Berlin Was haben die Allgäuer Bäckerei Härle, die VW-Batteriesparte Powerco, das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in Sachsen-Anhalt und die holsteinische Stadt Wedel gemeinsam? Als Arbeitgeber bieten sie ihren Beschäftigten die Möglichkeit, ihr Arbeitspensum in vier statt in fünf Tagen zu erledigen.
Von Montag bis Donnerstag schaffen und dann drei Tage frei – für viele ist das eine Wunschvorstellung. In der Realität haben drei von vier Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Fünftagewoche.
Nach einer neuen Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die dem Handelsblatt vorab vorliegt, sind zwar rund zwei Drittel der Beschäftigten hierzulande zufrieden mit der Länge ihrer vereinbarten Arbeitszeiten. Aber rund 28 Prozent der Vollzeitkräfte können sich vorstellen, ihre bestehende Wochenarbeitszeit auf weniger Tage umzuverteilen – ganz nach dem Vorbild der verdichteten Arbeitswoche, wie Belgien sie im vergangenen Jahr eingeführt hat.
Doch wie realistisch und wie sinnvoll ist eine Viertagewoche in Deutschland? Wie verträgt sie sich mit dem Fachkräftemangel und der augenblicklichen wirtschaftlichen Schwäche? Bleiben Härle, Powerco und die Stadt Wedel Ausnahmen – oder taugen sie als Vorbilder für eine schöne neue Arbeitswelt? Ökonomen und Sozialforscher geben darauf die wichtigsten Antworten.
Worum geht es bei der Viertagewoche?
Es muss zwischen zwei Modellen unterschieden werden. In dem einen wird gleichbleibende Arbeitszeit nur neu über die Woche verteilt. „Dem stehen kaum gesetzliche Hürden im Weg“, sagt IW-Ökonom Holger Schäfer.
>> Lesen Sie hier: Weniger Arbeitstage bei gleichem Gehalt: Mehrere EU-Länder testen die Viertagewoche
Das Arbeitszeitgesetz erlaube eine tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden, sofern die werktägliche Arbeitszeit – den Samstag eingerechnet – im Schnitt acht Stunden nicht überschreite. „Eine 40-Stunden-Arbeitswoche mit vier Tagen zu je zehn Stunden wäre somit realisierbar“, sagt Schäfer – sofern der Arbeitgeber mitspielt.
Dieses Modell halten die Gewerkschaften allerdings für wenig tauglich. „Eine Viertagewoche stellt nur dann eine Verbesserung der Situation von Beschäftigten dar, wenn sie mit einer Verkürzung der Arbeitszeit einhergeht“, sagt Bettina Kohlrausch, Direktorin des Forschungsinstituts WSI der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Sonst erhöhten sich der Stress und der zeitliche Druck, weil deutlich mehr Arbeit in kürzerer Zeit erledigt werden müsse. Arbeitnehmer mit niedrigen Einkommen könnten sich eine Arbeitszeitverkürzung aber nur leisten, wenn es dafür auch einen Lohnausgleich gebe, betont Kohlrausch.
Reine Umverteilung oder Kürzung der Arbeitszeit – welches Modell ist realistischer?
„Ich vermute, dass beide Formen der Viertagewoche – also die Umverteilung der Arbeitszeit oder Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich – nebeneinanderstehen werden“, sagt der Leiter des Saarbrücker Instituts für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (Iso), Volker Hielscher.
Es seien sicher nicht alle Branchen und Unternehmen in der Lage, kurzfristig einen Lohnausgleich in der Größenordnung von 20 Prozent zu realisieren, der bei einer Verkürzung von fünf auf vier Arbeitstage anfiele. Allerdings seien in der Vergangenheit auch Arbeitszeitverkürzungen „mit vollem Lohnausgleich“ von den Beschäftigten mitfinanziert worden – nämlich durch einen Verzicht auf Lohnzuwächse.
Potenziale für reale Arbeitszeitverkürzungen ließen sich aber auch durch neu gestaltete Arbeitsprozesse oder Führungs- und Kommunikationsstrukturen heben, sagt der Arbeitssoziologe Eike Windscheid von der Hans-Böckler-Stiftung: „So können beispielsweise Zeitfresser wie etwa überflüssige Meetings identifiziert und mit Blick auf eine Arbeitszeitverkürzung berücksichtigt werden.“
Wie viel würden Beschäftigte gern arbeiten?
Nach aktuellen Umfragen wünschen sich die Beschäftigten im Schnitt eine Wochenarbeitszeit von gut 34 Stunden, wie aus dem jüngsten Arbeitszeitreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hervorgeht. Mehr als jeder Zweite hätte gerne kürzere Arbeitszeiten. Es gibt aber auch viele Teilzeitbeschäftigte, die gerne länger arbeiten würden.
„Die Idee der Viertagewoche greift nicht nur den Wunsch nach einem zusätzlichen freien Tag, sondern auch diese Präferenzen zur Wochenarbeitszeit auf“, sagt Hielscher.
Das Institut der deutschen Wirtschaft hat im Frühjahr in einer Befragung unter knapp 5000 Beschäftigten ermittelt, dass rund zwei Drittel der Vollzeitbeschäftigten ihre vertragliche Arbeitszeit gerne beibehalten würden. Von diesen könnten sich aber 43 Prozent vorstellen, sie in nur vier Tagen abzuleisten.
Führt die Viertagewoche zu einer neuen Zweiklassengesellschaft in der Arbeitswelt?
