Berlin Eines der prominentesten städtebaulichen Opfer war der Palast der Republik in Berlin. Der frühere Sitz der DDR-Volkskammer wurde 1990 geschlossen und später abgerissen – auch weil er komplett mit Asbest verseucht war. Menschenleben fordern die mikroskopisch kleinen Fasern, die in Deutschland vier Jahrzehnte lang verbaut wurden, bis heute. Rund 1500 Todesfälle werden laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) Jahr für Jahr auf Asbest zurückgeführt, die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen.
Zwar ist die Verwendung von asbesthaltigen Materialien seit 1993 verboten. Doch steckt die krebserregende Substanz noch in Millionen älterer Wohngebäude und Gewerbeimmobilien, die in den kommenden Jahren modernisiert, familien- oder seniorengerecht umgebaut oder energetisch saniert werden.
Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) warnt deshalb nun vor einer „Asbestwelle“ – und fordert Maßnahmen zum Schutz von Baubeschäftigten, aber auch von Wohneigentümern oder Heimwerkern. „Der bevorstehende Sanierungsboom darf nicht zu einer Krankheitswelle führen“, sagte IG-Bau-Vorstandsmitglied Carsten Burckhardt am Donnerstag in Berlin.
Von den 1950er- bis Ende der 1980er-Jahre wurden in beiden Teilen Deutschlands insgesamt rund vier Millionen Tonnen Asbest für die unterschiedlichsten Anwendungen importiert.
Nach Schätzung des Pestel-Instituts aus Hannover, bei dem die Gewerkschaft eine „Situationsanalyse“ in Auftrag gegeben hat, entstanden daraus allein rund 32 Tonnen Asbestzement. Rund drei Viertel der asbesthaltigen Produkte seien immer noch irgendwo verbaut, erklärte Matthias Günther vom Pestel-Institut.
Asbest kann in Eternit-Platten, im Kitt von DDR-Plattenbauten, in Fliesenkleber und Spachtelmasse, in Fußbodenbelägen, der Isolation von Heizungsrohren oder in den Aufzugschächten von Mietshäusern stecken. Es sei sehr wahrscheinlich, dass in den 9,4 Millionen Wohnhäusern, die von 1950 bis 1989 neu gebaut wurden, Asbestbaustoffe zum Einsatz kamen, sagte Burckhardt. Damit wäre mehr als die Hälfte aller Wohngebäude in Deutschland betroffen.
Wann Asbest gefährlich wird
Gefährlich wird der Stoff erst, wenn die verbauten winzigen Fasern in die Luft gelangen. Dafür kann es aber schon reichen, einen Kabelschacht in die Wand zu fräsen, die Fliesen im Bad zu wechseln oder einen Fußbodenbelag zu erneuern.
Werden die Partikel eingeatmet, können sie sich in der Lunge festsetzen und schwerste Atemwegserkrankungen auslösen, die zum Teil erst nach 30 bis 50 Jahren sichtbar werden. Bei einer von Asbest ausgelösten schweren Form des Lungenkrebses liegt die Überlebenswahrscheinlichkeit nur bei 20 Prozent. Knapp 115.000 Beschäftigte verschiedener Branchen sind der BAuA zufolge zudem einem Asbestrisiko ausgesetzt.
Selbst in vielen Handwerksbetrieben sei nicht bekannt, wo überall Asbest enthalten sein könne, sagte Michael Kirsch von der Berufsgenossenschaft Bau (BG Bau). 320 der Asbest-Todesfälle aus dem vergangenen Jahr betrafen aktive oder frühere Beschäftigte aus dem Baugewerbe.
Gut 18.000 Fälle einer möglichen Berufskrankheit wurden der BG Bau im vergangenen Jahr gemeldet. Davon standen rund 2400 im Verdacht, durch Asbest ausgelöst worden zu sein.
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Die IG Bau fordert deshalb die konsequente Einhaltung des Arbeitsschutzes auf den Baustellen. Arbeitgeber müssten bei Sanierungsarbeiten eine Gefährdungsbeurteilung vornehmen und dafür Sorge tragen, dass Beschäftigte Schutzausrüstung tragen und möglichst staubfrei arbeiten.
IG Bau fordert Finanzhilfe für Besitzer von Asbesthäusern
Allerdings gebe es bei den Arbeitsschutzkontrollen der Länder große Defizite, rechnerisch kämen auf einen Kontrolleur momentan 23.000 Beschäftigte, kritisierte Burckhardt. Die Internationale Arbeitsorganisation (Ilo) empfehle eine Quote von einem Kontrolleur für höchstens 10.000 Beschäftigte.
Nötig seien auch Informationskampagnen in Fremdsprachen, die ausländische Bauarbeiter verstehen, und in Baumärkten, um auch Heimwerker für die Gefahren zu sensibilisieren. In ihrer „Asbest-Charta“ fordert die Gewerkschaft zudem die Einführung eines Asbest- oder noch besser eines Schadstoff-Gebäudepasses, in dem auch andere Gefahrenquellen wie beispielsweise verwendete Holzschutzmittel dokumentiert sind.
Vorbild könnte hier Frankreich sein. Im Nachbarland gibt es einen verpflichtenden Schadstoffausweis für Gebäude, der auch Asbest erfasst.
Beim Verkauf eines Hauses, das vor 1997 gebaut wurde, muss in Frankreich ein Untersuchungsbericht vorgelegt werden, aus dem hervorgeht, ob das Haus Asbest enthält. Dies würde aus Sicht der Gewerkschaft auch das Problem illegaler Entsorgung entschärfen.
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Hilfreich wäre aus Sicht der IG Bau aber auch eine „Abwrackprämie“ für Asbesthäuser. Der Staat solle Asbestsanierungen finanziell unterstützen, damit nicht die heutigen Eigentümer von Gebäuden allein für die finanziellen Folgen der Bausünden der Vergangenheit einstehen müssen. Denkbar sei etwa ein von der staatlichen KfW-Bank aufgelegtes Förderprogramm.
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