Berlin Es ist nicht so, als wäre das Problem nicht erkannt: Seit Jahren weisen Bildungspolitiker auf die miserablen Chancen für sozial schwache Schüler im deutschen Schulsystem hin. Bildungs- und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) will nun mithilfe des Startchancen-Programms 4000 Schulen mit einem hohen Anteil an sozial benachteiligten Schülern besonders unterstützen.
Momentan lautet die Realität: Ob ein Kind es nach der Grundschule auf das Gymnasium schafft, hängt maßgeblich mit dem Elternhaus zusammen, aus dem es kommt. Neue Berechnungen des Ifo-Instituts der Universität München zeigen jetzt, wie stark sich die Bildungschancen von Kindern unterscheiden, je nachdem, wie reich und gebildet ihre Eltern sind.
Demnach hat sich die Chancengerechtigkeit im deutschen Bildungssystem in den letzten zehn Jahren nicht verbessert. Obwohl es mittlerweile mehr Kinder auf das Gymnasium schaffen, bleibt der Unterschied zwischen den Schülern groß – je nachdem, welche Voraussetzungen sie von zu Hause mitbringen.
Die Autoren untersuchten anhand des Mikrozensus von 2019, welchen Einfluss die Kategorien Einkommen, Schulabschluss der Eltern, Migrationshintergrund und Alleinerziehendenstatus auf die Wahrscheinlichkeit eines Gymnasialbesuchs hatten.
Dabei wurde eine Stichprobe von 50.000 Kindern und Jugendlichen im Alter von zehn bis 18 Jahren herangezogen, die Informationen über den Gymnasialbesuch und den familiären Hintergrund liefert.
Eklatant ungleiche Bildungschancen in Deutschland
Das Ergebnis: Haben beide Eltern kein Abitur, einen Migrationshintergrund und ein Haushaltsnettoeinkommen von unter 2600 Euro, schafft es nur etwa jedes fünfte Kind auf ein Gymnasium. Haben beide Eltern Abitur, ein Haushaltsnettoeinkommen über 5500 Euro und keinen Migrationshintergrund, liegt die Wahrscheinlichkeit hingegen bei über 80 Prozent.
„Die Ergebnisse des Chancenmonitors zeigen ein frappierendes Ausmaß der Ungleichheit der Bildungschancen in Deutschland – je nachdem, aus welchem familiären Hintergrund ein Kind stammt“, lautet eine zentrale Erkenntnis der Studie. Die Co-Autorin der Studie, Vera Freundl, Fachreferentin für Bildungsökonomik am Ifo-Institut, warnt, dass die Gefahr bestehe, dass die Schere zwischen Kindern mit guten Voraussetzungen und Kindern aus schwierigen Verhältnissen weiter auseinandergehen könnte.
Denn: „Die Kompetenzen, die man erlernt, haben auch einen großen Einfluss darauf, was man später verdient“, sagt Freundl. Laut Ifo-Institut erzielen Menschen mit Abitur im Durchschnitt ein um 42 Prozent höheres monatliches Nettoeinkommen als Menschen ohne Abitur.
Die Folge von schlechtem Einkommen und einem geringen Bildungsgrad droht sich also von Generation zu Generation zu verfestigen. „Die Unterschiede treten sehr früh zutage und ziehen sich dann durch den gesamten Bildungsverlauf“, warnt Studienautorin Freundl.
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Kai Gehring (Grüne), Vorsitzender des Bildungsausschusses im Bundestag, hält die Ergebnisse für „alarmierend“. „Wir brauchen in diesem Land jedes Talent und müssen bundesweit dafür sorgen, dass allen Kindern gleichermaßen Bildungswege, berufliche Perspektiven, gesellschaftliche Teilhabe und persönliche Entfaltungsmöglichkeiten offenstehen“, fordert er. Vor allem die frühkindliche Bildung stelle die Weichen für gleiche Chancen. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) arbeite deshalb daran, die Kita-Qualität zu verbessern.
Auch die Studie plädiert dafür, Kinder aus benachteiligten Verhältnissen schon sehr früh gezielt zu fördern. Doch Betreuungsplätze für Kleinkinder würden vor allem von sozial privilegierten Familien in Anspruch genommen – obwohl vor allem sozial schwache Kinder davon stark profitieren könnten.
Der Zugang zu diesen Angeboten ist auch deshalb schwierig, weil es nicht genug Plätze in Kindertagesstätten gibt. Laut Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft fehlten Ende vergangenen Jahres rund 266.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren.
Der Weg aufs Gymnasium: Schlechte Chancen auch bei guten Noten
Doch selbst wenn es Kindern aus sozial schwachen Familien gelingt, in der Schule die gleichen Noten wie ihre Mitschüler zu bekommen, ist der Weg auf das Gymnasium für sie trotzdem oft schwerer. „Gymnasialempfehlungen werden auch bei den gleichen schulischen Leistungen eher bei besserem familiärem Hintergrund ausgesprochen“, sagt Freundl.
Die Auswirkungen der Coronakrise sind in den Zahlen des Mikrozensus noch nicht enthalten. Die Pandemie könnte dazu geführt haben, dass die Bildungschancen sich für Kinder aus sozial schwachen Familien weiter verschlechtern. So warnte Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger zu Beginn des Jahres vor „starken Lernrückständen“, die vor allem Kinder aus sozial schwachen Familien beträfen.
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