Berlin In der Ampelkoalition regt sich Widerstand gegen Pläne aus Brüssel für das EU-Wallet. Dabei geht es um eine digitale Brieftasche, in der alle Bürgerinnen und Bürger wichtige Dokumente etwa auf ihrem Handy ablegen können.
Dazu können beispielsweise der Personalausweis, Führerschein oder die Geburtsurkunde zählen, um sich im Netz gegenüber Behörden, Banken oder Unternehmen wie Fluggesellschaften oder Autovermietern auszuweisen.
Wirtschaft und Politik sehen darin eines der wichtigsten Digitalprojekte in Europa. Es soll gleichermaßen sicher und einfach ermöglichen, was bislang nur mit Papier oder über komplizierte digitale Alternativen funktioniert. In Deutschland setzt das Bundesinnenministerium die Pläne um.
In den laufenden Verhandlungen hat sich die EU-Kommission aber nun dafür ausgesprochen, das Vorhaben in einem zentralen Punkt zu ändern. Demnach soll das vorgesehene Recht gestrichen werden, sich zu authentifizieren, ohne personenbezogene Daten wie den Namen oder das Geburtsdatum weiterzugeben.
Das geht aus dem Text zum laufenden Trilogverfahren über das Gesetz hervor, also der Abstimmung zwischen den EU-Institutionen. Er liegt dem Handelsblatt vor. Ursprünglich sollte ein Recht auf ein Pseudonym überall dort gelten, wo es gesetzlich möglich ist, also etwa auf Videoplattformen oder in sozialen Medien.
„Sollte sich herausstellen, dass dies als Hintertür für eine Klarnamenpflicht missbraucht wird, müssen wir auf nationaler Ebene gegensteuern“, sagte der digitalpolitische Sprecher der FDP, Maximilian Funke-Kaiser, gegenüber dem Handelsblatt. „Denn eine Klarnamenpflicht darf es aus Sicht der FDP im Internet nicht geben.“ Der zuständige Berichterstatter der CDU-Fraktion, Markus Reichel, sieht die Gefahr einer „Klarnamenpflicht durch die Hintertür“.
Der strittige Passus war insbesondere aus Sicht des Europäischen Parlaments wichtig, da er ausschließen sollte, dass Angebote von Konzernen wie Meta oder Google nur noch mit richtigem Namen genutzt werden könnten. Dort sind Millionen Nutzer mit einem Pseudonym angemeldet, um ihre Identität zu schützen.
Verhandlung in „kritischer Phase“
Ein solches Pseudonym soll zwar auch nach dem Willen der Kommission nicht verboten werden können. Kritiker aber sehen die Gefahr, dass Plattformbetreiber dies umgehen, indem sie zum Beispiel den Klarnamen für Authentifizierungen verlangen.
Personen müssten deswegen das Recht behalten, das Internet überall dort anonym zu nutzen, wo gesetzlich nichts dagegen spricht, sagte Funke-Kaiser. „Das ist ein Schutzmantel für politisch Verfolgte oder Minderheiten vor Diskriminierung, extremistischer Gewalt und sexuellen Angriffen.“
Gleichzeitig gebe es keinen Grund für eine Klarnamenpflicht. Die Bundesregierung gehe etwa mit dem Digitalen Gewaltschutzgesetz gegen Hasskriminalität vor.
Die Forderung der EU-Kommission hatte auch Bürgerrechtler alarmiert. In einem Brief der österreichischen Organisation „Epicenter Works“ an Kommissions- und Parlamentsmitglieder heißt es, der jüngste Vorschlag der Kommission sei „alarmierend“.
Unter den derzeitigen Bedingungen sei das EU-Wallet nicht sicher, „und als Mitglieder der Zivilgesellschaft und Europäer, denen der Schutz der Privatsphäre wichtig ist, müssen wir die Bürger vor ihrer Nutzung warnen“, warnt die Organisation in dem Schreiben, das dem Handelsblatt vorliegt.
Denn die Streichung des Rechts auf ein Pseudonym sei ein Geschenk an Unternehmen wie Google und Facebook. „Ohne ein Recht auf frei gewählte Nutzernamen wird das Überwachungsgeschäftsmodell von Big Tech bald die Klarnamen aller EU-Bürger haben, die das EU-Wallet nutzen.“
Ob der Vorschlag der EU-Kommission durchkommt, ist allerdings fraglich. Aus Sicht des EU-Parlamentariers Tiemo Wölken werde es mit dem Europäischen Parlament „eine Klarnamenpflicht im neuen Gesetz zur digitalen Identität“ nicht geben. „Das ist eine Priorität der europäischen Sozialdemokratie bei diesen Verhandlungen und auch klar so im Verhandlungsmandat des Europäischen Parlaments festgehalten“, sagt der SPD-Politiker dem Handelsblatt.
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