Berlin Es ist wohl der Gipfel des Ärgers über den möglichen Industriestrompreis, der sich da am Wochenende gezeigt hat. „Nicht euer fucking Ernst“, mokierte sich Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer. Der Ökonom Klaus Adam sprach von „Real-Satire“. Und Brigitte Knopf aus dem Expertenrat für Klimafragen sagte: „Das ist unglaublich.“
Grund für den gesammelten Frust war ein Handelsblatt-Bericht vom Freitag. Dieser schilderte, dass das Bundeskanzleramt und das Wirtschaftsministerium grundsätzlich bereit seien, einen Industriestrompreis aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) zu finanzieren.
Der Fonds könnte der Ausweg in dem monatelangen Ampelstreit um einen vergünstigten Stromtarif für die Industrie sein, bei dem es weiterhin keine Richtungsentscheidung gibt. Die Kritikerinnen und Kritiker der KTF-Lösung haben es aber gar nicht unbedingt auf den Industriestrompreis abgesehen. Sie fürchten vielmehr, dass damit das Klimageld stirbt, weil die Mittel schon anderweitig eingesetzt werden.
Aus Sicht der Klimageld-Fans wäre das ein schwerer Schlag. Denn die Auszahlung kommt von der CO2-Bepreisung in den Sektoren Verkehr und Gebäude, die von der Vorgängerregierung beschlossen worden war. CO2-Preis und Klimageld sind zwei Seiten einer Medaille: Bürgerrinnen und Bürger werden beim Heizen und Tanken durch den CO2-Preis belastet, erhalten aber über das Klimageld einen Ausgleich.
Der Clou dabei: Das Klimageld wird pro Kopf in gleicher Höhe ausgezahlt, die Belastung durch den CO2-Preis dagegen hängt stark vom Konsumverhalten ab. Vielflieger zahlen drauf, wer sparsam lebt profitiert. Das Klimageld soll aus dem KTF finanziert werden, der sich neben der CO₂-Bepreisung zudem aus dem Handel mit CO2-Zertifikaten im Europäischen Emissionshandelssystem speist.
Wann das Klimageld kommen soll, ist unklar
Das Klimageld hat eine längere Leidensgeschichte. Die Ampel hatte im Koalitionsvertrag festgehalten, die Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung den Bürgern zurückzugeben – allerdings ohne sich auf einen Termin festzulegen. Doch schon die Programmierung des Auszahlungswegs gestaltet sich schwierig. Er soll nach jetzigem Stand erst Anfang 2025 fertig sein.
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Doch selbst dann steht nicht fest, dass das Klimageld kommt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) machte zuletzt bei der Kabinettsklausur Ende August in Meseberg Bemerkungen, die aufhorchen ließen. Die Ampel habe sich bloß geeinigt, die technischen Möglichkeiten für die Auszahlung des Klimageldes zu schaffen. Seine Äußerungen machten klar: Dass dann auch gleich das Klimageld ausgezahlt wird, ist damit nicht gesagt.
Finanzminister Christian Lindner (FDP) ist dabei, die technischen Voraussetzungen zu schaffen. Eine gesetzliche Grundlage hat die Ampel schon beschlossen. Nun baut das Bundeszentralamt für Steuern eine Datenbank auf, welche die Steueridentifikationsnummer und die Kontoverbindung von Bürgern verknüpft. Ab Ende 2023 sollen die Familienkassen Daten liefern, 2024 dann Kreditinstitute und Bürger.
„Für die Auszahlung des Klimagelds ist aber nicht der technische Weg entscheidend“, heißt es aus dem Finanzministerium. Es gehe um eine politische Entscheidung. Der Finanzminister ist durchaus gewillt, zu handeln. Die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung sollten „möglichst schon 2025 genutzt werden, um ein Klimageld auszuzahlen“, heißt es in seinem Umfeld. Stellt sich jetzt noch die Frage: Ist dann überhaupt das Geld da, wenn ein Industriestrompreis aus demselben Topf finanziert werden soll?
Lindners Umfeld stellte sich hinter die Kritikerinnen und Kritiker, die eine Finanzierung des Industriestrompreises aus dem KTF für abwegig halten. Es sei geradezu ironisch, die Einnahmen aus der Bepreisung von CO2 für die Subventionierung von Strom zu verwenden. Hintergrund ist, dass ein vergünstigter Stromtarif für die Industrie den Verbrauch und damit die Emissionen erhöhen könnte.
Expertin Knopf warnt vor „Überdehnung“ des Fonds
Generell erklärte Lindners Umfeld: „Wenn Teile der SPD und der Grünen das Geld anderweitig verplanen wollen, nehmen sie den Familien konkret viel Geld weg.“ Die Befürchtung ist beim Blick auf die blanken Zahlen nicht von der Hand zu weisen. Der KTF ist bereits überbucht.
Die Vorstellung, dass am Ende nicht mehr genug Geld im KTF sein könnte, um ein Klimageld an alle Bürgerinnen und Bürger auszuzahlen, schreckt Fachleute wie den Umweltökonomen Andreas Löschel auf. Es gehe darum, jetzt die richtigen Ansätze zu setzen. „Dies wird kaum gelingen, wenn es keine umfassende Entlastung über ein Klimageld gibt“, sagte Löschel. Die rasche Umsetzung einer einfachen Entlastung sollte nach Löschels Überzeugung Priorität haben.
Möglicherweise muss man sich auch gar nicht zwischen Industriestrompreis oder Klimageld entscheiden, es könnte am Ende auch ausreichend Geld für beide Vorhaben zur Verfügung stehen. Nach Handelsblatt-Informationen sollen aus dem KTF auch in diesem Jahr wegen Verwaltungsengpässen nur 50 bis 60 Prozent der geplanten Ausgaben in Höhe von 36 Milliarden Euro abfließen. Damit wären mindestens rund 15 Milliarden Euro an Mitteln für zusätzliche Projekte verfügbar.
Es ist schwer denkbar, dass sich die Abflüsse in den nächsten Jahren schlagartig erhöhen werden. Somit könnten sich Jahr für Jahr weitere Rücklagen im Fonds sammeln. In Summe könnte das für das Klimageld und einen modifizierten Industriestrompreis reichen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte die Kosten ursprünglich auf insgesamt 25 bis 30 Milliarden Euro taxiert. In ‧seinem Haus laufen aber Verschlankungsarbeiten. Die Kosten könnten letztendlich bedeutend geringer aus‧fallen.
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Neben der Zahlendebatte sind auch rechtliche Fragen offen. Ob der KTF einen allgemeinen Industriestrompreis finanzieren darf, ist nicht klar. In Lindners Umfeld verweist man auf die Zweckbindung des Fonds.
Hier sieht auch Expertenratsmitglied Brigitte Knopf ein Problem. Sie warnt davor, den KTF zu „überdehnen“. Es sei eine politische Grundsatzentscheidung erforderlich: „Die Bundesregierung sollte den Klimaschutz als Staatsaufgabe prinzipiell in den Kernhaushalt integrieren und also dort alle Ausgaben für die entsprechende öffentliche Infrastruktur unterbringen“, sagt Knopf. Nur durch einen solchen Schritt stehe im Klimafonds genügend Geld zur Verfügung für sozialen Ausgleich – etwa über das Klimageld – und für die Unterstützung von Investitionen privater Haushalte.
<< Den vollständigen Artikel: Industriestrompreis: Das Klimageld ist nicht tot >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.