Salvador Die chilenische Regierung will die erneuerbaren Energien im Land besser nutzen. Noch ist das Stromsystem Chiles stark auf die Verbrennung von Kohle und Diesel ausgelegt. In Zukunft will das Land aber Wind und Sonne in großem Stil nutzen, um damit grünen Wasserstoff zu erzeugen, der vor allem in Europa gebraucht wird.
Der Übergang von einem fossilen auf ein erneuerbares Energiesystem sei schwierig, sagte der chilenische Energieminister Diego Pardow dem Handelsblatt. Chile sei dabei keine Ausnahme: „Aber wir sind schon weit vorangekommen.“ Er sieht Chile in einer besseren Ausgangslage als künftige Konkurrenten auf dem weltweiten Wasserstoffmarkt wie Australien oder Brasilien.
Im Juli hat Pardow einen Gesetzesentwurf für eine Neuregulierung der Strombranche vorgelegt, der den Wandel beschleunigen soll. Dabei geht es vor allem darum, einen grundlegenden Interessenkonflikt aufzulösen.
Zwei Blöcke stehen sich dabei gegenüber: Die konventionellen Produzenten verdienen gut, weil sie für die Sicherung der Grundlast bezahlt werden, wofür sie vor allem Kohlekraftwerke einsetzen.
Gleichzeitig können sie im Norden und Süden, wo sie bisher kaum Anlagen haben, billig den überschüssigen Strom der Erneuerbaren-Produzenten zukaufen. So beliefern konventionelle Anbieter Strom an die großen Bergbaukonzerne in der Atacama-Wüste im Norden, obwohl sie dort kaum Strom produzieren.
Europa baut auf Partnerschaft mit Chile
Die Grünstrom-Unternehmen wiederum beschweren sich, dass sie ihren gewonnenen Strom wegen fehlender oder überlasteter Netze nicht einspeisen können. Wenn sie ihn dann liefern, bekämen sie oftmals keine Vergütung.
Um ihren Lieferverpflichtungen nachzukommen, müssten sie aber in anderen Regionen teuer Strom aus fossiler Erzeugung dazukaufen. Zudem seien sie – die nachhaltig produzierenden Unternehmen – dazu verpflichtet, die Netzstabilität mit Strom aus kohle- oder dieselbetriebenen Kraftwerken zu finanzieren.
Das sind keine guten Bedingungen für weitere Investitionen. In den letzten Jahren flossen fünf Milliarden Dollar in 155 Wind- und Solarparks. Noch ist nicht sicher, ob sie je relevante Gewinne abwerfen.
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Die von Minister Pardow vorgelegte Strommarktreform soll nun überall dort das Tempo erhöhen, wo die Energiewende bisher stockt: Der Planungsprozess soll einfacher werden. Ausschreibungen und der Bau von Hochspannungsnetzen übers Land sollen schneller umgesetzt werden.
Im Norden, wo die Sonnenparks dominieren, sollen Energiespeicher entstehen. Die Kohlekraftwerke sollen bis 2040 schrittweise stillgelegt werden. Zusätzlich soll es eine Entschädigung geben, wenn erzeugter Strom wegen überlasteter Leitungen nicht transportiert werden kann.
Die Produzenten erneuerbarer Energien sind skeptisch: Die von der Regierung angestoßenen Gesetzesänderungen würden an den Problemen vorerst nichts ändern, sagt Lutz Kindermann vom Bremer Wind- und Solaranlagen-Bauer WPD. Erst mittel- bis langfristig würden sie wirksam. „Die Reform ist ein Flickwerk und greift zu kurz.“
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Das Unternehmen hat in Südchile den größten Windpark des Landes gebaut. Auch WPD muss einen nicht unerheblichen Teil seines Stroms kostenlos abgeben, aber in anderen Regionen teuer zukaufen, um seine Lieferverträge einzuhalten. Bei der Reform werde am Marktsystem festgehalten. „So wird in Stein gemeißelt, dass auch in Zukunft ein großer Teil der erneuerbaren Energie zu Nullpreisen vermarktet wird“, kritisiert Kindermann.
