Kielce Im Messezentrum der südpolnischen Stadt Kielce ist der Platz knapp, es herrscht dichtes Gedränge. „Wir hätten gerne mehr Ausstellungsfläche gehabt, aber jeder Meter ist ausgebucht“, sagt ein Vertreter des polnischen Rüstungszulieferers Domar.
Die Firma muss sich auf der Rüstungsmesse MSPO mit wenigen Quadratmetern und einigen Tischchen zufriedengeben, während die Großen der Branche wie Lockheed Martin, BAE Systems oder General Dynamics riesige Pavillons aufgestellt haben, teilweise mit einstöckigen Aufbauten, in denen Geschäftspartner bewirtet und Geschäfte abgeschlossen werden.
Insgesamt buhlten auf der MSPO vom 5. bis 8. September mehr als 700 Aussteller aus 35 Ländern um die Aufmerksamkeit der Besucher. Spätestens seitdem Russland im Februar 2022 den Großangriff auf die Ukraine startete, boomt das Rüstungsgeschäft. Laut den Daten des schwedischen Instituts Sipri waren die Waffenausgaben der west- und osteuropäischen Staaten 2022 real berechnet zum ersten Mal höher als 1989, als der Kalte Krieg zu Ende ging. Im Vergleich zu 2013 haben sie um 30 Prozent zugenommen, und fast alle europäischen Länder haben in Aussicht gestellt, die Rüstungsausgaben weiter zu erhöhen.
Dadurch verzeichnen die Rüstungsfirmen nicht nur stark steigende Aufträge: Sie können sich auch über einen Imagegewinn freuen. Bis zum Ausbruch des Ukrainekriegs hatten die Produzenten von Panzern, Artilleriesystemen und Militärtechnologie keinen guten Ruf mehr – sie standen für eine Ära blutiger Feldschlachten, die man in Europa überwunden glaubte.
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Selbst die Banken machten häufig einen Bogen um die Branche. Seit dem vergangenen Jahr seien sie aber wieder zugänglicher für die Rüstungsfirmen, sagt David Chour, der Chef der Holding Czechoslovak Group (CSG). Noch werde man aber nicht wie der zivile Sektor behandelt.
Im Unterschied zu diesem spüren die Firmen allerdings überhaupt keinen Abschwung. CSG ist ein Familienunternehmen und gibt ungern Zahlen bekannt. Nur so viel: Man habe den Ehrgeiz, den Umsatz in diesem Jahr gegenüber 2022 zu verdoppeln.
Das Unternehmen beliefert auch die Ukraine, etwa mit gepanzerten Fahrzeugen, Artilleriesystemen und Munition. Am Stand von CSG steht ein kleiner Lastwagen in Ocker mit Geschützaufbau. Die Farbe zeige, dass das Vehikel eigentlich in einen Wüstenstaat hätte geliefert werden sollen, sagt ein Vertreter des tschechischen Rüstungsindustrieverbands, nun gehe es in die Ukraine.
Der Konkurrenzkampf der Länder um Rüstungsgüter ist heftig. Vor dem Ukrainekrieg hätten die Staaten Bestellungen immer wieder hinausgezögert, nun könne es ihnen nicht schnell genug gehen, meint Jan Zemlicka, Verkaufsmanager der tschechischen Firma Era.
Laut Werbung stellt sie Radarsysteme mit einer Reichweite von 400 Kilometern her. Vor 1989 haben die Anlagen von Era in die alte Bundesrepublik hineingehorcht, nun wachen sie in die entgegengesetzte Richtung. Die russische Attacke auf die Ukraine habe laut Zemlicka erneut gezeigt, dass es jedem Angreifer zunächst darum gehe, die Radaranlagen des Feindes zu zerstören, um ihm die Orientierung zu nehmen.
