Apr 6, 2023
93 Views
Comments Off on Europäische Union: Von der Leyen verspricht Bürokratieabbau – doch die Zahl der EU-Regeln wächst
0 0

Europäische Union: Von der Leyen verspricht Bürokratieabbau – doch die Zahl der EU-Regeln wächst

Written by Carsten Volkery


Ursula von der Leyen

Die EU-Kommissionspräsidentin will weniger Bürokratie in der EU.

(Foto: AP)

Brüssel Die EU-Kommission nimmt einen neuen Anlauf zum Bürokratieabbau. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) wies ihre Beamten kürzlich an, dazu bis zum Herbst Vorschläge zu machen. Sie gab auch ein konkretes Ziel vor: 25 Prozent der Berichtspflichten für Unternehmen sollen wegfallen, um den Standort Europa wettbewerbsfähiger zu machen.

Nun wird in Brüssel hektisch nach Regeln gesucht, die sich abschaffen ließen. Das stellt sich als nicht so einfach heraus. „Meine lieben Kolleginnen und Kollegen sind nicht begeistert“, verrät eine ranghohe Kommissionsvertreterin.

Das Problem: Die bestehenden Gesetze sind häufig das Ergebnis mühsamer politischer Kompromisse – und damit äußerst langlebig. „Bürokratieabbau ist nicht so leicht, weil kein Konsens darüber besteht, was wichtig ist und was nicht“, sagt Klaus-Heiner Röhl, Ökonom am Institut der deutschen Wirtschaft (IW), der sich seit 20 Jahren mit dem Thema befasst. „Es gäbe die Regeln nicht, wenn alle sie für überflüssig hielten.“

Moritz Hundhausen, Leiter Europäische Politik bei der Stiftung Familienunternehmen, glaubt zwar, die 25 Prozent an überflüssigen Berichtspflichten ließen sich leicht identifizieren. Aber diese auch abzuschaffen sei eine andere Frage.

Schließlich müssen Kommissionsvorschläge häufig noch vom Europaparlament und vom Rat der 27 Mitgliedstaaten abgesegnet werden. Da führen unterschiedliche Interessen schnell zur Blockade.

Streit um Nachhaltigkeit, Lieferketten, Entsendung

Drei EU-Gesetze sehen die Wirtschaftsverbände branchenübergreifend besonders kritisch:

  • Nachhaltigkeitsberichterstattung: Die „Corporate Sustainability Reporting Directive“ (CSRD) ist seit Dezember Gesetz. Unter der vorherigen Richtlinie mussten nur große, börsennotierte Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern Nachhaltigkeitsberichte verfassen. In Deutschland betraf das 500 Unternehmen.

    Ab 2025 gelten die Berichtspflichten für alle Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitern. Das sind in Deutschland rund 15.000, die meisten davon Mittelständler. Bis zu 2000 einzelne Daten etwa zu Umweltstandards, Sozialfaktoren und Governance müssen die Unternehmen melden.

    „Ein Mittelständler muss an der Fülle der Vorgaben verzweifeln“, sagt Hundhausen. Die Details muss die Kommission noch in delegierten Rechtsakten ausarbeiten. Hundhausen hofft daher, dass die Behörde nach von der Leyens Versprechen hier nachjustieren wird.

  • Lieferkettengesetz: Die Lieferketten-Richtlinie, die bislang nur als Entwurf vorliegt, dehnt die Nachhaltigkeitsberichterstattung auf die gesamte Lieferkette weltweit aus. Firmen müssen alle ihre Zulieferer auf die Einhaltung von Umweltstandards und Menschenrechte hin überprüfen – und bei Verstößen haften.

    Das EU-Gesetz geht in seinen Anforderungen noch über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus, das seit Januar in Kraft ist. Bei den Beratungen in Parlament und Rat ist Streit über die strengen Vorgaben vorprogrammiert.

  • Entsenderichtlinie: Das Gesetz sollte ursprünglich verhindern, dass Unternehmen billige Arbeitnehmer aus ärmeren EU-Ländern anwerben und die heimischen Sozialstandards unterlaufen. Doch wird es laut IW-Ökonom Röhl von etlichen Regierungen dazu missbraucht, die eigene Wirtschaft gegen Wettbewerb abzuschotten.

    So könne ein deutscher Monteur nicht einfach nach Frankreich fahren, um eine Maschine zu warten, sondern müsse sich erst umständlich anmelden. „Hier müsste die Kommission ansetzen und die Dienstleistungsfreiheit durchsetzen“, fordert Röhl. Um den bürokratischen Aufwand zu verringern, sollte eine simple elektronische Anmeldung EU-weit ausreichen.

