Brüssel, Luxemburg Margrethe Vestager will die Europäische Investitionsbank (EIB) neu ausrichten, wenn sie zur neuen Präsidentin der Förderbank gewählt werden sollte. Sie bewerbe sich nicht nur um einen Job, sondern um ein Mandat zur Reform, sagte sie im Interview mit dem Handelsblatt. Die Bank müsse schneller werden und mehr Risiko eingehen.
Einen besonderen Fokus will sie auf den Technologiesektor legen. Es gebe ein „Loch“ im Markt, sagt die langjährige EU-Wettbewerbskommissarin.
Es mangele an europäischer Finanzierung, wenn Start-ups eine bestimmte Größe erreichten und ihre Produktion skalieren wollten. „Manche Dinge werden in Europa nicht finanziert“. Unternehmer suchten sich ihr Kapital dann in den USA, in Singapur oder Saudi-Arabien.
Dabei mangelt es aus ihrer Sicht nicht an privatem Kapital in Europa. Es müsse nur „aktiviert“ werden.
Die EIB könne neue Finanzprodukte mit großen Pensionsfonds und Family-Offices entwickeln, sagt sie. Diese hätten ein Interesse daran, Start-ups langfristig zu unterstützen.
EIB kann Rolle bei Aufbau von KI-Industrie spielen
Das Geschäftsmodell der Förderbank in Luxemburg besteht seit Langem darin, günstige Kredite für strategische europäische Ziele zu vergeben, um ein Vielfaches an privatem Kapital zu mobilisieren („Crowding-in“). Ein Engagement der EIB gilt anderen Investoren als Gütesiegel, weil die Bank ihre Projekte sehr genau prüft.
Auch beim Aufbau einer europäischen KI-Industrie sieht Vestager eine Rolle für die Bank. Die EIB könne nicht einen ganzen Sektor begründen, sagt sie. Der Antrieb zur Gründung müsse schon aus den Unternehmen und Universitäten kommen. „Aber die Bank kann als Geldgeber bereitstehen für Unternehmen, die Künstliche Intelligenz entwickeln, erforschen, benutzen wollen.“
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Die Dänin hat sich kürzlich beurlauben lassen, um sich auf ihren Wahlkampf zu konzentrieren. Seit einigen Tagen tourt sie durch Europas Hauptstädte, um Unterstützer zu sammeln. Vergangene Woche war sie in Berlin und hat Finanzminister Christian Lindner (FDP), Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) getroffen. Dem Vernehmen nach ist sie dort gut angekommen.
EU-Finanzminister beraten über EIB-Kandidaten
Ihre Hauptkontrahentin für das Amt der Präsidentin ist die spanische Wirtschaftsministerin Nadia Calviño. Die parteilose Politikerin wirbt mit einem ähnlichen Profil als prominente Reformerin und gilt als Favoritin.
Am Samstag wollen die 27 EU-Finanzminister bei einem informellen Treffen im spanischen Santiago de Compostela über die Spitzenpersonalie beraten. Eine Entscheidung wird noch nicht erwartet, wohl aber ein erstes Stimmungsbild.
Neben Calviño und Vestager stehen noch drei weitere Kandidaten zur Auswahl: der frühere italienische Notenbanker Daniele Franco sowie zwei Stellvertreter des amtierenden EIB-Präsidenten Werner Hoyer: die Polin Teresa Czerwinska und der Schwede Thomas Östros. Es wird erwartet, dass sich das Feld schnell auf die beiden prominenten Köpfe Calviño und Vestager reduziert.
Die siegreiche Kandidatin muss mindestens 18 Länder hinter sich versammeln, die zudem mindestens 68 Prozent des EIB-Kapitals repräsentieren. Deutschland, Frankreich und Italien kommt mit einem Anteil von jeweils 18,8 Prozent ein besonderes Gewicht zu.
EIB-Chef Hoyer: „Ich wünschte mir mehr Mut von Anteilseignern“
Die Tatsache, dass prominente Köpfe wie Vestager und Calviño um den Posten kämpfen, zeigt, wie sehr die EIB in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Sie finanziert alle europäischen Großprojekte von Offshore-Windparks bis hin zum Wiederaufbau der Ukraine.
Das zunehmende Gewicht der Bank lässt sich an den Zahlen ablesen: Die Kreditsumme ist unter Hoyer von 52 Milliarden auf 72,5 Milliarden gestiegen. Die Zahl der Mitarbeiter hat sich von 1600 auf 4100 erhöht.
FDP-Politiker Hoyer, der zum Jahresende nach zwölf Jahren ausscheidet, sagt stolz: „Damals war die EIB in den Wäldern von Luxemburg gut versteckt. Wir haben sie ins Bewusstsein der politischen Öffentlichkeit gerückt.“
Die implizite Kritik Vestagers an der bisherigen EIB-Arbeit weist er zurück. „Der Anteil an risikoreichen Projekten ist um ein Vielfaches gestiegen“, sagt er.
„Dass wir nicht noch mehr Risiken eingehen können, liegt auch daran, dass die Kommission und die Mitgliedstaaten nicht immer dynamisch agieren. Ich wünschte mir bei unseren Anteilseignern manchmal ein bisschen mehr Mut“, sagt Hoyer. Er hoffe jedenfalls, dass seine Nachfolgerin noch mehr Risiko eingehen könne.
Vestager will Risikokapitalarm ausbauen
Hoyer warnt seit Langem davor, dass Europa bei den Investitionen von den USA und China abgehängt wird. „Wir ruhen uns auf den Innovationen der Vergangenheit aus“, sagt er. „Wir fallen von Tag zu Tag gegenüber den USA und China zurück, was die Investitionstätigkeit angeht. Wir sind einfach zu lahm.“
Der Europäische Investitionsfonds (EIF), der Risikokapital-Arm der Bank, machte vergangenes Jahr 9,2 Milliarden der Gesamtkreditsumme von 72,5 Milliarden Euro aus. Dieses Jahr soll er auf 13 Milliarden Euro anwachsen.
Vestager sieht den EIF als ausbaufähiges Modell. Der Fonds zeige, wie die Bank mehr Risiken eingehen könne, sagt sie. Ein gutes Risikomanagement stelle sicher, dass es sich stets um kalkulierte Risiken handelt. Trotz ihrer Tech-Begeisterung betont sie, dass die beiden größten Aufgaben der Bank der Kampf gegen den Klimawandel und der Wiederaufbau in der Ukraine blieben.
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Sie weiß auch, worauf es ihrem Publikum, den Finanzministern, ankommt. Auf eine mögliche Kapitalerhöhung der Bank angesprochen, sagt sie: „Erstmal müssen Sie sehen, was Sie mit dem bestehenden Kapital machen können. Man sollte den Ehrgeiz haben, mehr zu machen, ohne um zusätzliches Kapital zu bitten.“
Schon am Mittwoch könnte eine andere Personalie entschieden werden, die das Rennen um den EIB-Posten beeinflussen dürfte. Der EZB-Rat in Frankfurt will die neue EU-Bankenaufseherin küren.
Zur Wahl stehen die deutsche Ökonomin Claudia Buch und die spanische Notenbankerin Margarita Delgado. Gewinnt Delgado, dürften die Chancen für Vestager bei der EIB steigen, weil es unwahrscheinlich ist, dass gleich zwei Topposten an Spanien gehen. Ein Sieg Buchs hingegen würde Calviños Favoritenrolle stärken.
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