Kapstadt In Europa und der Sahelzone laufen hektische diplomatische Bemühungen, um einen kriegerischen Großkonflikt in Afrika doch noch zu verhindern. Zugleich versuchen die Staaten Europas, ihre Bürger aus dem Niger zurückzuholen. Inzwischen verließen erste Evakuierungsflüge für französische Staatsbürger das Land, mit denen auch Deutsche zurück nach Europa gebracht wurden.
Nach dem Putsch hat Deutschland mit seinen internationalen Partnern den Druck auf die neuen Militärmachthaber in dem westafrikanischen Land erhöht. So blockierte die Bundesregierung Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit. Auch Frankreich, die EU sowie die Afrikanische Union und der westafrikanische Staatenbund Ecowas drohen den Putsch-Generälen mit Sanktionen – die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas sogar mit militärischer Intervention.
Die Staatengemeinschaft, die von der EU unterstützt wird, hat den Putschisten am Sonntag ein Ultimatum gestellt. Sollte der festgesetzte Präsident Bazoum nicht innerhalb einer Woche wieder eingesetzt werden, werde Ecowas Maßnahmen ergreifen, die auch Gewalt umfassen könnten, hieß es.
Burkina Faso und Mali warnten Ecowas vor einem Eingreifen und drohten, jede militärische Intervention gegen den Niger komme einer Kriegserklärung auch gegen ihre Länder gleich. Am Mittwoch vergangener Woche hatten Offiziere der Präsidialgarde den demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum festgesetzt und für entmachtet erklärt.
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Politische Beobachter fürchten, dass die Eskalation der Krise weitreichende Folgen für die Region und für Europa haben könnte. In der Bundesregierung ist von einem „herben Rückschlag“ die Rede. Die zuletzt in Mali, Burkina Faso und jetzt in Niger abgesetzten Staatschefs galten als prowestliche Verbündete im Kampf gegen den immer bedrohlicheren Dschihadismus in der Region.
Gerade der Niger hatte unter dem nun gestürzten Präsidenten Mohamed Bazoum die bislang erfolgreichste Kampagne gegen die islamistische Bedrohung am Sahel organisiert. Während sich die Lage in Mali and Burkina Faso zuletzt weiter verschärfte, entfielen weniger als zehn Prozent der politischen Morde in den drei Ländern auf den Niger – und das, obwohl das Land zuletzt von der nigerianischen Islamistengruppe Boko Haram infiltriert worden war.
Schon deshalb halten es Beobachter für unwahrscheinlich, dass das neue Militärregime die Sicherheitslage verbessern könnte. Die Putschisten hatten aber genau das als zentrales Argument für ihre Aktion genannt.
Wirtschaftlich ist die Halbwüstenregion des Sahel zwischen Mauretanien und dem Sudan indes für den Westen bedeutsam, gerade auch wegen ihrer Uranvorkommen, die vor allem Frankreich nutzt. So ist kein Land für die Versorgung der europäischen Kernkraftwerke derzeit wichtiger als der Niger. Dennoch besteht keine direkte Abhängigkeit zu dem Land.
Ein Lieferboykott etwa hätte nach Ansicht von Energieexperten keine Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit Europas, da es mit Kasachstan, Namibia und weiteren Staaten mit Uranbergbau genug Alternativen gebe. Außerdem weisen sie darauf hin, dass der ansonsten ressourcenarme Niger das Geld aus dem Uranverkauf dringend braucht.
Laut dem Sahelexperten Alain Antil war der Niger in den vergangenen zehn Jahren mit einem Anteil von zehn Prozent fünftgrößter Uranlieferant Frankreichs. Doch nicht nur die Franzosen profitieren von den großen Uranvorkommen in Niger. Der Euratom-Versorgungsagentur zufolge deckt die gesamte Europäische Union (EU) derzeit knapp ein Viertel ihres Uranbedarfs mit Importen aus dem Niger.
Die Agentur ist eine Organisation der EU, die sicherstellen soll, dass die europäischen Staaten mit ausreichend Material zur Erzeugung von Atomstrom versorgt wird. Euratom zufolge hätte die EU aber auch eine lange Übergangszeit, um im Fall des Falles neue Lieferanten zu finden, denn ihre Lager seien derzeit für drei Jahre gut gefüllt.
Erst im Mai hatte das Unternehmen Orano (früherer Name Areva), das mehrheitlich dem französischen Staat gehört und seit fast 50 Jahren vor Ort aktiv ist, seine Präsenz im Niger für die nächsten Jahre gesichert und eine Partnerschaftsvereinbarung mit der damals noch amtierenden Regierung unterzeichnet. Darin wurde der Betrieb der Somair-Uranmine, der einzig wirklich großen im Land, bis 2040 festgeschrieben.
