Sep 7, 2023
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Gastkommentar: Das Ende der humanitären Interventionen?

Written by pinmin


Die Autorin

Almut Wieland-Karimi arbeitet als Politikberaterin für die Stiftung Mercator und den UN Peacebuilding Fund. Von 2009 bis 2022 leitete sie das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) in Berlin.

(Foto: Getty, PR)

Es gibt eine internationale Interventionsmüdigkeit. Das Scheitern in Afghanistan, Libyen und Irak hat zu großer Ernüchterung in den USA und in ihren westlichen Partnerstaaten, gleich welcher politischen Weltanschauung, geführt. Islamistische Gruppierungen haben triumphiert und die Fehlschläge als Ende der westlichen Vorherrschaft gefeiert. 

In den 1990er- und 2000er-Jahren gab es so viele humanitäre Interventionen wie niemals sonst: Somalia, Bosnien, Haiti, Kosovo, Afghanistan, Irak und schließlich Libyen im Jahr 2011.

Ihre Bilanz fällt unter dem Strich aber eher negativ aus: Obwohl Bosnien und Kosovo als Erfolg wegen der Eindämmung von Gewalt gelten, sind die Konfliktursachen weiterhin ungelöst.

Irak und Libyen sind instabil und für ihre Einwohner unsicher. Die gewaltsamen Tode von Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi haben nicht die erhoffte Freiheit und Sicherheit gebracht.

Interventionsmüdigkeit in den USA hat zum tragischen Ende des Afghanistaneinsatzes im August 2021 geführt. Nach einem 20-jährigen Einsatz mit Tausenden von Toten, Kosten von einer Billion Dollar allein auf US-Seite sowie strategischen Fehleinschätzungen haben die USA im Jahr 2020 das Doha-Abkommen mit den Taliban geschlossen.

Weder die damalige afghanische Partnerregierung noch westliche Verbündete waren daran beteiligt. Die Machtübernahme wurde den Taliban praktisch auf dem Silbertablett serviert. So groß war der Wunsch, die Intervention nur irgendwie zu einem Ende zu bringen.

US-Militär

In den 1990er- und 2000er-Jahren gab es so viele humanitäre Interventionen wie niemals sonst.

(Foto: AP)

So stellt sich die entscheidende Frage: Wirken Interventionen? Zu große Hoffnung und Hybris, Wunschdenken und moralische Überhöhung aufseiten der Intervenierenden haben dazu geführt, dass Herausforderungen unterschätzt und die Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung vernachlässigt wurden.

„Humanitäre Intervention“ ist ein schwieriges Begriffspaar. Gemeint sein kann ein großer militärischer Einsatz, mit zivilen Helfern und humanitärer Unterstützung. Aber auch Drohnenangriffe gelten als Intervention, wie die Tötung des Al-Qaida-Anführers az-Zawahiri in Kabul im letzten Sommer. Hingegen werden Peacekeeping und politische Missionen der Vereinten Nationen (UN) nicht als humanitäre Interventionen begriffen.

Interventionen erfolgen vor allem bei geopolitischen Interessen

Die Wortverbindung „humanitär“ mit „Intervention“ ist zudem irreführend. Solche Interventionen sind vor allem dann erfolgt, wenn geopolitische Interessen dahintersteckten, wie die Bekämpfung von Terrorismus oder die Herstellung von Stabilität in einem bestimmten Land, um Migration zu verhindern und Rohstoffe auszubeuten. 

Sicherlich gab es auch eine humanitäre Komponente dieser Einsätze. Sie war jedoch eher Beifang als Hauptziel.

Im internationalen Recht gibt es eine Widersprüchlichkeit zwischen dem Grundsatz der Nichteinmischung in die Souveränität eines Staates und der Achtung von Menschenrechten. Es soll einerseits nicht in die Hoheitsgewalt von Staaten eingegriffen werden. Andererseits soll die internationale Gemeinschaft, vertreten durch die Vereinten Nationen, das Recht haben, einen Genozid oder andere Gräueltaten gegen Bürgerinnen und Bürger eines Staates zu verhindern – auch dann, wenn diese von der eigenen Regierung verübt werden.

>> Lesen Sie hier: Droht jetzt ein Krieg in der gesamten Sahelregion?

Aktuell hat die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas den Putschisten in Niger mit einer Intervention gedroht, wenn nicht die verfassungsmäßige Ordnung wieder eingesetzt werde. Die Afrikanische Union erlaubt grundsätzlich Interventionen in anderen Staaten. 

Allerdings wird es zur Intervention in Niger, einem bis vor Kurzem großen Hoffnungsträger als Stabilitätsanker in der Sahelzone, wohl nicht kommen: Zu viele Länder wollen dabei nicht mitmachen.

Gleichzeitig werden humanitäre Krisen infolge des Klimawandels massiv zunehmen. Technologische Innovationen wie der Einsatz von Drohnen, Künstlicher Intelligenz und Big Data könnten zu einer größeren Wirksamkeit von humanitären Interventionen führen. 

>> Lesen Sie hier: Weiß Europa, was es in Afrika will?

Auch die Auswertung früherer Interventionen könnte zu besseren realpolitischen Einschätzungen im Vorfeld eines Einsatzes führen. Und die neue Multipolarität könnte zur Folge haben, dass humanitäre Interventionen eher regional erfolgen – ohne die USA oder auch die UN.

Bei aller Gefahr von Vorhersagen: In den nächsten zwei Jahrzehnten wird es wohl nicht zu größeren Interventionen seitens westlicher Staaten kommen. Der politische Wille fehlt. Allein die Ukraine wird zudem große politische und finanzielle Ressourcen des Westens binden.

Allerdings: Totgesagte leben länger. Sollte ein Terroranschlag wie 9/11, ein Genozid in einem multiethnischen Staat oder ein massiver Vormarsch des Islamischen Staates in Zentralasien erfolgen, könnte die Anti-Interventions-Stimmung wieder kippen. Hoffentlich werden dann die gelernten Lektionen aus der Vergangenheit berücksichtigt.

Die Autorin: Almut Wieland-Karimi arbeitet als Politikberaterin für die Stiftung Mercator und den UN Peacebuilding Fund. Von 2009 bis 2022 leitete sie das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) in Berlin.

Mehr: Was wird jetzt aus den Wagner-Einsätzen in Afrika?



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Afghanistan · BOSNIEN · Haiti · International · INTERVENTION · Irak · Kosovo · Krise · Lybien · Militär · Somalia · UN · USA
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Politik

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