München Der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger von den Freien Wählern lehnt einen Rücktritt wegen der sogenannten Flugblatt-Affäre ab. „Ich habe den Eindruck, ich soll politisch und persönlich fertiggemacht werden“, sagte Aiwanger am Donnerstag in München in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz, auf der keine Fragen zugelassen waren.
„Ich bereue zutiefst, wenn ich durch mein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe“, sagte der Freie-Wähler-Chef. „Meine aufrichtige Entschuldigung gilt zuvorderst allen Opfern des NS-Regimes, deren Hinterbliebenen und allen Beteiligten und der wertvollen Erinnerungsarbeit.“
In Bezug auf die Vorwürfe blieb bei Aiwanger bei seinen bisherigen Darstellungen – insbesondere dass er das Flugblatt nicht verfasst habe und dass er sich nicht erinnern könne, als Schüler den Hitlergruß gezeigt zu haben. Gleichzeitig ging er zum Gegenangriff über, beklagte eine politische Kampagne gegen ihn und seine Partei.
Bei den zahlreichen Vorwürfen gegen ihn gehe es um ein „abscheuliches Pamphlet“, das vor 36 Jahren in seiner Schultasche gefunden worden sei. „Und es sind Aussagen aufgetaucht, die den Eindruck vermitteln, ich wäre als Jugendlicher auf einen menschenfeindlichen Weg geraten.“ Aiwanger sagte: „Ich habe als Jugendlicher auch Fehler gemacht.“ Die Vorwürfe lägen 36 Jahre zurück. Er habe das Pamphlet nicht verfasst und distanziere sich „in jeder Form von dem ekelhaften Inhalt“.
„Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Hitlergruß gezeigt zu haben. Ich habe keine Hitlerreden vor dem Spiegel einstudiert“, sagte er. Weitere Vorwürfe wie menschenfeindliche Witze könne er aus der Erinnerung weder vollständig dementieren noch bestätigen. „Sollte dies geschehen sein, so entschuldige ich mich dafür in aller Form.“
Aiwanger sagte aber auch: „Es ist jedoch nicht akzeptabel, dass diese Verfehlungen jetzt in einer politischen Kampagne gegen mich und meine Partei instrumentalisiert werden.“ Von ihm sei in den vergangenen Tagen ein negatives Bild gezeichnet worden. „Das bin nicht ich, das ist nicht Hubert Aiwanger“, sagte der heute 52-Jährige.
Sondersitzung im Landtag
Die Opposition in Bayern will derweil offene Frage im Landtag klären. Landtagspräsidentin Ilse Aigner werde auf Antrag von Grünen, SPD und FDP den sogenannten Zwischenausschuss einberufen, teilte der Landtag am Donnerstag mit.
Die Sitzung ist nach Angaben eines FDP-Sprechers für den 7. September angesetzt. „Hubert Aiwanger muss dem Landtag Rede und Antwort stehen“, sagte Martin Hagen, FDP-Fraktionsvorsitzender. Nur so könnten sich Parlament und Öffentlichkeit ein faires Urteil über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bilden.
„Bei einem stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten darf es nicht mal den Anschein geben, dass es für ihn Alternativen zu unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung gibt“, sagte Ludwig Hartmann, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag. „Stand heute ist Hubert Aiwanger für mich untragbar geworden.“
Bayerns Ministerpräsident Martin Söder hatte Aiwanger am Dienstag einen Katalog mit 25 Fragen vorgelegt, um die Affäre um das antisemitische Pamphlet aufzuklären, dass dieser als Schüler in seinem Ranzen gehabt haben soll. Aiwanger solle diese Fragen „zeitnah“ beantworten, eine konkrete Frist setzte ihm Söder nicht.
Aiwanger selbst hatte am Wochenende Vorwürfe dementiert, als 17-Jähriger das Flugblatt an seiner damaligen Schule verfasst zu haben. Der Chef der Freien Wähler distanzierte sich von dem Inhalt, fügte aber hinzu, er könne sich nicht erinnern, ob er das Papier damals weiterverbreitet habe.
Aiwanger lehnt Rücktritt ab
Am Mittwoch hatte es neue Vorwürfe gegen den bayerischen Vize-Ministerpräsidenten gegeben. Der hatte in einem Interview zudem gesagt, seit seinem Erwachsenenalter sei er „kein Antisemit, kein Extremist, sondern ein Menschenfreund.“ Diese Formulierung hatte neue Kritik ausgelöst.
Merz: Aiwanger muss Vorwürfe schnellstmöglich vollständig ausräumen
Der Unionsfraktionschef im Bundestag, Friedrich Merz, verlangte von Aiwanger eine schnelle und umfassende Aufklärung der Vorwürfe. „Seitdem diese Vorwürfe öffentlich geworden sind, muss ich sagen, bin ich einigermaßen sprachlos über das, was da publiziert worden ist, was da offensichtlich stattgefunden hat“, sagte der CDU-Vorsitzende am Donnerstag bei einer Klausurtagung der engsten Spitze der Unionsfraktion im Bundestag im sauerländischen Schmallenberg, seiner Heimatregion.
Er ergänzte: „Ich hoffe nur, dass Herr Aiwanger die Vorwürfe schnellstmöglich vollständig ausräumen kann, erklären kann.“ Merz sagte weiter: „Ich empfinde diese Sprache als vollkommen unangemessen. Ich empfinde das als verstörend, irritierend, dass so was überhaupt stattgefunden hat.“
Auf die Frage, ob Aiwanger als stellvertretender Ministerpräsident und Minister noch haltbar sei und wie er das Krisenmanagement von Aiwanger beurteile, sagte Merz: „Wie Herr Aiwanger damit umgeht, muss er entscheiden.“ Welche Schlussfolgerungen es daraus gebe für die bayerische Staatsregierung, müsse dort entschieden werden. Merz sagte: „Ich finde es im höchsten Maße verstörend, belastend und auch erschwerend für die gesamte politische Kultur in diesem Land.“
Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte vor Aiwangers Auftritt von einer höchst unschönen Situation gesprochen und gesagt: „Die bisherigen Erklärungen reichen auch schlichtweg nicht aus.“ Aiwanger sei aktuell aufgefordert, weitere Erklärungen abzugeben.
Mehr: Söder geht im Fall Aiwanger einen gefährlichen Mittelweg – ein Kommentar
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