Aug 17, 2023
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Familienministerin: Wie Lisa Paus die Koalition in die nächste Krise stürzte

Written by Martin Greive

Berlin Kurz vor der Kabinettssitzung hat der Bundeskanzler persönlich einen letzten Versuch unternommen. Gemeinsam mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) versuchte Olaf Scholz, Familienministerin Lisa Paus (Grüne) davon zu überzeugen, von ihrem Veto gegen Lindners Steuerpaket für Firmen abzurücken. 45 Minuten sprachen die drei – ohne Erfolg. Paus blieb bei ihrem Vorbehalt, das Steuerpaket wurde verschoben. Mit ihrem Knallhart-Kurs stürzt die Familienministerin die Koalition im Alleingang in die nächste Krise.

Nun steht die Frage im Raum, ob Paus die Familienministerin ist, die sich echt was traut. Oder ob sie mit ihrer Blockadehaltung sich, ihrer Partei und der gesamten Bundesregierung einen Bärendienst erwiesen hat.

Während die Öffentlichkeit von Paus bis zu diesem Mittwoch eher wenig mitbekommen hat, ist die Ministerin innerhalb der Ampel schon länger eine Reizfigur. In der SPD, aber vor allem in der FDP war der Frust über Paus schon vor Mittwoch groß.

In beiden Parteien herrscht Ärger darüber, wie Paus die Kindergrundsicherung handhabt, eines der größten Reformprojekte der Ampelkoalition in dieser Wahlperiode und ein Herzensanliegen von SPD und Grünen.

Paus hat bei der Reform den ganz großen Wurf im Sinn. Sie will nicht nur die vielen verschiedenen familienpolitischen Leistungen in der Grundsicherung bündeln. Sie will endlich auch Kinderarmut effizient bekämpfen und dafür Leistungen ausweiten. Zwölf Milliarden Euro forderte sie deshalb von Finanzminister Lindner – allerdings lange, ohne ein konkretes Konzept für die Kindergrundsicherung zu präsentieren.

Wochenlange Zahlendebatte ohne Konzept

Statt darüber zu sprechen, wie armen Kindern am besten geholfen werden kann, wurde wochenlang eine reine Zahlendebatte über Kosten geführt. Vor den Haushaltsverhandlungen Anfang Juli brach der Streit darüber zwischen Paus und Lindner erstmals offen aus. Schon damals hielt Paus die Haushaltsaufstellung für 2024 auf, weil sie versuchte, Lindner mehr Geld für die Kindergrundsicherung abzupressen.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne)

Lindner und Paus streiten sich schon länger über die Kosten der Kindergrundsicherung.


(Foto: Reuters)

Das Duell verlor sie, auch weil Kanzler Scholz sich auf die Seite Lindners stellte und per Brief ein Machtwort an Paus aussprach. Die Familienministerin müsse jetzt schnell ein Konzept vorlegen und die Ampel sich dann bis Ende August auf eines einigen. Finanzminister Lindner reservierte in seiner Finanzplanung aber vorerst nur zwei Milliarden Euro.

Paus ist von Haus aus Finanzpolitikerin. Aufgefallen ist sie aber nie sonderlich. Fachlich genossen Grünen-Finanzpolitiker Gerhard Schick und später Danyal Bayaz, heute grüner Finanzminister in Baden-Württemberg, innerhalb der Fraktionen einen besseren Ruf. Fraktionsinterne Abstimmungen um Ämter gewann Paus dennoch regelmäßig. Geschlechterproporz und Flügelzugehörigkeit spielen auch bei den Grünen eine wichtige Rolle.

>> Lesen Sie hier: Kommentar: Eine Koalition der Kraftlosen regiert Deutschland

Ihr Profil als linke Frau brachte Paus dann auch ins Bundeskabinett, als Anne Spiegel sich im April 2022 wegen ihres Krisenmanagements der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz in Widersprüche verwickelte. Als studierte Volkswirtin und erfahrene Finanzpolitikerin schien die gebürtige Münsterländerin, die ihren Wahlkreis in Berlin hat, für eine komplexe Sozialstaatsreform wie der Kindergrundsicherung aber durchaus als sinnvolle Besetzung.

