Berlin Nach dem Ampelkompromiss sollte das Gezerre von Grünen und FDP um die Kindergrundsicherung zwar beendet sein. Doch eine Prognose von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sorgt nun für die nächste Debatte.
Paus hat eine Einschätzung abgegeben, wie hoch die geplante Kindergrundsicherung für armutsgefährdete Kinder ausfallen könnte.
Im Jahr 2025, dem Startjahr der Reform, würden sich demnach Leistungen von 530 Euro für die kleinsten und bis 636 Euro für die ältesten Kinder ergeben, sagte die Grünen-Politikerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Berücksichtigt sei dabei die angekündigte Regelsatzerhöhung beim Bürgergeld um etwa zwölf Prozent für 2024 und eine angenommene weitere „moderate“ Erhöhung um drei Prozent im Folgejahr.
„Das ist ein guter Betrag, um Kindern ein Stück weit mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit zu verschaffen“, sagte Paus. Bei den Beträgen handelt es sich demnach um die Summe aus dem zukünftigen Kindergarantiebetrag und dem Kinderzusatzbetrag.
Aus der FDP kam postwendend Kritik: „Ich finde nicht hilfreich, jetzt mit neuen Zahlen innerhalb einer Woche wieder Verwirrung zu stiften“, sagte der in der FDP-Bundestagsfraktion für die Kindergrundsicherung zuständige Berichterstatter, Martin Gassner-Herz, dem Handelsblatt.
Bürgergeld wird auf 563 Euro angehoben
Es werde keine systematische Ausweitung der Leistungen geben und die gesicherte Fortentwicklung der Regelsätze für 2024 habe Arbeitsminister Hubertus Heil ja erst vorgestellt.
Gassner-Herz betonte: „Alles darüber hinaus ist zum jetzigen Zeitpunkt spekulativ.“ Der FDP-Politiker forderte: „Wir sollten uns jetzt inhaltlich auf die komplexe administrative Umsetzung konzentrieren und politisch darauf, wie wir Bildungs- und Teilhabechancen im Zuge der Kindergrundsicherung ausbauen.“
Auf Anfrage gab eine Sprecherin des Bundesfamilienministeriums zu: „Die genaue Höhe der Kindergrundsicherung im Jahr 2025 lässt sich heute noch nicht exakt vorhersagen.“ Sie hänge unter anderem von der Preis- und Einkommensentwicklung ab und von der Sonderauswertung des Statistischen Bundesamts zur Neudefinition des Existenzminimums von Kindern.
Auch Experten konnten Paus’ Rechnung nicht in Gänze nachvollziehen. Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) wertete für das Handelsblatt den jüngsten Referentenentwurf aus. Demnach kommt der von der Ministerin genannte Betrag – mit einigen Ungenauigkeiten – zusammen, wenn die fortgeschriebenen Regelbedarfe des Bürgergeldes zusammengerechnet werden mit den pauschalierten Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket von 15 Euro pro Monat und weiteren Leistungen (in der Summe knapp 30 Euro) sowie mit den pauschalierten anteiligen Kosten der Unterkunft – etwa 125 Euro für ein Kind.
Ökonom Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) forderte: „Angesichts der aktuell angespannten Kassenlage und der Herausforderung, Erwerbsanreize nicht zu unterminieren, sollte geprüft werden, ob zielgenauere Instrumente verfügbar sind.“
Die Ampelkoalition will in der Kindergrundsicherung bisherige Leistungen wie das Kindergeld, Leistungen aus dem Bürgergeld für Kinder und den Kinderzuschlag bündeln.
Durch mehr Übersichtlichkeit und mithilfe einer zentralen Plattform sollen auch viele Familien erreicht werden, die bisher wegen Unkenntnis oder bürokratischer Hürden ihnen zustehendes Geld nicht abrufen.
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Ab 2025 soll es für alle Kinder einen sogenannten Garantiebetrag geben. Dieser löst das heutige Kindergeld (250 Euro pro Monat) ab. Dazu kommt je nach Bedürftigkeit ein Zusatzbetrag, gestaffelt nach Alter des Kindes und nach Einkommenssituation der Eltern. Je weniger verdient wird, desto höher soll er ausfallen. Der bisherige Bürgergeld-Anteil für Kinder soll darin aufgehen.
