Sep 12, 2023
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Großbritannien : Margaret Thatchers Erben greifen in den Markt ein

Written by Torsten Riecke


London Als der britische Premierminister Rishi Sunak im vergangenen Jahr gefragt wurde, wer der bedeutendste Regierungschef Großbritanniens gewesen sei, antwortete er ohne Zögern: „Margaret Thatcher“. Den Briten versprach Sunak vor seinem Einzug in 10 Downing Street einen „Thatcherismus des gesunden Menschenverstands“.

Ihre konservativen Parteifreunde verhinderten das allerdings aus nationalem Stolz. Thatcher klagte über eine „pseudopatriotische Hysterie“. An Thatcher orientierten sich jahrzehntelang westliche Wirtschaftspolitiker. Doch nun rückt selbst Thatcher-Fan Sunak von ihrer Lehre ab.

Im Zentrum seiner Industriepolitik steht momentan vor allem die Transformation der heimischen Autoindustrie zur Elektromobilität. Details will Schatzkanzler Jeremy Hunt am 22. November vorstellen, wenn er sein „Herbst-Budget“ vorlegt.

Wo London unterstützen will

Das verarbeitende Gewerbe spiele eine wichtige Rolle in der britischen Wirtschaft, und der Schatzkanzler habe „Advanced Manufacturing“ als „einen der fünf wichtigsten Wachstumssektoren“ bezeichnet, heißt es in einem internen Diskussionspapier der britischen Regierung.

Unterstützen will London auch grüne Industrien, die digitale Transformation, insbesondere bei der Entwicklung Künstlicher Intelligenz, Finanzdienstleistungen und die Life-Sciences-Branche.

Großbritannien reiht sich damit in eine industriepolitische Offensive ein, für die US-Präsident Joe Biden den Startschuss gegeben hat und der die EU und insbesondere auch Deutschland bereitwillig folgen. Ob es um den Schutz von Schlüsselindustrien wie dem Chipsektor geht oder um die Förderung klimaschonender Technologien – im Zuge des geoökonomischen Wettbewerbs hat der Staat vielerorts seine frühere Zurückhaltung aufgegeben und ist zu einem aktiven Player in der Wirtschaft geworden.

Großbritannien ist ein Nachzügler bei diesem globalen Megatrend. Das verarbeitende Gewerbe wurde auf der Insel von der konservativen Regierung über viele Jahre stiefmütterlich behandelt. Geld und politische Aufmerksamkeit galten vor allem den Finanzdienstleistungen. Industriepolitik klang zu sehr nach „Old Economy“ und roch nach sozialistischen Vorstellungen, mit denen die damals regierende Labour-Partei die britische Wirtschaft in den 1960er- und 70er-Jahren stranguliert hatte.

Für die wirtschaftsliberalen Tories galt deshalb bislang: Die beste Industriepolitik ist es, keine zu haben. „Wir haben keine industrielle Strategie als solche“, betonte die britische Wirtschafts- und Handelsministerin Kemi Badenoch. Das „Department for Business, Energy & Industrial Strategy“ wurde von Sunak aufgelöst und zerschlagen.

„Aktionsplan“ mit Biden

Noch im Februar brandmarkte Badenoch den „Inflation Reduction Act“ der USA, der in Wahrheit ein industriepolitischer Subventionstopf von 360 Milliarden Dollar ist, als „protektionistisch“. Bei seinem Besuch im Juni in Washington schwenkte Sunak dann jedoch auf den Biden-Kurs ein und vereinbarte mit dem US-Präsidenten einen „Aktionsplan“, der sich wie ein industriepolitisches Manifest liest.

„Das Fehlen einer echten, geplanten Industriestrategie ist die Achillesferse Großbritanniens“, sagte Stephen Phipson, Chef des Industrieverbands Make UK. Alle anderen großen Volkswirtschaften, von Deutschland über China bis zu den USA, hätten einen langfristigen nationalen Plan für das verarbeitende Gewerbe, der die Bedeutung der industriellen Basis für den Erfolg der gesamten Wirtschaft unterstreiche, monierte der Verbandschef.