Vom Erfolg dieser Reformen wird nun abhängen, ob sich die Energiepartnerschaft zwischen Chile und der EU auszahlt. Im Juni gab EU-Präsidentin Ursula von der Leyen bei ihrem Besuch den Startschuss für eine enge Zusammenarbeit bei grünem Wasserstoff, garniert mit Fördermitteln in Höhe von 225 Millionen Euro.
Doch gleichzeitig ermahnte von der Leyen die chilenische Regierung: Sie habe zwar erste Schritte unternommen, um einen fairen Rahmen für Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien zu schaffen. „Doch die Unternehmen kämpfen weiterhin mit Liquiditätsproblemen“, sagte sie. Sie forderte deshalb „weitere Maßnahmen, um die Situation dieser Unternehmen in Chile zu erleichtern“. Denn die in den letzten Jahren nach Chile gekommenen Produzenten von Strom aus erneuerbaren Energien kämpfen um ihre Existenz.
Finanzierung von Investitionen gestoppt
Er könne die Sorgen der Branche nachvollziehen, sagte Pardow. „Doch in Chile gelten die Regeln der Marktwirtschaft – da kann die Regierung nicht einfach die Rahmenbedingungen ändern.“ Er macht die durch den Angriff Russlands auf die Ukraine gestiegenen Preise für Treibstoffe und Gas sowie eine fünfjährige Dürre für eine „historische Stresssituation im Energiesystem Chiles“ verantwortlich.
Der 43-jährige Anwalt Pardow war zuvor Wahlkampfmanager von Präsident Boric. Als er vor knapp einem Jahr das Ministeramt übernahm, sollte er vor allem vermitteln. Denn in der Branche liegen die Nerven blank.
Die Betreiber der Wind- und Solarparks werfen den vier traditionellen Produzenten vor, ein Oligopol zu bilden. Das sind Colbún aus Chile, Enel aus Italien, Engie aus Frankreich und AES Andes aus den USA. Sie seien mit der Regierung eng vernetzt. Dadurch könne das Erzeugerquartett die Regeln zu seinen Gunsten bestimmen – zum Schaden der neu dazugekommenen Grünstrom-Unternehmen. Außerdem würden die Unternehmen jede Reform bremsen, weil sie durch die Ungleichgewichte blendend verdienen würden.
Pardow rechnet damit, dass die Reform in einem halben Jahr vom Kongress abgesegnet wird. Sicher ist das aber nicht, die Regierung hat dort keine klare Mehrheit. Wie der Vorschlag am Ende von den Abgeordneten geändert wird, ist offen. „So ist das nun mal in der Demokratie“, sagt Pardow.
Für den Minister bestehe anhaltendes Interesse an Investitionen im Energiesektor. Chile sei weiterhin als Standort attraktiv für die Branche. Das Beratungsunternehmen EY stuft das Andenland auf dem Index der Renewable Energy Country Attractiveness auf Platz 14 ein – vor allen anderen Staaten Lateinamerikas. Doch 2015 stand Chile auf dem Index schon mal auf Rang neun.
Chile sei zudem auf gutem Weg bei der Dekarbonisierung seiner Wirtschaft, sagt Pardow. Bis 2050 will Chile klimaneutral sein. Nach den Erhebungen der Umweltorganisation Germanwatch setzt Chile Klimaschutzmaßnahmen sehr effektiv um. Weltweit seien nur Dänemark und Schweden besser.
Doch inzwischen haben internationale Banken, darunter auch die KfW-IPEX, die Finanzierung weiterer Solar- und Windparks in Chile gestoppt, solange deren Rentabilität nicht gesichert ist. Germany Trade and Invest, die bundeseigene Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing beobachtet, dass die unklaren Regeln ein abschreckendes Signal für Firmen sind, die in dem Andenstaat grünen Wasserstoff herstellen wollen.
Kindermann von WPD urteilt: „Mit dem bestehenden Tarifsystem kann Chiles Aufstieg zum weltweiten Wasserstoffexporteur nur schwer gelingen.“
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