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Orano selbst beteuert, es gebe keinen Grund zur Sorge. Ein Unternehmenssprecher sagte gegenüber der „Welt“, man habe die Sicherheitsvorkehrungen im Niger erhöht und einen Krisenstab eingerichtet. Der Abbau des Urans gehe weiter, die Mine – eigentlich eine Ansammlung mehrerer großer Gruben – bleibe in Betrieb. Gegenwärtig wird die Somair-Mine von 300 nigrischen Soldaten geschützt, die alle vor Ort präsent sind.
Angst vor dem islamistischen Flächenbrand
Weit wichtiger als das Uran und auch bedrohlicher für Europa ist jedoch ein mögliches Übergreifen der Gewalt auf die Mittelmeerregion und die nordafrikanischen Küstenstaaten. Damit würde der Sahel endgültig zum globalen Sicherheitsrisiko.
Vor allem durch das extreme Bevölkerungswachstum ist dort eine gewaltige, grenzübergreifende Krisenregion entstanden, in der das Recht des Stärkeren wichtiger ist als das Regelwerk des Staates. Der Kampf um die knappen Ressourcen führt immer häufiger zu brutalen Verteilungskämpfen.
So wächst die fast ausschließlich muslimische Bevölkerung im Niger jedes Jahr um fast vier Prozent – die höchste Zuwachsrate der Welt. Jede Frau hat dort heute im Durchschnitt fast sieben Kinder, für Männer gelten große Familien als prestigeträchtig. Ändert sich daran nichts, wird sich die Bevölkerung des Steppenstaates den Uno-Bevölkerungsschätzungen zufolge bis 2050 auf fast 70 Millionen Menschen verdreifachen.
Dabei kann der karge Boden des Nigers nach Ansicht des Demografieexperten Reiner Klingholz seine 23 Millionen Bewohner schon heute nicht mehr ernähren. Die extreme Armut und die hohe Zahl an arbeitslosen Jugendlichen macht es bewaffneten Gruppen leicht, aus einem unerschöpflichen Reservoir Kämpfer zu rekrutieren.
Der gestürzte Präsident Mohamed Bazoum war sich dieser politisch wie kulturell sensiblen Lage in seinem Land bewusst. Bereits in seiner Einführungsrede als Präsident im April 2021 hatte Bazoum die hohe Geburtenrate, anders als die meisten anderen Staatschefs in Afrika, als eine „Schwäche des Landes“ bezeichnet und kritisiert, dass zu viele Mädchen zu früh die Schule verließen und vorzeitig heirateten. Über drei Viertel von ihnen heiraten vor dem 18. Lebensjahr, fast 30 Prozent vor dem 15. Geburtstag.
Auch hat Bazoum immer wieder die Demografie mit den hohen Rekrutierungsraten der Terroristen am Sahel in Verbindung gebracht. Außerdem forderte er den Bau von Internaten, um Mädchen in einem sicheren Umfeld unterrichten zu können.
Vor zwei Jahren hatte der nun gestürzte Präsident seinen Kabinettsmitgliedern die Heirat mit einer zweiten Frau ausdrücklich untersagt. Zeitgleich erklärte er damals die Polygamie zu einer „schlechten Praxis“ – ein unpopulärer Schritt in einem Land, in dem mehr als ein Drittel der Bevölkerung die Vielehe praktiziert.
Zunahme der Migration nach Europa erwartet
In Brüssel ist man auch besorgt, dass durch die Krise neue Migrantenströme entstehen. Seit 2015 kooperiert die EU mit dem Niger – vor allem um die Migrationsroute von der nigrischen Wüstenstadt Agadez nach Libyen zu blockieren.
Sollte die neue Militärjunta diese Vereinbarungen nicht länger einhalten, könnte die Strategie der Europäischen Union zur Eindämmung der Migration über das Mittelmeer zusammenbrechen, sagte der Sahelexperte der Konrad-Adenauer-Stiftung, Ulf Laessing, der dpa. Laut dem Bundesentwicklungsministerium fliehen bereits jetzt jährlich 150.000 Menschen über den Niger in Richtung Europa.
Der Niger ist eines der wichtigsten Transitländer für afrikanische Migranten in Richtung Europa. Viele Menschen flüchten aus den Nachbarländern Mali, Burkina Faso und Nigeria vor den in der Region aktiven islamistischen Terrormilizen.
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