Doch wie schon als Finanzpolitikerin trat Paus auch nach ihrem Start als Familienministerin zunächst kaum in Erscheinung. Mit Initiativen für Geschlechtergerechtigkeit im Sport und dem Kita-Qualitätsgesetz fand sie wenig Gehör. Innerhalb der Ampel aber rückte Paus zunehmend in den Fokus, je weiter ihre Ideen für die Kindergrundsicherung schritten. Besonders in der FDP.

Revanche an Lindner

Dort wirft man Paus vor, sie versuche, ihre Koalitionspartner mit falschen Zahlen zu täuschen. So nehme Paus etwa an, familienpolitische Leistungen würden nicht mehr in Anspruch genommen, also nicht teurer werden. „Paus plant also ihr eigenes Scheitern ein“, sagt ein Koalitionär. Gleichzeitig stelle die Koalition viel Geld für Digitalisierung der Angebote bereit. Dann, hieß es, braucht sie das Geld für die Digitalisierung ja gar nicht.

Gleichzeitig würden große Teile ihrer Konzepte viel mehr Geld für Familien vorsehen, in denen niemand arbeite. Das sei weder ökonomisch sinnvoll, weil Arbeitsanreize gemindert würden, noch politisch. „Paus’ Ideen bieten der AfD jede Menge Verhetzungspotenzial“, sagt ein Regierungsmitglied.

>> Lesen Sie hier: Gesetzentwurf für Kindergrundsicherung liegt vor

Am Mittwoch sah Paus nun die Gelegenheit zur Revanche an FDP-Chef Lindner. Die Ministerin knüpfte ihre Zustimmung zu dessen Wachstumschancengesetz an ihre Forderung nach mehr Geld für ihre Kindergrundsicherung.

Solange Lindner nicht mehr Mittel für arme Kinder bereitstelle, halte sie Steuererleichterungen für Unternehmen für unangemessen. „Immer wieder heißt es, wir müssten erst mal erwirtschaften, was wir verteilen können“, rechtfertigte Paus ihre Entscheidung in der „FAZ“. Dabei sei es doch umgekehrt: „Wir brauchen gute Rahmenbedingungen für Familien, auch, damit Eltern überhaupt erwerbstätig sein können.“

Paus’ Hartnäckigkeit könnte sich auszahlen

Laut Geschäftsordnung des Bundeskabinetts hat Paus zwar kein offizielles Vetorecht. Doch einfach hinwegsetzen über ihren Vorbehalt wollte Kanzler Scholz sich auch nicht. Das hätte zu noch größerem Ärger innerhalb der Ampel geführt. Denn auch wenn Paus ihren eigenen Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) düpierte, mit dem ihr Vorbehalt nicht einmal abgestimmt war – aus ihrem linken Parteiflügel bekommt sie breite Unterstützung für ihr Vorgehen.

Dass sich Hartnäckigkeit auszahlen kann, hat einst Manuela Schwesig (SPD) bewiesen, als sie sich als Familienministerin vor vielen Jahren mit dem damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) um einen höheren Kinderzuschlag stritt, sich aber durchsetzte. Allerdings agierte Schwesig damals selbst aus Sicht vieler Grüner geschickter als Paus heute mit ihrem Brachialkurs.

„Die Außenwirkung ist fatal, wir wirken wie eine Chaostruppe“, sagt ein grüner Abgeordneter zum Veto von Paus. Es sei wichtig, dass die Kindergrundsicherung kommt, „aber doch nicht so“.

Paus zeigt sich zuversichtlich, dass es bis zur Kabinettsklausur Ende des Monats bei der Kindergrundsicherung eine Einigung geben werde. Dann wird sich zeigen, wer als Sieger aus dem Duell hervorgeht: Lindner oder Paus.

Mehr: Der Ampel-Neustart wird zum Fehlstart



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