Tokio Für Ostasien könnte es eine sicherheitspolitische Zäsur werden, für Joe Biden ein Etappensieg seiner China-Politik: Jahrzehntelang hatten Streitigkeiten zwischen den benachbarten US-Verbündeten Japan und Südkorea die Autorität Amerikas in Ostasien geschwächt, am Freitag könnte diese Epoche der Zwietracht enden: Der US-Präsident hat Japans Regierungschef Fumio Kishida und Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol zum ersten Dreiergipfel in Camp David geladen.
Dass man sich auf dem legendären ländlichen Präsidentensitz trifft, hat Symbolwert: Für Biden ist das Treffen von enormer Bedeutung, in fast schon privater Atmosphäre wird es um Grundsätzliches gehen. Der Gipfel soll laut US-Außenminister Antony Blinken „eine neue Ära der trilateralen Zusammenarbeit einläuten“, künftig werde man militärisch eng kooperieren und jährliche Gipfeltreffen einberufen. Die Botschaft der USA an die Welt ist klar: In Camp David entsteht ein neuer Dreibund, der den neuen Zusammenhalt des Westens verstärken wird.
Nach jahrelanger diplomatischer Funkstille zwischen Japan und Südkorea hatten sich die drei Staats- und Regierungschefs zuletzt lediglich am Rande internationaler Konferenzen gesehen. Nun wollen sie angesichts der veränderten Weltlage eine vertiefte Zusammenarbeit ausloten. Nordkoreas Atom- und Raketenprogramm, Chinas wachsende militärische Ambitionen in Asien, der Handelsstreit der Supermächte, fragile globale Lieferketten: das sind zentrale Themen, um die es in Camp David gehen wird.
Das Treffen findet vor dem Hintergrund massiver Spannungen in Asien statt. Die USA und ihre ostasiatischen Verbündeten sehen sich zunehmend unberechenbaren Staaten gegenüber, die geeint sind in ihrer Feindschaft gegenüber dem Westen. Die aggressiv auftretende Wirtschaftssupermacht China, das säbelrasselnde Nordkorea, das kriegerische Russland – es geht um ein Zusammenrücken in Zeiten geopolitischer Polarisierungen. „Wenn die USA, Japan und Korea an einem Strang ziehen, wird das die strategische Landschaft grundlegend verändern“, sagte der US-Botschafter in Japan, Rahm Emanuel, dem „Wall Street Journal”.
China betrachtet die diplomatische Offensive der USA mit Argwohn. Es gehe Biden darum, ein Bündnis nach dem Vorbild der Nato zu gründen, hieß es in der „Global Times“, dem Sprachrohr der Kommunistischen Partei Chinas. Das sei gefährlich für Japan und Südkorea.
Dass der Gipfel von Camp David in Peking als Affront gesehen wird, liegt vor allem auch am militärischen Potenzial der beteiligten Länder. So leistet sich das nicht zur Nato gehörende Japan die zweimodernste Marine der Welt und dient den USA als Basis für Einsätze in der Region.
Südkorea wiederum hat mit 500.000 Soldatinnen und Soldaten mehr als doppelt so viele Menschen unter Waffen wie Japan und verfügt zudem über 3,1 Millionen Reservisten. Zudem hat sich die südkoreanische Rüstungsindustrie zu einem wichtigen Ausrüster der Nato-Staaten entwickelt.
Hinzu kommt die technologische Stärke der Verbündeten. In der Batterie- und Chipproduktion sind beide Länder wichtige Partner der USA. Bei dem Versuch Washingtons, in der Halbleiterfertigung unabhängig von China zu werden, kommt ihnen eine Schlüsselrolle zu.
Darum sind die Beziehungen zwischen Japan und Südkorea fragil
Bisher scheiterte eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen Südkorea und Japan an einem historischen Trauma. Japan hatte Korea zwischen 1910 und 1945 annektiert, seit dieser Zeit ist die Atmosphäre zwischen den beiden Nationen vergiftet. Nun gilt es, am Lagerfeuer von Camp David dieses Kapitel der Geschichte zu schließen und in eine partnerschaftliche Zukunft aufzubrechen.
