Israel als Staat anerkannten. Die nukleare Aufrüstung und der Terrorismus des Irans werden in den USA als hohes Sicherheitsrisiko gesehen – eine anhaltende militärische Stärkung Israels gilt daher als unverzichtbar. Auch ist der israelische Geheimdienst noch wichtiger für die Amerikaner geworden, seit sie sich aus Afghanistan zurückgezogen haben.
  • Wettrennen um Technologie: Israel ist eine der technologisch am weitesten entwickelten Nationen der Welt. Deshalb dürften die USA neben den Rüstungsgeldern auch ihr wirtschaftliches Engagement kaum zurückfahren. Fast zwei Drittel der mehr als 300 Forschungs- und Entwicklungszentren mit ausländischer Beteiligung in Israel gehören US-amerikanischen Firmen. Doch in den vergangenen Jahren haben chinesische Investitionen in Israel stark zugenommen, China kauft im großen Stil israelische Firmen auf, investiert in Telekommunikation, Künstliche Intelligenz und Cloud-Computing. „Amerika muss in der Region engagiert bleiben oder es riskiert, seinen Einfluss auf einem der wichtigsten geostrategischen Schauplätze zu verlieren“, sagt Experte Mandel.

Zwar gibt es einige Stimmen, die eine Kürzung der Militärhilfen fordern, aus Protest gegen die Justizreform und gegen die Siedlungspolitik der israelischen Regierung, die mit Gewalt gegen palästinensische Zivilisten einhergeht.

Joe Biden

Biden muss eine schwierige Balance aus Kritik und Konfliktvermeidung halten.

(Foto: IMAGO/UPI Photo)

Im Februar hatte der linke Senator Bernie Sanders einen Gesetzentwurf angeregt, nach dem die Israelhilfen an Bedingungen geknüpft werden müssten. Und als der israelische Präsident Isaac Herzog vergangene Woche vor dem US-Kongress eine Rede hielt, boykottierte eine Handvoll demokratischer Abgeordneter den Auftritt.

Die Proteste nach der Justizreform haben die Debatte um die Militärhilfen zumindest neu entfacht. „Wir sitzen still da und beliefern die israelische Regierung mit einem milliardenschweren Polster, während Israel eine Politik verfolgt, die wir ablehnen“, kritisierte der frühere US-Botschafter in Israel, Dan Kurtzer, diese Woche in der „New York Times“.

>> Lesen Sie hier: Gegner der sogenannten Justizreform geben nicht auf

Doch solche Positionen sind in Washington in der Minderheit. „Biden sollte seine Zeit nicht damit verschwenden, sich Gedanken über Netanjahus Justizreform zu machen“, erklärt John Bolton weiter. Die USA sollten sich „in innenpolitische Querelen“ nicht einmischen, und unterm Strich seien die immensen Militärhilfen „eine gute Investition für die Vereinigten Staaten und den gesamten Westen“. 

Netanjahu-Bruder stellt Bidens geistige Fitness infrage

Allerdings könnten sich die Differenzen zwischen den USA und Israel verschärfen, je mehr Bausteine der Justizreform implementiert werden. Erst im März warnte Biden Netanjahu, Israel „könne so nicht weitermachen“, und nannte dessen Regierung „extrem“. Netanjahu reagierte scharf und verbat sich „Druck aus dem Ausland“.

Benjamin Netanjahu

Die Staatskrise in Israel, die Netanjahus rechtsreligiöse Regierung mit einer umstrittenen Justizreform ausgelöst hatte, belastet die Beziehungen zu den USA enorm.


(Foto: dpa)

Nach der jüngsten Kritik des Weißen Hauses ließ sich Benjamin Netanjahus jüngerer Bruder, Iddo Netanjahu, in einem Fernsehinterview dazu hinreißen, Biden Senilität zu unterstellen. „Ich weiß nicht, wie es um seine geistige Verfassung bestellt ist“, sagte er, distanzierte sich aber später von seinen Äußerungen. 

Das Verhältnis zwischen dem 80-jährigen Biden und dem 73-jährigen Netanjahu ist noch aus Bidens Zeit als Vizepräsident von Barack Obama belastet. Obama handelte damals das iranische Nuklearabkommen aus, sehr zum Unmut Israels. „Wir lieben einander, aber wir treiben uns gegenseitig in den Wahnsinn“, sagte Biden einmal über Netanjahu.

Über Monate zögerte die Biden-Regierung damit, Netanjahu ins Weiße Haus einzuladen, erst kürzlich ging eine formale Einladung raus. Stattdessen empfing man zunächst den als moderat geltenden Präsidenten Herzog, der politisch kaum Einfluss hat.

>> Lesen Sie hier: Oberstes Gericht in Israel büßt einen Teil seiner Macht ein

Das Treffen mit Herzog wurde in der US-Hauptstadt als Notlösung wahrgenommen, um die Differenzen zu kaschieren. „Diese Freundschaft ist einfach unzerbrechlich“ sagte Biden, als er seinen Gast begrüßte.

Nur fünf Tage später beschloss Israel die umstrittene Justizreform, entgegen dem ausdrücklichen Rat der USA. 

MehrWie eine Cern-Forscherin gegen Netanjahus Justizreform kämpft



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Politik

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