Washington, New York Zwei Jahre nach der Lieferkettenkrise, in der amerikanische Autofabriken ihre Produktion drosseln mussten, droht der Branche der nächste Schlag. Die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) hat für diesen Freitag zum Streik aufgerufen.
Geplant sind zunächst nur „begrenzte und gezielte“ Arbeitsniederlegungen bei den großen Detroiter Autokonzernen Ford, General Motors und der Chrysler-Mutter Stellantis. UAW-Chef Shawn Fain schloss flächendeckende Streiks der knapp 150.000 Gewerkschaftsmitglieder jedoch nicht aus.
In der Nacht zum Freitag waren Verhandlungen über höhere Löhne und verbesserte Arbeitsbedingungen vorerst gescheitert. Mehrere US-Kongressvertreter, darunter der linke Senator Bernie Sanders, wollen am Freitag für eine Kundgebung in die „Auto-Metropole“ Detroit reisen, um die Anliegen der Gewerkschaftler zu unterstützen.
Es ist das erste Mal, dass die Gewerkschaft zu Arbeitsniederlegungen bei allen drei Konzernen aufruft. Ein US-Automanager, der sich nicht namentlich zitieren lassen will, sagte dem Handelsblatt, er gehe zunächst von Streiks in Getriebewerken aus oder Produktionsstätten, die Elektromotoren herstellen.
Ford hatte kurz vor Ablauf eines UAW-Ultimatums gewarnt: „Die Zukunft unserer Industrie steht auf dem Spiel. Lassen Sie uns alles tun, was wir können, um ein katastrophales Ergebnis abzuwenden.“
Praktisch kein Arbeiter in den Werken ausländischer Hersteller ist Mitglied der in Detroit ansässigen Gewerkschaft. Auch die Fabriken von Tesla, amerikanischer E-Auto-König, sind nicht gewerkschaftlich organisiert.
Flächendeckende Streiks nicht ausgeschlossen.
(Foto: Bloomberg)
Deutsche Autobauer betonten, dass man aufgrund der fehlenden gewerkschaftlichen Organisation in den Südstaaten nicht betroffen sei. Sowohl Mercedes-Benz, als auch BMW und Volkswagen haben ihre größten US-Werke im Süden der Vereinigten Staaten, nicht in Detroit. Volkswagen etwa sei von einem eventuellen Streik nicht betroffen, erklärte ein Sprecher.
Langer Streik könnte USA „an Rand einer Rezession“ bringen
Trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, dass die Streikwelle indirekt auch ausländische Branchenvertreter trifft und die US-Wirtschaft insgesamt belastet. Sollten die Arbeitsniederlegungen auf wenige Tage oder Wochen begrenzt sein, könne die Industrie die Streiks abfedern, sagte Mark Zandi, Chefanalyst bei Moody’s.
Doch Auto-Engpässe, so Zandi, könnten die Inflation ankurbeln und längere Streiks landesweit Zulieferer in Mitleidenschaft ziehen. Hinzu kommt die Möglichkeit eines Shutdowns der US-Regierung, falls sich der US-Kongress nicht bis Ende September auf einen Haushaltsplan einigt.
Halte der Streik bis Jahresende an, so Zandi, „wäre das genug, um die Wirtschaft an den Rand einer Rezession zu bringen, wenn man bedenkt, was sonst noch alles passiert“.
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Ein Vollstreik, der die gesamte Produktion lahmlegt, würde nach Schätzungen der Deutschen Bank bei jedem betroffenen Automobilhersteller einen Gewinnrückgang von 400 bis 500 Millionen Dollar pro Woche verursachen.
Der Streik stürzt US-Präsident Joe Biden ins Dilemma. Zum einen fördert seine Regierung die Autoindustrie massiv mit Steueranreizen und E-Auto-Krediten, um den Umbau zur Elektromobilität zu beschleunigen. Zum anderen ist Biden auf die Gunst Hunderttausender Arbeiter in der Fahrzeugbranche angewiesen, die in strategisch wichtigen Bundesstaaten sitzen.
„Wir werden den Übergang zu einer Zukunft der Elektrofahrzeuge made in America schaffen – und das wird gute gewerkschaftliche Arbeitsplätze schützen und ausbauen“, schrieb Biden auf X, früher bekannt als Twitter.
Amerikas Autohersteller sollen eine zentrale Rolle beim Erreichen der Klimaziele spielen.
(Foto: Bloomberg)
Der Mittlere Westen der USA, geografisch im Herzen der USA, wählt mal demokratisch, mal republikanisch und wird deshalb den Ausgang der Präsidentschaftswahlen 2024 mitbestimmen. Dazu gehören Michigan, Wisconsin und Ohio, Staaten mit viel Fahrzeugproduktion und Zulieferern.
Hürden für Bidens E-Auto-Boom
Biden sagt über sich, er sei „der größte Pro-Gewerkschafts-Präsident“ aller Zeiten. Allerdings gibt es Zweifel innerhalb der Gewerkschaften am E-Auto-Boom, einem der wichtigsten Wahlversprechen Bidens. Sie befürchten, dass der Umbau auf E-Mobilität zu weniger Jobs und niedrigeren Löhnen führen werde, wodurch nicht gewerkschaftlich organisierte Unternehmen wie Tesla begünstigt und die Produktion in die Südstaaten verlagert würde, in denen es kaum Gewerkschaften gibt.
Der Protest der Arbeiter wirft ein Schlaglicht auf die möglichen Hindernisse für Bidens grüne Energiewende. Denn der Präsident hat angekündigt, dass bis 2032 zwei Drittel der Neuwagenverkäufe in den USA elektrisch sein sollen – ein ambitioniertes Ziel. Die US-Regierung hat Milliarden Staatsgelder für nachhaltige Technologien in den Markt gespült, was landesweit grüne Investitionen angekurbelt hat.
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Amerikas Autohersteller sollen eine zentrale Rolle beim Erreichen der Klimaziele spielen, indem sie deutlich mehr Elektrofahrzeuge produzieren. GM zum Beispiel plant, bis 2025 eine Million Elektrofahrzeuge vom Band rollen zu lassen.
Die UAW drängt nun darauf, dass auch jene Beschäftigten, die zum Beispiel Batterien und andere E-Komponenten herstellen, von besseren Löhnen und Arbeitsstandards profitieren. Die meisten dieser Gigafactories sind nicht gewerkschaftlich organisiert.
Biden hatte im Kongress erfolglos darum geworben, dass Autoriesen nur dann von den Anreizen profitieren dürfen, wenn sie Löhne erhöhen und Arbeitsbedingungen verbessern. Der Streik der UAW soll die Konzerne nun nachträglich dazu zwingen.
Die UAW ist eine der wenigen Gewerkschaften in den USA, die Bidens Ambitionen einer Wiederwahl bislang nicht unterstützen. Im Wahlkampf spielen Gewerkschaften zunehmend eine Rolle: US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, um die Zustimmung der UAW kämpfen zu wollen, und warf Biden vor, das Land „in den Ruin“ zu treiben.
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