Den bisherigen Schlingerkurs der Regierung kritisierte er als „flip flopping“. Das soll der neue „Advanced Manufacturing Plan“ nun ändern. London ist bereit, viel Geld auszugeben, um seine industriepolitischen Ambitionen zu unterstreichen.

Joe Biden und Rishi Sunak auf dem G20 Gipfel

Bei Sunaks Besuch im Juni in Washington vereinbarte er mit dem US-Präsidenten einen „Aktionsplan“, der sich wie ein industriepolitisches Manifest liest.

(Foto: IMAGO/UPI Photo)

So soll BMW laut Medienberichten 75 Millionen Pfund (knapp 90 Millionen Euro) Steuergelder erhalten, damit der deutsche Autobauer 600 Millionen Pfund in die Produktion des elektrischen „Mini“ in Großbritannien steckt.

Die Ansiedlung einer vier Milliarden Pfund teuren Batteriefabrik in Sommerset durch den indischen Industriekonzern Tata ist den Briten sogar Staatshilfen von 500 Millionen Pfund wert. Damit nicht genug: In den kommenden drei Jahren soll die britische Luft- und Raumfahrtindustrie mit 685 Millionen Pfund gefördert werden.

>> Lesen Sie hier: Tata will neue Batteriefabrik in Großbritannien bauen

Fast 650 Millionen Pfund gibt die Regierung für das sogenannte „High Value Manufacturing Catapult“-Programm aus, um Industrieunternehmen bei der Markteinführung von Technologien zu unterstützen.

Mini Concept Aceman auf der Automobilmesse IAA in München

Ursprünglich hatte Mini angedeutet, die Produktion seiner E-Modelle fast vollständig nach China verlagern und in Oxford nur Verbrenner herstellen zu wollen.

(Foto: IMAGO/Manfred Segerer)

„Regierungen können keine Gewinner auswählen“, rechtfertigte Wirtschaftsministerin Badenoch im Juli ihren neuen industriepolitischen Kurs, „aber wir können Unternehmen zum Erfolg verhelfen, indem wir ihnen Hindernisse aus dem Weg räumen oder sie mit gezielter Unterstützung für regulatorische Belastungen entschädigen, die ihre Konkurrenten in anderen Ländern nicht haben.“ Der „Advanced Manufacturing Plan“ werde sicherstellen, „dass wir international wettbewerbsfähig sind“.

Mit den dreistelligen Milliardenbeträgen, mit denen die USA und die EU ihre heimischen Industrien fördern, können die Briten jedoch nicht konkurrieren. „Es ist besonders unfair, von Großbritannien zu erwarten, dass es mit den gigantischen Anstrengungen der USA mithalten kann“, sagt Giles Wilkes, Ökonom beim Londoner Institute for Government.

Die knappen Finanzmittel seien jedoch nur ein Faktor, der den industriepolitischen Spielraum Londons begrenze. Die lange Vernachlässigung der Industriepolitik habe die Kompetenzen der Regierung ausgehöhlt.

Es sei deshalb eine berechtigte Frage, ob die Regierung überhaupt die Fähigkeiten habe, wirksame Eingriffe in die Wirtschaft vorzunehmen. Hilfe ist nicht in Sicht. Die Briten fehlen zum Beispiel bei der am Rande des G20-Gipfeltreffens in Neu-Delhi vereinbarten „grünen und digitalen Brücke“ zwischen Europa, dem Nahen Osten und Indien.

Durch den Brexit ist Großbritannien zu einer Art Niemandsland im Kampf der Großmächte um die geoökonomische Vorherrschaft geworden.

Mehr: Kommt nach dem Brexit nun der Aufschwung?



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