Wie verseucht die Beziehungen waren, zeigt die Reaktion von Dennis Wilder, der unter US-Präsident George W. Bush unter anderem für die Asienkontakte der USA zuständig war. Er finde „das Treffen in Camp David überwältigend“, twitterte er unlängst. „Wir hatten damals noch Mühe, die Staats- und Regierungschefs von Südkorea und Japan überhaupt in einen Raum zu bekommen.“
Motor der Wende ist diesmal – ganz ohne amerikanischen Druck – Südkoreas konservativer Präsident Yoon. Gegen öffentliche Widerstände setzt er schrittweise durch, was er angesichts der militärischen Ambitionen Chinas und der Bedrohung durch Nordkorea für richtig hält: eine Annäherung an Japan.
Dafür wählte er am 15. August in einer Festrede versöhnliche Worte, die noch vor Jahren undenkbar schienen. „Korea und Japan sind jetzt Partner, die universelle Werte teilen und gemeinsame Interessen verfolgen.“
Das Gipfeltreffen sei nun ein „neuer Meilenstein in der trilateralen Zusammenarbeit“, der zu Frieden und Wohlstand auf der koreanischen Halbinsel und in der indopazifischen Region beitrage. Der Hinweis auf den Bedeutungszuwachs im indopazifischen Raum wird im Westen meist als Maßnahme gegen den wachsenden Einfluss Chinas verstanden.
Wie stabil ist der trilaterale Pakt?
Die Frage bleibt allerdings, ob die japanisch-koreanische Zusammenarbeit diesmal von Dauer sein wird. Frederic Spohr, Büroleiter der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Südkorea, ist optimistisch: „Sie ist schon stabil, weil sich die Umstände geändert haben.“ Das Konfliktpotenzial bleibe dennoch bestehen, auch weil Japans konservative Regierung kein Interesse an einer kritischen Aufarbeitung der eigenen imperialistischen Geschichte habe.
Japans Regierungschef Kishida lieferte diese Woche ein Beispiel dafür. Er erwähnte in seiner Rede zum Kriegsende zwar das Versprechen Japans, die „Tragödie des Krieges“ nicht zu wiederholen. Die damaligen Aggressionen Japans gegenüber Südkorea klammerte er aber aus. Zudem übergab er eine Opferspende an den umstrittenen Yasukuni-Schrein, der in Korea als Symbol des japanischen Imperialismus gilt.
Solche Aktionen machen den Japan-Kurs des südkoreanischen Regierungschefs angreifbarer. Doch Spohr sagt: „Die Chinesen haben Japan als Feindbild abgelöst.“ Im Jahr 2021 war China in Umfragen erstmals unbeliebter als Japan, eine Reaktion auf die Wirtschaftssanktionen, mit denen Peking Südkorea für politisch unliebsame Entscheidungen bestraft hatte.
Laut einer Umfrage des Sinophone Borderland Project von Ende 2022 haben die Südkoreaner inzwischen sogar das weltweit negativste Bild von China.
81 Prozent der Befragten äußerten negative oder sehr negative Gefühle gegenüber dem Reich der Mitte, im drittplatzierten Japan fällten nur 69 Prozent der Befragten dieses Urteil.
Es ist also die gemeinsame Angst vor China, die alte Rivalitäten in den Hintergrund rückt. Die Zeichen stehen auf Kooperation, militärisch wie wirtschaftlich. Südkoreas Elektronikkonzern Samsung etwa baut seine Forschung in Japan aus – mit Subventionen der japanischen Regierung. Gleichzeitig wird erwartet, dass japanische Zulieferer in die Halbleiterindustrie Südkoreas investieren.
Mehr: „Natoisierung Asiens“ erbost China – Was Japan und Südkorea in Vilnius erreicht haben.
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