Riga Russlands Wirtschaft machen die Sanktionen des Westens zu schaffen – auch wenn sich deren Wirkung nur langsam entfaltet. Zu diesem Schluss kommen die Ökonominnen und Ökonomen des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), das für seine Osteuropa-Expertise bekannt ist, in ihrer Frühjahrsprognose.
Dem WIIW zufolge stabilisiert sich die russische Wirtschaft derzeit, nachdem das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal des vergangenen Jahres eingebrochen war. Für das laufende Jahr prognostizieren die Experten eine Stagnation. Institutsdirektor Mario Holzner betont allerdings: „Hinter dieser Null verbergen sich aber massive strukturelle Veränderungen.“
Einerseits leiden zwar importabhängige Sektoren wie die Autoindustrie oder der Einzelhandel massiv unter westlichen Sanktionen. Die Autoindustrie war 2022 nach Schätzungen des Instituts um 45 Prozent eingebrochen, der Einzelhandel immerhin um 12,7 Prozent.
Währenddessen florierten aber die Rüstungsindustrie und Bereiche wie die Pharmabranche, wie die Ökonomen herausstellen. WIIW-Russlandexperte Vasily Astrov nennt zudem das Baugewerbe, die Landwirtschaft und das Personalwesen als stützende Säulen der russischen Wirtschaft.
Holzner sieht neben den Sanktionen auch das Kriegsgeschehen in der Ukraine als bedeutsam für Russlands Wirtschaftsentwicklung an. „Je länger dieser Krieg dauert, je weniger Erfolg die russische Armee auf dem Schlachtfeld hat, desto stärker muss die Kriegswirtschaft angekurbelt werden, desto mehr Munition muss produziert werden“, so der WIIW-Chef. Das gehe hin bis zu „einem starken Plus bei pharmazeutischen Produkten, die dadurch auch an der Frontlinie gebraucht werden“, so Holzner weiter.
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Dem WIIW-Russlandexperten Astrov zufolge verhindern die „boomende Kriegsindustrie, die Anpassung an die Sanktionen und die Neuausrichtung des Handels auf Asien“ aktuell zwar die Schrumpfung des russischen BIP. „Das ändert aber nichts daran, dass die sanktionsbedingten Ausfälle aus dem Energiegeschäft den Kreml mittlerweile teuer zu stehen kommen.“
Mittlerweile räumt auch Russlands Präsident Wladimir Putin öffentlich ein, dass die Sanktionen wehtun. Längerfristig werde Russland vor allem die fehlende Hochtechnologie aus dem Westen – etwa Computerchips – zu schaffen machen, da diese auch China nicht liefern könne, so Astrov.
Für 2024 erwarten die WIIW-Experten ein BIP-Wachstum Russlands um ein Prozent, für 2025 sogar um 1,5 Prozent. Die Schätzungen unterschiedlicher Institutionen zur Entwicklung der russischen Wirtschaft gehen allerdings weit auseinander. So prognostiziert die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) für das laufende Jahr einen Rückgang um drei Prozent, für 2024 rechnet aber die EBRD mit einem Minus von einem Prozent.
Ukraine resilienter als gedacht
Der Ukraine attestiert das Institut eine bemerkenswerte Widerstandskraft. Angesichts der enormen Zerstörungen und obwohl so große Teile der Bevölkerung das Land wegen des Kriegs verlassen hätten, sei die Resilienz „beeindruckend“.
Für 2023 rechnet das WIIW hier mit einem Wachstum von 1,6 Prozent, das aber vom weiteren Kriegsverlauf abhänge. Für „vorsichtigen Optimismus“ sorgten insbesondere ein positiveres Geschäftsklima, eine bessere Energieversorgung, der Getreide-Deal und internationale Finanzhilfen.
Der Einbruch der ukrainischen Wirtschaftsleistung um knapp 29 Prozent im vergangenen Jahr sei etwas geringer ausgefallen als zunächst befürchtet. Ohne die systematische Bombardierung der Energie-Infrastruktur durch Russland wäre der Rückgang noch etwas geringer ausgefallen, urteilt Olga Pindyuk, Ukraine-Expertin beim WIIW.
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Für 2024 rechnen die WIIW-Experten für die Ukraine sogar mit einem Plus von 3,4 Prozent. Dabei betont WIIW-Direktor Holzner allerdings, dass die Zahlen auf der Annahme basierten, dass es zu keinem schnellen Ende des Kriegs in der Ukraine komme, aber auch zu keinen größeren Eskalationen, wie beispielsweise dem Einsatz taktischer Atomwaffen.
Andere Institute sind zurückhaltender in ihrer Prognose. So rechnet die EBRD für die Ukraine nur mit einem Plus von drei Prozent im Jahr 2024.
Stimmung in osteuropäischen Staaten hellt sich „langsam auf“
Insgesamt dürften die übrigen Länder in Mittel-, Ost- und Südosteuropa den ökonomischen Schock des Ukrainekriegs größtenteils verdaut haben, schätzen die Experten. In fast allen der 23 untersuchten Länder dürfte die Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr wieder wachsen, die schlimmsten Befürchtungen hätten sich somit nicht bewahrheitet, so WIIW-Expertin Pindyuk.
„Trotz der hartnäckig hohen Inflation, die die Haushalte und Unternehmen belastet, hellt sich die Stimmung in der Region langsam auf“, so die Ökonomin. „Das hat auch damit zu tun, dass alle Indikatoren mittlerweile auf eine langsame Erholung der Euro-Zone und ihrer stärksten Ökonomie Deutschland hindeuten.“
So hat sich laut WIIW-Bericht beispielsweise auch die polnische Wirtschaft überraschend widerstandsfähig gezeigt, wobei sich das Wachstum allerdings bereits wieder verlangsame. Der Grund: Hohe Zinsen wirken sich stark auf den privaten Konsum und die Investitionen aus, während die Inflation die Lohneinkommen untergrabe.
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