Paris Frankreichs Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire hat die Bundesregierung zu einer gemeinsamen Wachstumsstrategie für Europa aufgefordert. „Die Unternehmen erwarten klare Botschaften von unseren beiden Regierungen“, sagte Le Maire dem Handelsblatt. „Wir dürfen nicht vergessen, dass wir ein Interesse haben, gemeinsam zu reüssieren: Wenn es Deutschland gut geht, geht es Frankreich auch gut – und umgekehrt.“
Die Europäer müssten sich die Frage stellen, wie sie besser und effizienter investieren könnten. „Die eigentliche wirtschaftspolitische Frage ist, wie Europa als Kontinent mit einer alternden Bevölkerung und Fachkräftemangel seine Produktivität, seine Wettbewerbsfähigkeit und sein Wachstum sicherstellt“, sagte der Minister. „Das ist die Frage, auf die wir gemeinsam mit Deutschland eine Antwort finden müssen.“
Le Maire warnte davor, sich einseitig auf den Abbau der Staatsverschuldung zu konzentrieren. „Haushaltsregeln und Schuldenabbau sind für mich sehr wichtig“, sagte er. „Aber die Voraussetzung ist, dass wir uns die Fähigkeit für Investitionen erhalten.“
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Herr Minister, Frankreichs Wirtschaft scheint stärker aus den Krisen der letzten Jahre hervorzugehen als viele Staaten der EU. Wie erklären Sie sich das?
Ich glaube, eine maßgebliche Erklärung ist die Stabilität und Sichtbarkeit unserer Wirtschaftspolitik. Es ist das erste Mal seit langer Zeit in Frankreich, dass wir einen konstanten Kurs fahren. Das ist ein Vertrauensbeweis für die Unternehmen. Wir machen eine angebotsorientierte Politik. Eine Politik, die Arbeit aufwertet und die Reindustrialisierung Frankreichs zum Ziel hat.
Welche Maßnahmen haben Frankreich geholfen?
Wir haben seit 2017 mit Präsident Emmanuel Macron mutige und wirksame Reformen in die Wege geleitet. Wir haben die Unternehmensteuern von 33,3 auf 25 Prozent gesenkt. Wir haben die Steuerlast für die Haushalte gesenkt. Wir haben eine pauschale Steuer auf Kapitalerträge eingeführt, die den Finanzplatz Paris gestärkt hat.
Wir haben Strukturreformen gemacht, bei der Arbeitslosenversicherung und der Rente, und wir haben einen massiven Ausbildungs- und Qualifizierungsplan gestartet. Seit 2017 sind 100.000 Industriejobs neu entstanden, insgesamt wurden zwei Millionen Arbeitsplätze geschaffen.
Zuletzt trübten sich die Wachstumsaussichten aber auch für Frankreich ein …
Es gibt Zeichen für ein nachlassendes Wachstum in ganz Europa, und Frankreich ist ein europäisches Land. Aber ich glaube, Frankreich zieht sich gut aus der Affäre. Unsere Zahlen sind gut – aber nun ist es wichtig, eine europäische Strategie zu definieren, um aus dieser Phase der Inflation herauszukommen und insbesondere zu verhindern, dass wir danach mit einem schwachen Wachstum dastehen. Das ist die große Herausforderung Europas, zu einem Zeitpunkt, wo die USA und China massiv in ihre Wirtschaft investieren.
Was schlagen Sie vor?
Europa muss sich die Frage stellen, wie es besser und effizienter investiert, um Produktivität und Wachstum wiederzuerlangen. Ich verstehe voll und ganz, dass wir ausgeglichene Haushalte haben wollen. Ich verstehe voll und ganz, dass wir die Schulden reduzieren müssen. Und ich fühle mich absolut verpflichtet, die französischen Schulden abzubauen und auch schneller abzubauen.
Aber die eigentliche wirtschaftspolitische Frage ist, wie Europa als Kontinent mit einer alternden Bevölkerung und Fachkräftemangel seine Produktivität, seine Wettbewerbsfähigkeit und sein Wachstum sicherstellt. Das ist die Frage, auf die wir gemeinsam mit Deutschland eine Antwort finden müssen.
Berlin ist zu fixiert auf solide Staatsfinanzen?
Wir müssen das richtige Gleichgewicht finden: weder eine Austeritätspolitik noch eine ausufernde Ausgabenpolitik. Haushaltsregeln und Schuldenabbau sind für mich sehr wichtig. Aber die Voraussetzung ist, dass wir uns die Fähigkeit für Investitionen erhalten. Denn der beste Weg, um die Staatsschulden zu reduzieren, ist nicht nur die öffentlichen Ausgaben zu senken, sondern auch mehr Wachstum zu haben.
Vergangene Woche haben Sie am deutsch-französischen Unternehmertreffen in Evian teilgenommen. Was war Ihr Eindruck?
Dass die wirtschaftlichen und geopolitischen Entwicklungen, etwa der Rückgang des Wachstums in China oder der Krieg in der Ukraine, viele Fragen aufwerfen. Deutschland und die deutschen Unternehmen erleben diese Veränderungen auf sehr direkte Weise. Außerdem gibt es Sorgen mit Blick auf den starken Anstieg der Zinsen und die Auswirkungen auf die wirtschaftliche Aktivität.
Ich habe große Erwartungen wahrgenommen, dass unsere Länder weiter zusammenarbeiten. Die Unternehmen erwarten klare Botschaften von unseren beiden Regierungen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir ein Interesse haben, gemeinsam zu reüssieren: Wenn es Deutschland gut geht, geht es Frankreich auch gut – und umgekehrt.
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