Santiago de Compostela Deutet sich bei den EU-Schuldenregeln etwa eine Einigung an? Wer Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire beim Finanzministertreffen am Freitag zuhörte, konnte den Eindruck gewinnen, dass sie gar nicht so weit auseinander liegen. Beide betonten die Notwendigkeit stabiler Staatsfinanzen und den hohen Investitionsbedarf für Innovationen. Beide bekräftigten auch, dass die Reform bis zum Jahresende stehen soll.
Lindner selbst merkte an, wie ähnlich die in Santiago de Compostela versammelten Minister klängen. Alle seien sich einig, dass verlässliche, realistische Regeln notwendig seien, sagte der FDP-Politiker. „Alle sprechen darüber, dass wir fiskalische Puffer wiederherstellen müssen. Und alle reden über die Notwendigkeit, Investitionen zu ermöglichen.“
Doch auf dieser generellen Ebene enden auch schon die Gemeinsamkeiten. Denn Lindner und Le Maire befinden sich weiterhin in gegnerischen Lagern. Die einen, neben Frankreich weitere hochverschuldete Länder wie Italien und Griechenland, wollen möglichst viel Flexibilität beim Schuldenabbau erreichen. Sonst fehle ihnen der fiskalpolitische Spielraum, um in die Zukunft ihrer Volkswirtschaften zu investieren. Sie hätten auch gern eine Art „goldener Regel“, um bestimmte Investitionen von den Schuldenregeln auszunehmen.
Lindner hingegen will vor allem verhindern, dass Länder in der Währungsunion ungestraft hohe Schulden anhäufen können und damit den Grundstein für die nächste Schuldenkrise legen. Deshalb pocht er auf verbindliche Vorgaben, etwa, dass hochverschuldete Länder jedes Jahr einen bestimmten Anteil ihrer Schulden abbauen müssen.
Der deutsche Finanzminister betonte in Santiago, dass man bei den technischen Details der Reform noch auseinander liege. Deshalb werde man „sicher noch etwas länger im Austausch bleiben“. Beim Frühstück am Samstagmorgen wollten die Minister die verbliebenen Knackpunkte ansprechen.
Lindner hat noch Nachbesserungsbedarf
Grundlage der Gespräche ist ein Gesetzesentwurf, den die EU-Kommission im April vorgelegt hat. Darin schlägt die Behörde vor, künftig mit jeder Regierung einen maßgeschneiderten Schuldenabbauplan zu vereinbaren. Dabei soll es nicht mehr darum gehen, in einem bestimmten Zeitraum die Maastricht-Kriterien wieder einzuhalten (Staatsschulden von maximal 60 Prozent der Wirtschaftsleistung, jährliche Neuverschuldung von drei Prozent).
Vielmehr soll es künftig ausreichen, die Schulden binnen vier Jahren auf einen absteigenden Pfad zu bringen. Dieser Pfad wird mittels einer Schuldentragfähigkeitsanalyse ermittelt, die langfristige ökonomische Entwicklungen des jeweiligen Landes berücksichtigt.
>> Lesen Sie hier: Le Maire fordert Raum für Investitionen
Aus Sicht der Kommission sichert dieser breitere Ansatz, dass die Schulden unter Kontrolle bleiben, ohne dass Länder auf einen ökonomisch schädlichen Sparkurs gezwungen werden.
Im Lindner-Lager wird hingegen befürchtet, dass die vielen Parameter bei einer Schuldentragfähigkeitsanalyse dazu verführen, die Finanzlage eines Landes schönzurechnen. Auch bestehe die Gefahr, dass die bilateral verhandelten Schuldenabbaupläne eher politischen Erwägungen folgen als rein ökonomisch begründet sind. Deshalb fordert er zusätzliche „Safeguards“, etwa die Vorgabe, dass der Schuldenstand am Ende der vier Jahre niedriger sein muss als zu Beginn.
Zahl der Unterstützer wächst
Um zu beweisen, dass Deutschland mit seinem Pochen auf Disziplin nicht isoliert ist, hatte Lindner im Juni einen gemeinsamen Gastbeitrag mit zehn weiteren Ländern veröffentlicht. Unterschrieben hatten mehrere osteuropäische Länder sowie Österreich, Finnland und Luxemburg. Die Gruppe forderte „quantitative Kriterien, die für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen gelten“. Konkrete Vorschläge, wie diese Kriterien aussehen könnten, hatte die Bundesregierung in zwei nicht zu veröffentlichenden Papieren vorgelegt.
Inzwischen soll das Unterstützerlager weiter angewachsen sein. In den Gesprächen auf Fachebene sind Lindners Beamte dabei, die deutschen Vorschläge zu erklären und „Missverständnisse“ auszuräumen. Die Überzeugungsarbeit hat zumindest schon dazu geführt, dass die anfangs scharfe Kritik aus Paris deutlich leiser ausfällt.
Le Maire betonte in Santiago die Gemeinsamkeiten mit Lindner. Vor dem Treffen veröffentlichten die beiden obendrein einen gemeinsamen Gastbeitrag zur Kapitalmarktunion.
Auch Lindner ist daran gelegen, nicht als reiner Bremser dazustehen. Deshalb betont er bei jeder Gelegenheit, dass Deutschland sich schon sehr weit bewegt habe und bereit sei, flexiblere Regeln zu akzeptieren. Eine noch weitere Aufweichung will er verhindern. Zu seiner Erleichterung teilen etliche Kollegen die Ansicht, dass eine gewisse Stabilitätskultur für das Überleben des Euro existenziell ist.
Mehr: Rechnet die EU bei den Schuldenregeln mit manipulierten Zahlen?
<< Den vollständigen Artikel: EU-Schuldenregeln: So sucht Lindner Verbündete bei der Reform des Stabilitätspakts >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.