München Am 9. August hatte Romina Pourmokhtari, Schwedens Klimaministerin auf einer Pressekonferenz angekündigt, bis 2045 Atomkraft zubauen zu wollen, die mindestens der Leistung von zehn neuen konventionellen Reaktoren entspreche. Schließlich erfordere die Klimawende mit der Elektrifizierung von Industrie und Verkehr eine Verdopplung der Stromproduktion, so die 27-Jährige Liberale.
In Schweden ist rechtlich geregelt, dass maximal zehn Atomreaktoren gleichzeitig in Betrieb sein dürfen. Und es dürfen keine neuen Reaktoren außerhalb der drei bisherigen AKW-Standorte Forsmark, Oskarshamn und Ringhals gebaut werden, wo insgesamt sechs Reaktoren in Betrieb sind. Diese Begrenzung stehe aber „einem modernen Blick“ auf die Atomenergie im Weg, sagte Pourmokhtari.
Doch nun ist die Pressemeldung über den Bau zehn neuer Reaktoren spurlos von der Seite ihres Ministeriums verschwunden. Das fand laut Angaben der „Taz” in der vergangenen Woche zunächst ein Journalist der Zeitung Aftonbladet heraus, der Pourmokhtari zu ihren Plänen befragen wollte. Weshalb ist die Meldung nun nicht mehr auffindbar – und was bedeutet das für Schwedens groß angekündigte Atomkraft-Offensive?
Plan basierte „ganz offensichtlich“ nicht auf Fakten
„Das ist alles ein großes Rätsel“, sagt Filip Johnsson, Energieexperte der Chalmers University of Technology in Göteborg. „Es ist wirklich kurios, dass die Meldung einfach so von einer Regierungswebseite verschwindet“.
Es sei schon „wundersam genug“ gewesen, wie Pourmokhtari auf die zehn neuen Reaktoren gekommen sei. Auf Fakten habe ihr Plan „ganz offensichtlich“ nicht basiert. Auf Rückfragen sei sie ausgewichen.
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2021 hatte Schweden einen Strombedarf von um die 131 Terawattstunden (TWh). Der werde sich bis 2040 wohl verdoppeln, so Johnsson. „Dafür brauchen wir jetzt zusätzlichen Strom. Den könnte etwa der Ausbau von Windkraft an Land schnell liefern, während ein neuer Atomreaktor mit sehr viel Glück erst im Laufe der 30er Jahre in Betrieb gehen könnte“, so Johnsson. „Es ist also noch völlig unklar, wer, wann und wo neue Reaktoren bauen soll“.
Denn die Kosten für neuen Atomstrom seien im Vergleich zu Strom aus Erneuerbaren mindestens doppelt so hoch, sagt Lars Nilsson, Professor für Umwelt- und Energiesystemen an der Universität Lund. „Ohne massive Subventionen und garantierte Strompreise durch den Staat, wird kein privater Investor das Risiko für einen Neubau übernehmen“. Und falls doch, würde das stark zu Lasten des schwedischen Steuerzahlers gehen.
Immer wieder verzögern sich AKW-Bauprojekte und treiben die Kosten in die Höhe. Wie im französischen Flamanville, im britischen Hinkley Point, oder in Finnland, wo der Reaktor Olkiluoto 3 in diesem Frühjahr mit vierzehn Jahren Verspätung in Betrieb ging.
Nilsson hält Plan für „eher symbolische“ Ankündigung
Die konservative Regierung und ihre rechtspopulistische Unterstützerpartei, die Schwedendemokraten, hatten sich vor Amtsantritt im Herbst 2022 darauf geeinigt, die Atomkraft auszubauen. „Nun müssen sie liefern, weshalb es wohl zu dieser „eher symbolischen“ Ankündigung gekommen ist“, sagt Nilsson. Zu deren Verschwinden habe sich Pourmokhtari bislang nicht geäußert.
Laut Zeitungsberichten habe die Ministerin ihren Neubau-Vorstoß nicht mit der Regierung abgestimmt. Auf Antrag der oppositionellen Grünen soll ein Parlamentsausschuss für Aufklärung sorgen.
Wie aber geht es nun mit dem Ausbau der Atomkraft in Schweden weiter? Schon zu Jahresanfang hatte Ministerpräsident Ulf Kristersson angekündigt, den Bau neuer AKW an mehr Standorten zu ermöglichen. Im Herbst will die Regierung laut Pourmokhtari einen Fahrplan über den Nuklearzubau vorlegen. Bleibt abzuwarten, wie lange sich dieser Plan auf ihrer Website halten wird.
Mit Agenturmaterial
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