Berlin Es ist ein sattes Plus, das die Ärzteschaft in den laufenden Honorarverhandlungen mit den gesetzlichen Krankenkassen fordert: Mehr als zehn Prozent verlangt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) für Praxen für das kommende Jahr.
Darüber sollen unter anderem die höheren Ausgaben durch die Inflation und Gehälter finanziert werden. Ansonsten müssten Praxen schließen, warnt die KBV. Die Forderungen entsprechen Mehrausgaben von rund vier Milliarden Euro, die die finanziell klammen Krankenkassen zahlen müssten.
In der vergangenen Woche ging die erste Verhandlungsrunde darüber ergebnislos zu Ende. Die Kassenseite war lediglich zu einem Plus von 2,1 Prozent bereit. Der Ärger darüber ist bei der Ärzteschaft groß. Ende August gehen die Verhandlungen in die nächste Runde.
Die finanzielle Ausstattung der medizinischen Berufe ist längst zum Politikum geworden. Erst vor wenigen Wochen streikten Apotheker, um höhere Honorare durchzusetzen. Auch Kliniken wollen mehr Geld. Ähnlich gereizt ist die Stimmung in den Praxen, aktuell warnen Kassenärzte deutschlandweit vor einem „Praxenkollaps“.
Mehrere Ärzteverbände haben nun auch ihren Unmut in einem Brandbrief an Kanzler Olaf Scholz (SPD) adressiert und insbesondere die Rolle von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kritisiert. Das Schreiben liegt dem Handelsblatt vor.
Ärzte kritisieren Lauterbach
Lauterbachs Ministerium hatte sich mit einem fünfseitigen Papier in die Diskussion eingeschaltet, das steigende Kassenausgaben für die ambulante Versorgung und Mehreinnahmen von mindestens zwei Milliarden Euro für Praxisinhaber während der Coronapandemie aufführt. Das Papier soll die Forderungen der Ärzteschaft einordnen. Die sieht darin aber eine unangebrachte Parteinahme für die Kassenseite.
Das Papier habe man mit „großem Befremden“ zur Kenntnis nehmen müssen, heißt es in dem Brief an Scholz. Unterzeichnet ist er unter anderem von Vertretern des Virchowbunds, des Hartmannbunds, der Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände und des Berufsverbands Deutscher Internistinnen und Internisten.
Angesichts der laufenden Verhandlungen sei das Papier ein „schwerwiegender Eingriff in die Tarifautonomie der gemeinsamen Selbstverwaltung“. Die Einmischung stelle einen klaren Verstoß gegen das staatliche Neutralitätsgebot dar. Die Ärzte verweisen auf Strapazen und zusätzliche Kosten in der Pandemie, die hohe Zahl an Patienten und Impfungen.
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In dem geforderten Honorarplus von 10,2 Prozent sei deswegen auch ein höheres Gehalt für medizinische Fachangestellte in Höhe von monatlich 300 Euro enthalten. Enthalten ist auch eine Inflationsausgleichsprämie von 3000 Euro.
Doch sind die Forderungen der Ärzte gerechtfertigt? Die KBV argumentiert, dass die Honorare zu Jahresbeginn um lediglich zwei Prozent angehoben wurden, weit unter der Inflation. Ohne mehr Geld müssten Ärzte ihre Leistungen zurückfahren, so die KBV.
Praxisinhaber verdienen im Schnitt 85.555 Euro netto
Die gesetzlichen Kassen wiederum weisen auf ihr Defizit hin. „Daher sind die finanziellen Spielräume für höhere Arzthonorare aus den Mitteln der Beitragszahlenden begrenzt“, sagte die Vorsitzende des AOK-Bundesverbands, Carola Reimann, dem Handelsblatt. Zudem seien zusätzliche Zahlungen für energieintensive Praxen schon im vergangenen Jahr geflossen.
Derzeit kommen Praxisinhaber laut Virchowbund durchschnittlich auf ein Nettoeinkommen von 85.555 Euro oder monatlich 7130 Euro. Sie gehören damit in Deutschland zu den Spitzenverdienern. Ruth Maria Schüler vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln sagte deswegen dem Handelsblatt, die Forderungen seien „sehr hoch und sicher so gewählt, um Verhandlungsmasse zu haben“.
Die Frage sei, ob das Gehalt für Ärzte „überhaupt noch der zentrale Kompensationsmechanismus sein kann“. Vielmehr sollte darüber nachgedacht werden, wie man die Arbeitsbelastung von Ärzten im Allgemeinen verbessern könne. „Hier bräuchte es grundlegend neue Ansätze, wie die Arbeit von Ärzten organisiert werden kann“, sagte sie.
Simon Reif, Gesundheitsökonom am ZEW Mannheim, hält eine Anpassung an die Inflation hingegen für ein „berechtigtes Anliegen“, da die Kosten für den Betrieb der Praxen gestiegen seien. Der immer höhere Anteil der Gesundheitsausgaben an der wirtschaftlichen Leistung sei hingegen problematisch. „Hier braucht es systemische Lösungen“, forderte er.
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