Paris Während Emmanuel Macron am Montagabend sein Verhältnis zu den Franzosen zu reparieren versucht, boykottieren die Gegner der Rentenreform die Fernsehansprache des Präsidenten. An zahlreichen Orten in Frankreich haben sie sich zu einer besonderen Protestform getroffen: Als der Präsident sich vom Élysée-Palast aus an die Bürger wandte, schlugen sie lautstark auf Töpfe und Pfannen ein.
Der neue Dialog, den sich Macron nach der umstrittenen Reform wünscht, dürfte also schwierig werden. Der Präsident räumte ein, dass es ihm nicht gelungen sei, einen Konsens bei der Rente herzustellen. „Ist es eine Reform, die akzeptiert wird? Offensichtlich nicht“, sagte er. Es sei bedauerlich, dass trotz „Monaten der Beratungen“ kein gemeinsamer Weg gefunden worden sei.
Zugleich hielt Macron daran fest, dass die Reform „notwendig“ gewesen sei. Dabei verwies er auf die Alterung der Bevölkerung und die steigende Lebenserwartung. Nur mit einer Anpassung des Systems könne man „für jeden die Rente garantieren“.
Die Franzosen sollen dem Reformgesetz zufolge ab dem Jahr 2030 grundsätzlich erst mit 64 Jahren in den Ruhestand gehen. Dafür soll das gesetzliche Renteneintrittsalter von gegenwärtig 62 Jahren ab diesem Herbst schrittweise angehoben werden.
Großzügige Frühverrentungsregelungen für bestimmte Berufsgruppen will die Regierung abschaffen. Besonders langjährige Arbeitserfahrung soll allerdings berücksichtigt werden: Wer mindestens 43 Beitragsjahre aufweist, kann unter bestimmten Umständen auch schon früher ohne Abschläge in Rente gehen.
Franzosen lehnen Rentenreform weiterhin ab
Die Reform hatte am Freitag die letzte Hürde genommen: Der Verfassungsrat des Landes billigte das Gesetz am Freitag in allen wichtigen Punkten. Das Anliegen der linken Opposition, ein Referendum über die Reform abzuhalten, lehnte das Gremium ab. Macron verlor keine Zeit und setzte das Gesetz in der Nacht zum Samstag in Kraft.
Die Franzosen lehnen die Erhöhung des Renteneintrittsalters Umfragen zufolge mit deutlicher Mehrheit ab. Macrons ohnehin schon schwachen Beliebtheitswerte sackten auf einen Tiefstand. An bislang zwölf nationalen Protesttagen gingen zeitweise mehr als eine Million Menschen auf die Straße. Zuletzt hatte die Beteiligung an den Demonstrationen und Streiks aber abgenommen.
Nicht nur der Inhalt der Reform stieß auf massiven Widerstand, sondern auch die Art, wie Macron sie durchdrückte. In der Nationalversammlung, wo das Mitte-Bündnis des Präsidenten seit den Parlamentswahlen vom Juni 2022 keine eigene Mehrheit mehr hat, hatte das Gesetz zu scheitern gedroht.
Also nutzte Macron ein in der Verfassung verankertes Sonderrecht der Regierung, das Gesetz ohne Zustimmung des Parlaments zu verabschieden. Die Opposition strengte daraufhin ein Misstrauensvotum gegen die Regierung an, das knapp scheiterte.
Macron bietet „neuen Pakt für die Arbeit“ an
Macron erklärte die Proteste in seiner rund 15-minütigen Ansprache zur besten Sendezeit mit einer sozialen Unzufriedenheit, die über das Rententhema hinausgehe. „Niemand, vor allem nicht ich, kann die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit und nach einer Erneuerung unseres demokratischen Zusammenlebens ignorieren“, sagte er.
Der Präsident bot den Gewerkschaften „Gespräche ohne Grenzen und Tabus“ an über Themen wie eine Umverteilung des Reichtums und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen gerade für ältere Beschäftigte. Die Gewerkschaften hatten die jüngsten Angebote aus dem Élysée allerdings zurückgewiesen und wollen frühestens nach dem 1. Mai in einen möglichen Dialog eintreten. Am Tag der Arbeit planen sie, erneut gegen die Rentenreform zu mobilisieren.
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Macron schwebt ein „neuer Pakt für die Arbeit“ vor. Er habe die Wut der Bürger darüber wahrgenommen, dass „die Arbeit vielen Franzosen nicht mehr ein gutes Leben ermöglicht“. Auch die Inflation spiele hier eine Rolle. Der Präsident machte aber zugleich deutlich, dass die staatlichen Maßnahmen gegen die hohen Preise in Frankreich so umfassend wie in keinem anderen Land in Europa ausgefallen seien.
Eine weitere Baustelle, die sich Macron vornehmen möchte, ist eine Reform der angestaubten Institutionen der 1958 gegründeten Fünften Republik. Damit möchte er gegen „das Gefühl kämpfen, dass man mit Wahlen keinen Einfluss mehr auf die Entscheidungen hat“. Details nannte der Präsident aber nicht.
Auf der Agenda des Präsidenten für die verbleibenden vier Jahre seiner zweiten Amtszeit ist auch eine bessere Ausstattung des Justizwesens mit Tausenden neuer Richterstellen, die Schaffung neuer Polizeieinheiten sowie der Kampf gegen die „illegale Migration“. Den Fahrplan für die nächsten Reformen soll Premierministerin Élisabeth Borne in der kommenden Woche vorstellen, eine erste Bilanz will Macron dann am Nationalfeiertag, dem 14. Juli, ziehen.
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