Berlin Kanzler Olaf Scholz (SPD) marschiert vorneweg, hinter ihm stellen sich die ersten übrigen Kabinettsmitglieder zum Gruppenfoto auf. Christian Lindner (FDP) drängt durch die anderen nach vorn zum Kanzler und sucht den richtigen Platz, Scholz dirigiert Lindner mit unauffälliger Handbewegung an seine rechte Seite.
Dann kommt Robert Habeck (Grüne) die Treppen runter gejoggt. „Komm Robert“, sagt Lindner und weist Habeck mit ausladender Geste den Platz an Scholz‘ linker Seite zu.
Nicht nur für das Gruppenbild suchte die Ampel bei ihrer Kabinettsklausur in Meseberg nach der richtigen Anordnung. Meseberg soll der Ort sein, in dem die Ampel wieder mehr in Ordnung in den Regierungsalltag bringt.
Schon nach der Sommerpause wollte die Ampel-Koalition die Streitigkeiten der vergangenen Monate hinter sich lassen. Nachdem das durch den Streit um ein Steuerpaket Lindners schief gegangen war, sollte nun in Meseberg der neue Aufbruch gelingen. Mal wieder.
Auf der Abschlusskonferenz vor der prächtigen Kulisse des Schlosses versuchten Scholz, Habeck und Lindner erst gar nicht, die jüngsten Querelen runterzuspielen. Allerdings versicherten sie, dass fortan alles anders sein werde.
Bundesregierung räumt Streitthemen ab
„Wir sind eine Regierung, wo gehämmert und geschraubt wird“, sagt Lindner. „Das führt zu Geräuschen, aber es kommt eben auch was raus.“ Kanzler Scholz ergänzt: „Wir werden das Klopfen und Hämmern mit Schalldämmern ausstatten.“ Damit die die Öffentlichkeit davon weniger mitbekomme.
Habeck betont, verschiedene Blickwinkel seien auch eine Stärke, Kompromisse etwas Gutes, um die Mitte der Gesellschaft stabil zu halten. „Diese Geschlossenheit herzustellen, ist der Geist dieser Klausur gewesen, wie auch die Beschlüsse gezeigt haben.“
Tatsächlich räumte die Bundesregierung vor und auf der Klausur in Meseberg einige Themen ab. Die umstrittene Kindergrundsicherung wurde kurz vor Beginn geeint, Lindners Steuererleichterungen für Unternehmen in Meseberg genauso beschlossen und das Bürokratieabbaugesetz auf den Weg gebracht. Mit all diesen Maßnahmen will die Bundesregierung sich dem Eindruck entgegenstellen, sie tue zu wenig gegen die Wirtschaftskrise.
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Irgendjemandem in der Bundesregierung war dann sogar für Meseberg noch eingefallen, alle Maßnahmen der vergangenen Wochen doch in einen großen „10-Punkte-Plan“ für die Wirtschaft zu gießen, damit das Bündel an Gesetzen wie ein größerer Wurf aussehe.
Doch genau hier beginnen schon die nächsten Probleme. Das Urteil über das Wachstumspaket der Bundesregierung fällt trotz der schönen Verpackung einhellig aus: Die Maßnahmen gingen in die richtige Richtung. „Die jüngste Debatte um den kranken Mann Europas scheint die Bundesregierung aufgeweckt zu haben“, schreibt etwa ING-Ökonom Carsten Brzeski. Allerdings reichten die Ankündigungen nicht aus und könnten „nur der Anfang sein“.
Ampel weiter nicht einig bei der Wirtschaftspolitik
Gerade große internationale Investoren beurteilen Deutschland negativ. „Wir sehen überhaupt nicht, wo und wie Deutschland in den nächsten Jahren wachsen will“, sagt ein Investor, der im großen Stil im Euro-Raum investiert und nicht genannt werden will. „Deutschland braucht einen großen finanziellen Impuls.“
Damit ist ein zentrales Problem der Ampel umschrieben, das auch in Meseberg sichtbar wurde. Alle drei Koalitionspartner haben Ideen, wie die Wirtschaft wieder angekurbelt werden könnte. Nur sind sie alle unterschiedlich.
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Auf der Klausur war die Debatte um einen subventionierten Industriestrompreis kein Thema. Doch beendet ist die Diskussion damit nicht. Während die FDP einen Industriestrompreis strikt ablehnt, sind die Grünen dafür. Und auch die SPD-Bundestagsfraktion erhöht mit einem neuen Beschluss jetzt den Druck, nur sieht ihr eigener Kanzler einen Industriestrompreis weiterhin skeptisch.