Beim Bürgergeld, dem Nachfolger von Hartz IV, fließen aktuell für Kinder unter sechs Jahren 318 Euro im Monat. Dieser Betrag steigt mit dem Alter, für 14- bis 17-Jährige gibt es 420 Euro. Hubertus Heil (SPD) hatte am Dienstag angekündigt, dass die Sätze 2024 auf 357 Euro für unter Sechsjährige und 471 Euro für 14- bis 17-Jährige steigen sollen.
Dauerstreit über Leistungen
Die Einführung einer Kindergrundsicherung hatte die Ampel schon in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. Zwischen Grünen und FDP war allerdings ein Dauerstreit darüber entbrannt, ob Leistungen erhöht werden sollen oder nicht und wie viel Geld der Staat nun dafür ausgeben soll. Erst in der Nacht zum Montag gab es eine Einigung.
Im Jahr ihrer Einführung 2025 werden von der Ampel nun zunächst rund 2,4 Milliarden Euro Mehrkosten veranschlagt. Aus Regierungskreisen hatte es zudem geheißen, dass bei steigender Inanspruchnahme der Leistungen der Kindergrundsicherung die Kosten in den Folgejahren auch auf bis zu sechs Milliarden Euro steigen könnten.
Die Opposition kritisierte am Donnerstag erneut die Pläne der Bundesfamilienministerin. CDU-Chef Friedrich Merz sagte im rbb24 Inforadio, das Problem könne nicht allein mit höheren Transferleistungen gelöst werden. Es müsse die Frage gestellt werden, woran es liege, dass Kinder in prekären Situationen bleiben.
Merz sagte: „Sollten wir nicht besser mal die Frage stellen: Woran liegt das eigentlich, dass so viele Kinder – teilweise ja schon in der zweiten und dritten Generation – in diesen prekären Verhältnissen bleiben.“ Als „zentrale Ursache“ sieht Merz die mangelnde Bildung und Ausbildung dieser Kinder. Die Antwort darauf müsse sein: nicht ständig höhere Transferleistung, sondern eine bessere Bildungs- und Infrastruktur.
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Mit Blick auf den bürokratischen Aufwand rechnete Merz vor: „2,4 Milliarden sollen ausgegeben werden – 500 Millionen davon für zusätzlichen Verwaltungsaufwand“, sagte der CDU-Chef den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Das zeigt den ganzen Irrsinn!“
Keine weiteren Sozialreformen?
Die FDP machte am Donnerstag auch noch einmal deutlich, dass aus ihrer Sicht nach der Einigung bei der Kindergrundsicherung und der deutlichen Anhebung des Bürgergelds weitere große Sozialreformen für die Ampelkoalition ausgeschlossen sind.
„Die Kindergrundsicherung ist die letzte große sozialpolitische Reform dieser Legislaturperiode“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der „Bild“-Zeitung. „Es kann in der aktuellen Situation, im Angesicht von Inflation und hohen Zinsen, nicht um eine Ausweitung des Sozialstaats gehen.“
Eine „weitere Umverteilung“ dürfe es nicht geben, vielmehr müsse es um das Erwirtschaften gehen. „Dafür müssen die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden und darauf muss von nun an auch der politische Fokus liegen“, sagte Djir-Sarai.
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Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte bereits am Montag bei der Vorstellung der Einigung zur Kindergrundsicherung erklärt, er gehe davon aus, „dass es sich bei der Kindergrundsicherung mit Blick auf die nächsten Jahre um die letzte größere Sozialreform handelt, die noch in den Haushaltsrahmen des Bundes passt.“
Mit Agenturmaterial
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels wurden Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft aufgeführt. Diese wurden jedoch vom Institut zurückgezogen.
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<< Den vollständigen Artikel: Familienministerin: Paus nennt Sätze für Kindergrundsicherung – und erntet Kritik der FDP >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.