Dass die Kommissionschefin sich ausgerechnet jetzt die eigene Bürokratie vornimmt, hängt mit zweierlei zusammen: Zum einen steht die Wettbewerbsfähigkeit ganz oben auf der Tagesordnung, seit die USA im vergangenen Jahr ihr massives Subventionsprogramm für grüne Technologien, den Inflation Reduction Act (IRA), beschlossen haben. Europa will mit eigenen Subventionen und schnelleren Genehmigungsverfahren dagegenhalten.

Zum anderen beginnt bald der Wahlkampf für die Europawahl 2024, und von der Leyen sucht die Unterstützung der Christdemokraten im Europaparlament. Ihre Parteifreunde von der Europäischen Volkspartei (EVP) haben den Bürokratieabbau schon vor Jahren zur Priorität erklärt.

Bürokratie ist der zentrale Knackpunkt, das ist in der Kommission angekommen. Christiane Canenbley, stellvertretende Kabinettschefin von EU-Kommissarin Margarete Vestager

Deshalb signalisiert die Kommission nun, dass sie die Beschwerden der Unternehmen ernst nimmt. „Bürokratie ist der zentrale Knackpunkt, das ist in der Kommission angekommen“, sagte Christiane Canenbley, stellvertretende Kabinettschefin von Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, kürzlich bei einer Diskussion in Brüssel.

Schon Stoiber wollte 25 Prozent weniger Belastung

Von der Leyens 25-Prozent-Ziel hat eine gewisse Tradition: 2007 wurde der frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber vom damaligen Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso beauftragt, eine Arbeitsgruppe zum Bürokratieabbau zu leiten. Damals sollten die Bürokratiekosten für Unternehmen um 25 Prozent sinken. Fünf Jahre später erklärte die Kommission das Ziel für erreicht.

José Manuel Barroso

Auch der ehemalige Kommissionspräsident hatte Pläne zum Bürokratieabbau.


(Foto: dpa)

Auch Barrosos Nachfolger Jean-Claude Juncker schrieb sich den Bürokratieabbau auf die Fahne. Gesetze werden seitdem „Fitness-Checks“ unterzogen und manchmal angepasst. Doch nachdem die Kommission sich eine Zeit lang bemüht habe, sei der Eifer wieder erlahmt, sagt Röhl. Zwar gilt unter von der Leyen offiziell die „One-in-one-out-Regel“: Das heißt, für jede neue Regel soll eine alte wegfallen.

In der Praxis funktioniert die Bürokratiebremse jedoch nicht: Unter dem Strich wächst die Zahl der Regeln jedes Jahr. Insbesondere die Klimaschutzgesetzgebung, ein Herzensanliegen von der Leyens, bedeutet eine Fülle neuer Vorschriften.

Weniger Bürokratie durch Digitalisierung

IW-Ökonom Röhl sagt, der neuerliche Versuch, Regeln zu streichen, sei richtig. Erfolgversprechender seien aber zwei andere Methoden: Erstens sei eine stärkere Folgenabschätzung nötig, bevor die EU neue Vorschriften beschließe. So ließen sich unnötige Belastungen von vornherein vermeiden.

>> Lesen Sie hier: Lesen, leiden, lochen – Bürokratiewahnsinn in Deutschland

Zweitens sollte die Kommission mehr einheitliche Regeln für die Digitalisierung erlassen. Dann wären die Mitgliedstaaten gezwungen, ihre Verwaltung schneller zu digitalisieren – und würden auf diesem Weg Bürokratie abbauen.

Zur Digitalisierung legte Justizkommissar Didier Reynders vergangene Woche einen neuen Vorschlag vor: Kleine und mittlere Unternehmen sollen künftig leichter im EU-Ausland tätig werden können, weil alle öffentlichen Firmeninformationen in einer EU-weiten Datenbank erfasst werden sollen. Firmen müssten sich dann nur noch in einem Mitgliedstaat registrieren.

Bei einer Expansion ins Ausland soll die dortige Regierung direkt auf die bereits gespeicherten Daten zugreifen können, eine weitere Anmeldung entfällt. Die Unternehmensinformationen sollen auch automatisch in mehreren EU-Sprachen erhältlich sein, sodass Firmen sich leichter um öffentliche Aufträge in ganz Europa bewerben können.

Bei der digitalen Verwaltung hat Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Ländern erheblichen Nachholbedarf. In dieser Frage ist den Unternehmen ein bisschen mehr Druck aus Brüssel daher ganz recht.

Mehr: Bulgarien und Rumänien könnten Deutschland bei digitaler Verwaltung überholen



<< Den vollständigen Artikel: Europäische Union: Von der Leyen verspricht Bürokratieabbau – doch die Zahl der EU-Regeln wächst >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.

Article Categories:
Politik

Comments are closed.