Genf An diesem Dienstag lief das Frachtschiff „Ikaria Angel“ aus dem ukrainischen Hafen Odessa in Richtung Tunesien aus. Das Schiff hatte mehr als 37.000 Tonnen Getreide geladen. Die „Ikaria Angel“ gehört zu den Hunderten von Schiffen, die seit Juli 2022 mit Agrargütern für den Weltmarkt die Ukraine verlassen und sie in alle Welt exportiert haben. Sie alle stachen laut den Vorgaben der Schwarzmeer-Getreideinitiative in See.
UN-Generalsekretär António Guterres nennt die Übereinkunft über einen sicheren Export einen „Hoffnungsträger“. Tatsächlich dürfte ein vergleichbares Abkommen, an dem sich zwei Kriegsgegner beteiligen, in der Geschichte nahezu einzigartig sein.
Doch Russland droht so deutlich wie noch nie damit, aus dem Deal auszusteigen. „Wir werden darüber nachdenken, ob der Deal nötig ist“, lässt Moskaus Außenminister Sergei Lawrow wissen.
Die Übereinkunft gilt nominell noch bis Mitte Mai. Mit Wirkung vom 18. März hatten die Russen einer Verlängerung noch einmal zugestimmt, um 60 Tage. Davor belief sich die Frist auf zweimal 120 Tage. Moskau, so scheint es, setzt den Hunger wieder als Waffe ein.
„Ein Ende der Schwarzmeer-Getreideinitiative wäre ein schwerer Schlag für den Welthandel“, betont Ralph Ossa, der Chefökonom der Welthandelsorganisation gegenüber dem Handelsblatt. „Die Initiative ist für die Ernährungssicherheit, vor allem armer Länder, unerlässlich.“ Die Folgen liegen auf der Hand: Der Lieferausfall von Millionen Tonnen Lebensmitteln pro Monat könnte Preise für Lebensmittel stark in die Höhe treiben.
Getreidedeal hat große politische Bedeutung
Auch die politische Bedeutung der Initiative ist kaum hoch genug einzuschätzen. Stellt die Vereinbarung in der hasserfüllten Atmosphäre des russischen Angriffskriegs gegen das Nachbarland doch den Versuch einer vertrauensbildenden Maßnahme dar. Das Paket gehört zu den wenigen Übereinkommen, dem die Konfliktparteien zustimmten.
Tatsächlich hat die Schwarzmeer-Getreideinitiative bislang die Verschiffung von mehr als 28 Millionen Tonnen Getreide und anderen Agrargütern aus der Ukraine ermöglicht. Bis Mitte März 2023 gingen 55 Prozent der Exporte in Entwicklungsländer.
Die Ukraine und Russland zählten vor Beginn des großangelegten Moskauer Angriffskriegs am 24. Februar 2022 zu den weltweit größten Agrarexporteuren. Allein die Ukraine lieferte rund 45 Millionen Tonnen Getreide jährlich in andere Länder.
Nach dem russischen Einmarsch in das Nachbarland blockierten die Kreml-Streitkräfte die ukrainische Ausfuhr von Agrargütern über das Schwarze Meer. Weltweit bekamen die Menschen die Teuerungen und den Ausfall der Lieferungen aus der Ukraine zu spüren. Doch „die Schwarzmeer-Getreideinitiative trug dazu bei, weitere Marktbeunruhigungen zu reduzieren und die Getreidepreise zu senken“, heißt es in der nüchternen Sprache der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO.
Im Juli 2022 hatten sich die Ukraine, Russland und die Türkei in Istanbul auf den Getreidedeal für weitere Exporte geeinigt. Vorausgegangen war ein zähes Ringen, geprägt von Misstrauen unter Vermittlung der UN. Die Initiative zielt auf die sichere Ausfuhr von ukrainischem Getreide, Düngemitteln und anderen Nahrungsmitteln aus Odessa und zwei anderen Häfen – trotz des russischen Angriffs.
Die Parteien gaben Schutzgarantien für die Schiffe und vereinbarten Inspektionen, mit denen Waffenschmuggel unterbunden werden soll. Eine zweite Vereinbarung kam in Istanbul zwischen den Vereinten Nationen und Moskau zustande. Die UN willigten ein, sich für die ungehinderte Ausfuhr russischer Lebensmittel und Düngemittel auf die Weltmärkte einzusetzen. Mit dem Memorandum wollten die UN den Russen die Zustimmung zur Getreideinitiative schmackhaft machen.
Russland kritisiert Exporthindernisse für Dünger und Lebensmittel
Doch bei der Umsetzung des Memorandums sehen die Russen erheblichen Handlungsbedarf. Lawrow verlangt insbesondere von den USA, der EU sowie Großbritannien die Abschaffung von Exportbarrieren für russische Güter. „Wenn sie diese Angelegenheit nicht ehrlich angehen wollen, können sie die entsprechenden Produkte auf Autobahnen und Flüssen aus der Ukraine transportieren“, höhnte der russische Außenamtschef.
Lawrow und seine Diplomaten beklagen, den Russen und ihren Außenhandelsfirmen stünden im Zuge der westlichen Sanktionspolitik Versicherungshürden im Weg, sie seien vom Zahlungsverkehr abgeschnürt oder Seehäfen ließen ihre Schiffe nicht einlaufen. Konkret fordert Moskau etwa, dass die Russische Landwirtschaftsbank wieder an das Swift-Zahlungssystem angeschlossen werden müsse. Falls der Westen nicht die Forderungen erfülle, werde Moskau im Gegenzug den Getreidedeal platzen lassen.
Die EU will die Argumentation Moskaus nicht gelten lassen. Die Sanktionen der Europäer verbieten nicht die Einfuhr, die Ausfuhr, den Kauf oder den Handel mit Lebensmitteln und Düngemitteln aus Russland, heißt es in einem Positionspapier. Und weiter: „Russland trägt die volle Verantwortung für diese Situation. Wenn es keinen Krieg gäbe, gäbe es auch keine Handelsprobleme.“
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