Lieferketten wegen der hohen Nachfrage strapaziert
Der Ukrainekrieg hat für die Rüstungsindustrie eine Zeitenwende eingeläutet. Gewisse Entwicklungen erinnerten dabei an die Pandemie, sagt Remigiusz Wilk von der WB Group. Damals habe auch jedes Land zuerst auf sich geschaut, dieses Verhalten sehe man jetzt auch bei den Rüstungskäufen. Jede Armee will die Erzeugnisse der nationalen Rüstungsindustrie möglichst als erste erhalten. „Der Egoismus begann mit dem Ukrainekrieg.“
Darunter leidet die Arbeitsteilung in der Industrie, zumal die Lieferketten infolge der hohen Nachfrage ohnehin strapaziert sind. Die Hersteller wetteifern um Arbeitskräfte und Komponenten. Deshalb holt CSG die Mitarbeiter sogar von den Philippinen nach Tschechien. Und um sich die begehrten Bestandteile zu sichern, sind die Unternehmen dazu übergegangen, Zulieferer gleich ganz zu übernehmen – sicher ist sicher. Auch die WB Group hat bereits Akquisitionen aus diesem Grund getätigt.
Das Unternehmen stellt unter anderem sogenannte Warmates her, ferngesteuerte und unbemannte Kleinflugzeuge, die mit einem Sprengkopf ausgerüstet sind. Vor dem Ukrainekrieg hat die WB Group jährlich 100 bis 200 solche Geräte verkauft, in diesem Jahr werden es 2000 sein, im kommenden mindestens 4000, vielleicht aber auch 6000.
Der Hauptkunde von WB ist Polen. Das Land ist auch sonst ein heftig umworbener Geschäftspartner. General Dynamics wirbt am Stand mit dem Slogan „Equipping Poland. Securing Europe“ um die Gunst der polnischen Regierung. Deren Absicht ist es, die Rüstungsausgaben in diesem Jahr auf vier Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) zu heben, was im internationalen Vergleich viel ist. In Deutschland lag dieser Wert 2022 lediglich bei 1,4 Prozent.
Laut Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sollen die Länder des Bündnisses mindestens zwei Prozent des BIP für die Verteidigung ausgeben. Aber Polen will sich damit nicht zufriedengeben. „Wir sind die Frontlinie der europäischen Verteidigung“, sagt ein Rüstungsvertreter des Landes. Und ein britischer Soldat im Tarnanzug, der offenbar an den Stand von UK Defence & Security Exports abkommandiert worden ist, meint: „Alle sollten es so machen wie die Polen.“
Polen will möglichst viele Rüstungsgüter selbst produzieren
Dabei will sich das Land von ausländischen Lieferanten möglichst unabhängig machen. „Polen will möglichst viel selbst produzieren“, sagt Mateusz Roszkiewicz von der staatlichen Rüstungsholding PGZ. Noch ist die Rüstungsindustrie des Landes aber nicht in der Lage, die Produktion so rasch hochzufahren, wie das die Regierung wünscht.
Polen bezieht derzeit viele Rüstungsgüter aus Südkorea, etwa Kampfflugzeuge. Das asiatische Land ist als „Lead Nation“ Ehrengast der MSPO und mit einer großen Delegation vertreten. Südkorea grenzt an einen unberechenbaren Nachbarn, Nordkorea, und fürchtet die Großmacht China. Entsprechend schlagkräftig und modern ist die Armee des Landes ausgerüstet.
Polen sieht sich in Europa in einer ähnlichen Situation. Vor allem ist Südkorea aber in der Lage, rasch Waffen zu liefern; anders als in den Nato-Ländern hat man dort die Rüstung nie zurückgefahren.
Am Abend nach Messeschluss herrschen auf den Straßen rund um das Ausstellungsgelände Stau und Durcheinander. Kielce ist zwar eine Großstadt mit 200.000 Einwohnern, die dürftige Verkehrsinfrastruktur ist dem Ansturm der Industrievertreter aber nicht gewachsen. Sie werden in Kleinbussen transportiert oder quetschen sich in die selten fahrenden öffentlichen Busse. Investitionen täten auch hier not. Doch dafür ist zu wenig Geld da.
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