Zweimal wird Scholz in Meseberg gefragt, ob er als SPD-Bundestagsabgeordneter den Beschluss seiner eigenen Fraktion mittrage, zweimal gibt Scholz keine Antwort. Der rechts neben Scholz am Pult lehnende Habeck muss schmunzeln, als der Kanzler der Frage auch beim zweiten Mal in Scholz-Manier ausweicht.
Habeck wiederum hat schon im Vorfeld bei den Beratungen um Lindners „Wachstumschancengesetz“ klargemacht, dass er das das Volumen von sieben Milliarden Euro für zu gering hält. Insbesondere gemessen daran, dass die USA ihre Wirtschaft gleichzeitig mit Subventionsprogrammen in einem Umfang von Hunderten Milliarden Euro päppeln.
Lindner: Wachstumschancengesetz nur ein Baustein
Auch Lindner versucht gar nicht erst, sein Gesetz als großen Durchbruch zu verkaufen, sondern spricht lediglich von einem „Baustein“, um die Potenziale der deutschen Wirtschaft zu heben. Dem FDP-Chef schwebt eine „Investitionsagenda“ für mehr Wettbewerbsfähigkeit vor. Anders als Habeck will Lindner aber nicht Unternehmen mit immer mehr Fördermitteln und Subventionen fördern, sondern mit Steuererleichterungen und mehr Abschreibungen – was SPD und Grüne wiederum ablehnen.
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Und der Kanzler? Gefragt nach den nächsten unmittelbaren Reformschritten zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zählt er die Themen auf, die seine Regierung als nächstes angehen werde. Ein Wasserstoff-Netz schaffen, Elektromobilität fördern, noch mehr Bürokratie abbauen. „Das Thema Tempo bietet ein eigenes Wachstumspotenzial“, so Scholz.
Der Kanzler gehörte in Meseberg nicht „zum harten Kern“ der Kabinettsmitglieder, die am Vorabend nach dem traditionellen gemeinsamen Grillen bis um halb zwei zusammensaßen. Am Tag über, so berichtet es ein Kabinettsmitglied, sei die Stimmung zunächst etwas gedämpft gewesen. Der Knoten sei aber abends geplatzt, nachdem die Gesetze durch gewesen und der Gastredner und Soziologe Steffen Mau einen Vortrag gehalten hatte.
Mau habe geschildert, dass die Gesellschaft keineswegs so verändert hat oder gespalten ist, wie man angesichts des Aufstiegs der AfD in den Umfragen vielleicht annehmen könnte. Nur in Teilen gebe es eine Spaltung, die zum Erstarken der AfD beiträgt.
Aber natürlich sei auch der andauernde Streit der Ampel nicht hilfreich gewesen, referierte Mau. Eine einheitliche Kommunikation der Bundesregierung sei entsprechend wichtig, gab der Soziologe den Kabinettsmitgliedern auf den Weg.
Fraglich, ob die Einigkeit der Ampel nun hält
Nach dem Vortrag habe sich eine lebhafte Diskussion entsponnen, sagt ein Beteiligter. Hier habe man ein Gemeinschaftsgefühl gespürt, weil deutlich geworden sei, dass alle drei Koalitionspartner bei allem Streit letztendlich doch einen ähnlichen Blick auf die Gesellschaft hätten.
Die Frage ist nur, wie lange die beschworene Einigkeit hält. Ab jetzt ist das Land im Wahlkampfmodus. Am 8. Oktober wird in Bayern und Hessen gewählt. Im Juni steht dann die Europawahl an, dann im Herbst 2024 drei Landtagswahlen im Osten, bei denen die AfD derzeit in Umfragen vorn liegt. Und dann ist auch schon die Bundestagswahl nicht mehr fern.
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Schon jetzt versuchen die Parteien, ihr Profil zu schärfen. Etwa die SPD-Bundestagsfraktion, die Anfang der Woche mit gleich drei Beschlüssen, die sich gegen die Ampel oder den eigenen Kanzler richteten, für Aufmerksamkeit sorgte.
In Meseberg wollten Scholz, Habeck und Lindner dem keine allzu große Bedeutung beimessen. Fraktionen müssten nun mal eine gewisse Eigenständigkeit auch demonstrieren, waren sich alle drei Spitzen-Vertreter der Ampel einig. Zumindest in diesem kurzen Moment der Harmonie wollten sich Scholz, Habeck und Lindner nicht stören lassen.
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