Aug 11, 2023
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Edmund Phelps im Interview: „Ich warne davor, den IRA zu kopieren“

Written by Julian Olk

Berlin Edmund Phelps hat vor 62 Jahren eine Regel aufgestellt, die bis heute in keinem Ökonomie-Lehrbuch fehlt. Seine „goldene Regel der Kapitalakkumulation“ besagt einfach gesprochen: Wenn die Zinsen in einer Volkswirtschaft genauso hoch sind wie das Wirtschaftswachstum, ist der Pro-Kopf-Konsum maximal.

Klingt kompliziert, ist es aber nicht: Wirtschaft und Verbraucher können zu viel oder zu wenig sparen, und das hat elementare Folgen für den Wohlstand. Die Regel hat in einer Zeit, in der wie selten zuvor über Investitionen, Zinsen und Staatsschulden gestritten wird, eine besonders hohe Bedeutung, wie Phelps im Handelsblatt-Interview deutlich macht.

Der inzwischen 90-Jährige hat die Ökonomie geprägt wie nur wenige. Nicht nur die Wachstumstheorie, sondern auch die Forschung in den Bereichen Inflation, Innovation und Arbeitsmärkte. 2006 hat ihm das den Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften eingebracht. Auch im hohen Alter ist Phelps nicht müde geworden, überraschende Vorschläge ins Spiel zu bringen – vor allem für Deutschland.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Professor Phelps, mit der goldenen Regel des Wachstums sind Sie in die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften eingegangen. Was lehrt uns die Regel heute?
Ich habe die Regel 1961 entwickelt. Sie besagt, dass eine Nation zu viel sparen und somit zu wenig konsumieren kann. Aber kaum jemand hält sich an diese Regel. Vor allem die westliche Welt hat viel zu viel gespart und zu wenig konsumiert, Unternehmen genauso wie Verbraucher. Das Ergebnis war, dass sich irgendwann eine Sättigung mit Kapital eingestellt hat. Das hat in den vergangenen Jahren zu sehr niedrigen Renditen auf Kapital geführt.

>> Lesen Sie hier: Ampel streitet über neue Finanzierungswege für Steuerentlastungen

Viele Industrienationen fürchten derzeit eine anhaltende Wachstumsschwäche, vor allem Deutschland. Manche sehen den Ausweg in schuldenfinanzierten Investitionsprogrammen. Wie sehen Sie das?
Anders. Es fehlt schließlich nicht an Kapital. Zusätzliche schuldenfinanzierte Investitionen durch den Staat hätten einen sehr geringen oder keinen Nutzen. Natürlich kann es von Zeit zu Zeit Fälle geben, in denen sich ein schuldenfinanziertes Programm lohnt. Aber ein dauerhafter Ausweg ist das nicht.

Aber in vielen Volkswirtschaften folgt die Wachstumsschwäche aus einer Schwäche der Investitionen.
Ich glaube, dass das eine Fehleinschätzung ist. Die Zinsen sind seit Anfang der 1970er-Jahre immer weiter gesunken, weil zu viel gespart wurde und es einen Überfluss an Kapital gab. Es gab zu wenig Konsum, nicht zu wenig Investitionen. Gleichzeitig haben wir eine enorme Verlangsamung des technischen Fortschritts gesehen. Und daraus hat sich die Wachstumsschwäche aufgebaut. Die ist übrigens nicht erst jetzt zu sehen, sondern auch schon vor Coronapandemie und Ukrainekrieg. Das Wachstum bleibt jedenfalls nicht wegen mangelnden Kapitals aus. Da würden kreditfinanzierte Ausgabenprogramme des Staates also auch nicht viel nutzen.

US-Präsident Joe Biden hat mit dem Inflation Reduction Act ein geschätzt 400 Milliarden Dollar schweres Investitionsprogramm aufgelegt, das aus Schulden finanziert wird. Andere Länder schauen neidisch darauf. Sie sehen das anders?
Ja, bislang hat der IRA keine Früchte getragen. Und ich bin auch nicht sicher, ob er das überhaupt irgendwann tun wird.

Eine Reihe von Unternehmensansiedlungen hat Biden aber in die USA gezogen.
Das dürften Einzelfälle bleiben. Wie gesagt, es mangelt nicht an Kapital, auch nicht in den USA. Der Großteil des IRA dürfte deshalb als Mitnahmeeffekte bei den Unternehmen versickern. In manchen Fällen droht der IRA auch private Investitionen zu verdrängen. Das steht in keinem Verhältnis zu den Staatsschulden, die dafür aufgenommen werden müssen. Die USA weisen ein immenses Haushaltsdefizit auf. Diese Situation verschärft sich jetzt noch. Ich warne daher andere Länder davor, den IRA zu kopieren.

Wie gelingt es Ihrer Ansicht nach dann, aus der Wachstumsschwäche herauszukommen?
Wir haben einen Verlust von Werten in der Wirtschaft gesehen, die Innovationen vorangetrieben haben. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hat deshalb so viel Fortschritt gebracht, weil jeder etwas tun wollte, etwas zum Wachstum beitragen wollte, Prozesse voranbringen wollte, Experimente gemacht hat. Das ist abhandengekommen.

Wie lässt sich das zurückholen?
Es braucht eine Reihe von Maßnahmen. Wichtig ist, dass sich Mitarbeiter auf allen Ebenen als Teil des Innovationsprozesses verstehen. In den USA gibt es einige Unternehmen, die ihre Mitarbeiter belohnen, wenn diese aus Eigeninitiative einen Prozess verbessern. So etwas brauchen wir flächendeckend. Es braucht eine neue Perspektive.

