Abensberg Gut eine Stunde vor Einlass am Montagmorgen stehen die ersten vor dem „Weissbierstadl“, um Bayerns stellvertretenden Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger (Freie Wähler) auf jeden Fall sehen und hören zu können. Die rund 800 Sitzplätze sind schnell besetzt. Wer gegen zur Zeit des offiziellen Veranstaltungsbeginns noch rein will, kommt zu spät: Der Stadl ist voll, kein Einlass mehr.
Aiwanger hat nicht nur die Schlagzeilen der vergangenen Woche dominiert. Er ist nach der Entscheidung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU), ihn trotz der Flugblatt-Affäre als Vize zu behalten, auch auf dem Gillamoos-Volksfest im niederbayerischen Abensberg der Fixpunkt der politischen Auseinandersetzung – sehr zur Freude seiner Partei.
Die nutzt Aiwangers Gillamoos-Auftritt, um die Geschlossenheit unter den eigenen Anhängern zur Schau zu stellen. Der 52-Jährige wird mit vor Beginn verteilten Schildern begrüßt. Darauf steht: „#Aiwanger“ und „#WirHaltenZam“. „Ich hoffe, dass er ein starkes Gefühl kriegt, dass er sieht, dass Bayern zu ihm hält“, sagt eine Besucherin.
Wenige Meter entfernt hagelt es bei den Oppositionsparteien scharfe Kritik. „Hubert Aiwanger und Markus Söder sind spätestens seit diesem Wochenende keine Vorbilder mehr für junge Menschen, die in der Politik was erreichen wollen“, sagt SPD-Parteichef Lars Klingbeil im Festzelt.
Der Spitzenkandidat der bayerischen Grünen, Ludwig Hartmann, sagt ein Zelt weiter: „Allein der Anschein von Antisemitismus in der Staatsregierung schadet dem Antrieb unseres Handelns.“ Populismus sei „der Feind unserer Demokratie“.
Für den stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Wolfgang Kubicki ist Aiwanger ebenfalls „ein gnadenloser Populist“. Und weiter: „Aber das ist in Bayern ja üblich, der Ministerpräsident Markus Söder ist es ja auch“. AfD-Spitzenkandidatin Katrin Ebner-Steiner bezeichnet Aiwanger gar als Teil des „Systems Söder“. Er spiele nur Opposition, sagt sie. „Aiwanger ist der brüllende Bierzelttiger, der als Schmusekätzchen bei Söder auf dem Arm landet.“
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Das Verteidigen überlässt Aiwanger – anders als so oft in den vergangenen Tagen – seinen Parteifreunden. Bayerns Umweltminister und Aiwanger-Vorredner Thorsten Glauber nimmt dazu die vermeintliche Quelle der Vorwürfe aus dessen Schulzeit ins Visier. Schule sei ein geschützter Raum, es sei ein „Skandal“, dass nun daraus Vorwürfe gestrickt würden, sagt Glauber. „Wer da das Denunziantentum unterstützt, der hat in diesem Land nichts verloren.“
Der parlamentarische Geschäftsführer Fabian Mehring sagt mit Blick auf Aiwanger: „Wir stehen vor dir, wenn von vorne mit Dreck geworfen wird. Und wir stehen hinter dir, wenn von hinten geworfen wird.“
Der Freie-Wähler-Chef selbst erwähnt die Flugblatt-Affäre bei seinem gut einstündigen, mit „Hubert, Hubert“-Sprechchören gefeierten Auftritt mit keinem Wort – ebenso wie Ministerpräsident Markus Söder, der am Sonntag bekanntgegeben hatte, er werde Aiwanger im Amt lassen. Der CSU-Chef nennt den Namen seines Stellvertreters in seiner Rede nicht ein einziges Mal, auch den Koalitionspartner Freie Wähler erwähnt er nicht.
Auf seine umstrittene Entscheidung spielt Söder knapp fünf Wochen vor der Landtagswahl im Freistaat nur kurz an. Am Ende komme es eben auf den Ministerpräsidenten an, dass aus einem „Durcheinander“ aus Meinungen und Stimmungen eine Handlung erfolge. Lob für seinen Kurs zollt ihm CDU-Parteichef Friedrich Merz: Söder habe eine verdammt schwierige Aufgabe gehabt, und die habe er bravourös gelöst. „Sehr gut, genauso war’s richtig, das so zu machen“, sagt Merz.
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Söder will die ganze Flugblatt-Affäre möglichst schnell vergessen machen – wissend, wie schwierig seine Entscheidung pro Aiwanger war und wie kritisch diese von vielen gesehen wird, jedenfalls außerhalb der CSU, denn dort wird sie allgemein als alternativlos verteidigt.
Gut gelaunt, viele Witze, viele kleine und größere Spötteleien, so präsentiert sich der CSU-Chef nach dem Ernst der vergangenen Tage seinen Anhängern. Dass die Zukunft der Koalition in der zurückliegenden Chaos-Woche zeitweise am seidenen Faden hing, soll dieser Auftritt auf dem Gillamoos offenbar vergessen machen.
Die Freien Wähler machen dagegen mit dem „Kampagnen“-Vorwurf Wahlkampf. Was der Vize-Ministerpräsident nun mit dem antisemitischen Flugblatt zu tun hatte, das in seinem Schulranzen gefunden wurde, ist bei den Anhängern dort nicht so wichtig. „Das ist passiert, aus“, sagt ein Besucher. „In unserer Jugend haben wir doch alle mal Blödsinn gemacht.“ Dass Aiwanger das Thema nicht mehr angesprochen habe, sei „genau richtig“, sagt ein Besucher. Das Thema sei ja „geklärt“.
Spätestens am Donnerstag werden sich CSU und Freie Wähler aber noch einmal mit der Affäre befassen müssen. Dann beschäftigt sich der sogenannte Zwischenausschuss im bayerischen Landtag in einer von Grünen, SPD und FDP beantragten Sondersitzung mit den Vorwürfen.
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