Berlin Keine fünf Minuten dauerte es, bis Gesundheitsminister Karl Lauterbach zufrieden aus der Grünen Apotheke in Berlin-Charlottenburg trat. Der SPD-Politiker wollte sich persönlich davon überzeugen, dass das elektronische Rezept funktioniert. „Es gab keine Schwierigkeiten, keine Probleme“, sagte er vor Journalisten.
Lauterbach will Zuversicht verbreiten, er spricht von einer „Aufholjagd“ bei der Digitalisierung. Deutschland sei in diesem Bereich im Gesundheitswesen noch ein „Entwicklungsland“. Es sei „ehrlich gesagt überhaupt nicht mehr vertretbar, dass wir in der heutigen Zeit noch immer die Rezepte über Papier ausdrucken“.
Das aber ist in Deutschland weiterhin Alltag. Die Aufholjagd, von der Lauterbach spricht, läuft nur langsam an. Seit Juli können gesetzlich Versicherte das elektronische Rezept in Apotheken über einen neuen, einfacheren Weg mit ihrer elektronischen Gesundheitskarte einlösen. Davor waren E-Rezepte anstelle des gewohnten rosa Zettels auch schon über eine Smartphone-App oder einen ausgedruckten QR-Code einlösbar.
Noch aber ist das Interesse verhalten. Seit es die neue Möglichkeit gibt, stieg die Zahl der eingelösten E-Rezepte im Vergleich zum Vormonat zwar um rund 40 Prozent oder um rund 100.000 Verordnungen an. Ob das an dem einfacheren Weg liegt, lässt sich aus den Zahlen aber nicht herauslesen.
Und im Vergleich zu allen eingelösten Rezepten macht die digitale Alternative noch einen geringen Anteil aus. Im vergangenen Jahr lösten die Kassenpatienten bis August rund 300 Millionen Rezepte ein. In diesem Jahr dürften es ähnlich viele gewesen sein, davon aber nur rund 1,6 Millionen auf digitalem Wege.
„Hier muss ich Druck machen“
Es ist also noch ein weiter Weg, bis das elektronische Rezept am 1. Januar 2024 für Ärztinnen und Ärzte zur Pflicht werden soll. Derzeit klagen viele von ihnen noch, dass sie die Verschreibung nicht digital ausstellen können, weil viele Praxisverwaltungssysteme noch nicht über die entsprechende Software verfügen. Lauterbach rief die Unternehmen auf, diese Probleme schnell zu lösen.
Praxen, die sich jedoch trotz funktionierender Technik den Vorgaben verweigerten, drohte er mit Sanktionen. „Hier muss ich Druck machen“, sagte er. Es sei in den vergangenen Jahren viel Zeit bei der Digitalisierung verloren gegangen. „Ich habe mittlerweile kein Verständnis mehr dafür, dass ich aus der Ärzteschaft immer wieder höre, es ist noch zu früh“, sagte er.
Die „Bedenkenträgerei“ müsse enden. Denn das elektronische Rezept verbessere den Arbeitsablauf in den Praxen, bedeute weniger Bürokratie, und Fehler bei der Medikation seien damit unwahrscheinlicher.
Dabei ist der Einlöseweg über die elektronische Gesundheitskarte nur eine Notlösung, denn es war ursprünglich geplant, alles nur über eine App laufen zu lassen.
Arzneimittel-Versandhändler wie das Schweizer Unternehmen Doc Morris sehen sich in Deutschland benachteiligt und fordern einen volldigitalen Zugang zum E-Rezept. Vor rund einem Monat reichte das Unternehmen deswegen Beschwerde bei der EU ein.
Um ein E-Rezept bei einer Onlineapotheke einzulösen, braucht es die App der Gesellschaft Gematik. Die Behörde ist für die Digitalisierung des Gesundheitswesens zuständig und soll verstaatlicht werden. Deren App hat PIN und Kontaktlosfunktion, wird aber kaum genutzt.
Versandapotheken sehen sich deswegen strukturell benachteiligt. Auch für Privatversicherte gibt es noch kein elektronisches Rezept – ein weiteres Hindernis beim Abschied vom Papier.
Dabei drängt die Zeit. De facto hat der Minister das Gesundheitswesen in seiner Amtszeit noch keinen Schritt digitaler gemacht. Pläne für weitere Schritte – etwa für die elektronische Patientenakte (ePA) – existieren bislang nur auf dem Papier. Bis 2025 soll ePA für alle kommen, die nicht widersprechen.
>> Lesen Sie hier: Doc Morris und Shop Apotheke reichen Beschwerde gegen das E-Rezept ein
Ziel ist, dass 80 Prozent der Versicherten das Angebot nutzen. „Der Nutzen wird sofort spürbar“, sagte Lauterbach. Eine wichtige Voraussetzung aber sei, dass alte Befunde vom Start weg in der Akte verfügbar seien. Hier sieht Lauterbach die gesetzlichen Krankenkassen in der Pflicht, die wiederum den Mehraufwand kritisieren.
Ärzte, Forscher und Unternehmen sollen wiederum mit den medizinischen Daten Therapien verbessern und neue Arzneimittel erforschen können. „Wir brauchen die ePA, sodass jeder Arzt sehen kann, welche Untersuchungen gemacht wurden“, sagte er. „Somit gewinnen wir Qualität und Zeit.“ Zudem mieden viele Pharmaunternehmen Deutschland als Forschungsstandort, „weil uns die Daten fehlen“, sagte Lauterbach.
Das werde sich bald ändern. „Dann haben wir eine Digitalisierung, die einem wichtigen Industrieland wie Deutschland gerecht wird.“ Die zugrunde liegenden Gesetze sollen noch Ende August im Bundeskabinett verabschiedet werden.
Mehr: Lauterbachs verschleppte Revolution des Gesundheitswesens
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