Inwiefern?
In vielen Wirtschaftsmodellen wird davon ausgegangen, dass Forschung und Innovation ein abgeschotteter Sektor sind, in dem eine anonyme Masse von Wissenschaftlern forscht. Und der „realen“ Wirtschaft wird der technologische Fortschritt dann von außen auferlegt. Ich denke, dass das kein realistisches Bild der westlichen Volkswirtschaften in ihren glanzvollen Jahrzehnten ist. Damals haben die Menschen in allen Teilen der Wirtschaft gezeigt, dass sie in der Lage sind, Innovationen voranzutreiben, vom ungelernten Arbeiter bis zum Firmenchef. Dieses Thema nimmt einen großen Teil meiner Memoiren „My Journeys in Economic Theory“ ein. Leider gibt es noch keine deutsche Übersetzung des Buches, obwohl diese Erkenntnis gerade den Deutschen helfen würde.

Warum?
Ich kenne die Situation in deutschen Unternehmen heutzutage nicht im Detail. Aber während meiner Forschungszeit hatte ich immer wieder den Eindruck, dass die Wände zwischen den Hierarchien kaum irgendwo so dick sind wie in Deutschland.

Edmund Phelps

Der Ökonom prägte mit seiner Arbeit die Grundlagen der neoklassischen Wachstumstheorie, wandte sich später aber auch anderen Forschungsgebieten zu.

(Foto: imago images / GlobalImagens)

Die wirtschaftliche Schwäche hängt auch mit der hohen Inflation zusammen. Die Inflationsraten in den USA und auch im Euro-Raum gehen zurück, allerdings langsam. Was glauben Sie, wie lange die Inflation noch ein Problem bleibt?
Der Rückgang der Inflationsraten, den wir aktuell sehen, geschieht in einem zufriedenstellenden Tempo. Ich denke schon, dass das Zwei-Prozent-Ziel der Notenbanken in absehbarer Zeit erreichbar ist. In den USA sind wir ja nur noch einen Prozentpunkt entfernt. Auch der Euro-Raum wird sich etwas später in diese Richtung entwickeln. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das angesichts der konjunkturellen Probleme überhaupt das Ziel bleibt.

>> Lesen Sie hier: Niedrigere Zinsen für Klimaschutz-Investitionen?

Was würde das bedeuten?
Ich kann mir gut vorstellen, dass die Zentralbanken schon bei 2,5 Prozent ihren Sieg gegen die Inflation verkünden und keine weiteren Maßnahmen gegen die Inflation nutzen. Und ich finde das in Ordnung. Ich könnte mir vorstellen, dass Inflationsziel dauerhaft auf drei Prozent festzuschreiben. Auch das würde ausreichend Preisstabilität bedeuten.

Jeder Prozentpunkt mehr Inflation erhöht die Unsicherheit in der Wirtschaft und die ökonomischen Kosten.
Klar, aber auch der Kampf gegen die Inflation ist kostspielig. Da muss man die richtige Balance finden. Und die sehe ich etwas höher, als die Notenbanken es traditionell tun.

Die Zinswende gilt insbesondere als Gefahr für die Arbeitsmärkte. Bislang ist davon aber kaum etwas zu sehen, die Beschäftigtenzahlen bleiben enorm hoch. Glauben Sie, dass das so bleibt?
Nein, zumindest nicht im Niedriglohnsektor. Fachkräfte werden immer knapper. Aber bei Arbeitskräften ohne hohen Bildungsabschluss wird sich die Zinswende bemerkbar machen. Die Erwerbspersonenzahl wird durch den demografischen Wandel zwar knapper, aber nicht so knapp, dass es die kompletten Effekte der höheren Zinsen auf die Konjunktur absorbieren könnte.

Braucht es eine politische Reaktion darauf?
Unbedingt. Die privaten und sozialen Kosten der Arbeitslosigkeit sind enorm. Sie führen zu Kriminalität aus Verzweiflung oder Langeweile und zum Absturz ganzer Stadtviertel. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten sind am Ende viel höher als die nicht genutzte Arbeitskraft.

>> Lesen Sie hier: Hamstern der Firmen verhindert Schlimmeres am Arbeitsmarkt – ein Kommentar

Wie sollte die Reaktion aussehen?
Ich plädiere für nicht weniger als ein anderes Grundverständnis in der sozialen Sicherung. In Deutschland geht die Sicherung zwar viel weiter als in den USA. Doch beide Systeme eint ein Problem: Die Arbeitslosenhilfe sichert nur den Lebensunterhalt, dabei sollte sie auch Arbeitsmöglichkeiten eröffnen. Aus diesem Grund bin ich auch strikter Gegner eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Wie lautet Ihr Vorschlag?
Ich bin seit Langem für staatliche Subventionen, um die Lohnkosten für Unternehmen zu senken, die Niedriglohnarbeiter beschäftigen. Direkte Lohnsubventionen sind in Deutschland die Ausnahme. Es gibt sie in eng begrenzten Fällen für Langzeitarbeitslose. Im generellen Sicherungssystem, dem „Bürgergeld“, können Arbeitnehmer ihren Lohn zwar staatlich aufstocken lassen. Lohnsubventionen, die auf direktem Weg die Kosten für das Unternehmen reduzieren, sind jedoch nicht vorgesehen. Das hätte aber den stärksten konjunkturellen Effekt. Unternehmen, die gar nicht produzieren, weil die Erträge die Lohnkosten nicht decken, würden es dann tun.

Aber drohen nicht enorme Mitnahmeeffekte?
Die sind nie ganz zu vermeiden. Aber das sollte es uns wert sein, denn wie ich schon sagte: Die Kosten von Arbeitslosigkeit sind enorm. Das ist meine wichtigste Botschaft: Die Bedeutung, Erfahrung und Belohnung von Arbeit ist unwahrscheinlich hoch. Das sollten wir niemals unterschätzen.

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