„Am praktikabelsten scheint die Viertagewoche im Bereich der Wissensarbeit und kreativen Tätigkeiten, wo die Produktivität ohnehin weniger eng an die formelle Arbeitszeit gekoppelt ist und sich die Betriebsabläufe flexibler gestalten lassen“, sagt Simon Jäger, der das Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) leitet.
>> Lesen Sie hier: Ökonom Simon Jäger im Interview – Wie der Arbeitskräftemangel „zu doppelter Dividende führen kann”
Schwieriger werde es dort, wo Dienstleistungen zu festen Zeiten erbracht oder Produktionsstätten durchgängig betrieben werden müssen. Darauf weist auch IW-Ökonom Schäfer hin: Auch ohne Arbeitszeitverkürzung werde es schwierig, wenn das Gros der Beschäftigten plötzlich nur noch von Montag bis Donnerstag arbeiten wolle. Denn irgendjemand müsse ja auch am Freitag Brötchen verkaufen oder Maschinen bedienen.
Wie verträgt sich die Viertagewoche mit dem Fachkräftemangel?
Der Ökonom Alexander Spermann, der an der FOM Köln und der Uni Freiburg lehrt, sieht die Viertagewoche als ein Mittel gegen die Personalknappheit in vielen Unternehmen: „Sie kann betriebswirtschaftlich vorteilhaft sein – und zwar dann, wenn Fachkräfte gewonnen werden können, die sich ohne dieses Angebot nicht beworben hätten.“
Und sie könne in Unternehmen sogar zu Gewinnsteigerungen führen, weil offene Stellen besetzt werden könnten und Management und Beschäftigte ihre Arbeit effektiver organisierten, um die gleichen Aufgaben in kürzerer Zeit zu schaffen, sagt Spermann.
Dass die Produktivität trotz realer Arbeitszeitverkürzung mindestens stabil gehalten werden könne, bewiesen große Pilotversuche wie in den USA oder Irland, sagt Soziologe Windscheid.
>> Lesen Sie hier: Fünf Tipps, wie Sie in weniger Zeit mehr schaffen
Allerdings gebe es bisher keinen Beweis, dass eine Viertagewoche im gesamtwirtschaftlichen Maßstab funktioniere, sagt IW-Forscher Schäfer. Denn um den Produktionsrückgang zu kompensieren, der sich aus einer um ein Fünftel kürzeren Arbeitszeit ergebe, müsste die Stundenproduktivität je Erwerbstätigen schon um 25 Prozent gesteigert werden. Dieses Plus entspreche dem gesamten Produktivitätszuwachs seit 1998.
Außerdem stellt sich bei einer Verkürzung der Arbeitszeit die Frage, woher dann die ohnehin knappen Arbeits- und Fachkräfte kommen sollen. Darüber hinaus wirkt sich eine verkürzte Arbeitszeit auch negativ auf die erworbenen Rentenansprüche aus, sofern sie nicht mit einem Lohnausgleich einhergeht.
Führt die Viertagewoche zu einer höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen?
Eine Viertagewoche würde gerade Eltern entlasten und ihnen mehr zeitliche Spielräume eröffnen, erwartet WSI-Direktorin Kohlrausch. „Ich gehe davon aus, dass diese Spielräume auch genutzt werden, um Sorgearbeit fairer zu verteilen.“ So habe die Pandemie gezeigt, dass Väter in Kurzarbeit die gewonnene Zeit genutzt hätten, um sich um ihre Kinder zu kümmern.
Frauen arbeiteten ja nicht weniger als Männer, nur dass sie eben für die Kinderbetreuung oder die Pflege betagter Angehöriger nicht bezahlt würden. Deshalb könne eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen, wie sie auch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) als Mittel gegen den Fachkräftemangel propagiert, nur funktionieren, wenn sie im Bereich der unbezahlten Sorgearbeit weniger arbeiteten.
„Eine Viertagewoche ist dafür eine wichtige Voraussetzung“, sagt Kohlrausch. Den Wunsch nach flexiblerer Arbeitszeitgestaltung gebe es keineswegs nur in der viel beschworenen Generation Z, betont auch IZA-Chef Jäger.
Unter älteren Beschäftigten gebe es ebenfalls ein wachsendes Bedürfnis, die Erwerbsarbeit mit einem Ehrenamt, der Betreuung von Kindern oder Enkeln oder schlicht mehr Freizeit in Einklang zu bringen. „Insofern ist die Viertagewoche nur ein Zukunftsmodell von vielen, etwa neben hybriden Arbeitsmodellen oder flexiblen Arbeitszeitkonten“, sagt Jäger.
>> Lesen Sie hier: „Katastrophales Signal gegen Kinder“ – Entsetzen über Elterngeld-Kürzung
Künftig werde es auch für Beschäftigte in Branchen mit schwierigen Arbeitsbedingungen, etwa im Gesundheitssektor, in der Logistik oder im Handel, wichtiger, attraktive Arbeitszeitmodelle zu realisieren, betont Iso-Leiter Hielscher. Sonst werde es noch schwieriger, dort Arbeitskräfte zu finden und zu halten.
„Insofern gehören die Themen Arbeitszeitverkürzung und Viertagewoche nicht nur für die Vorreiterunternehmen, sondern auch in der tarifpolitischen Breite wieder auf die Agenda.“
<< Den vollständigen Artikel: Arbeitszeit : Was die Vier-Tage-Woche wirklich bedeuten würde – das sagen Ökonomen >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.