Nov 16, 2022
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Gesetzentwurf: Klagen gegen Windräder und Stromleitungen: Bundesverwaltungsgericht kritisiert Beschleunigungsplan

Written by Heike Anger


Bundesverwaltungsgericht

Bei großen und zumeist umstrittenen Projekten kommt es fast unweigerlich zu Klagen. Die Gerichtsverfahrenen dauern meist lange und verzögern die Vorhaben.



(Foto: dpa)

Berlin Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will erreichen, dass wichtige Energie- und Infrastrukturprojekte künftig nicht mehr durch jahrelange Gerichtsverfahren blockiert werden. Doch nun kritisiert das Bundesverwaltungsgericht, an dem viele dieser Prozesse verhandelt werden, den Minister.

„Einige der vorgeschlagenen Regelungen begegnen erheblichen rechtlichen Bedenken“, heißt es in einem bisher unveröffentlichten Schreiben, das dem Handelsblatt vorliegt. „Sie sind überdies teils überschießend und praxisfremd und teils überflüssig.“

Buschmann hatte den Referentenentwurf für sein Gesetz im August vorgelegt. Demnach sollen Gerichtsverfahren zu „besonders bedeutsamen Infrastrukturvorhaben“ wie Windrädern, Hochspannungsleitungen oder Fernstraßen Vorrang vor anderen Verfahren erhalten.

Vorgesehen ist auch, dass Richter künftig formale Mängel des umstrittenen Verwaltungsakts außer Acht lassen können, wenn klar sei, dass diese Mängel „in absehbarer Zeit“ behoben würden. Ziel sei es, die Verfahrensdauer für Vorhaben mit einer hohen wirtschaftlichen oder infrastrukturellen Bedeutung zu reduzieren, „ohne hierbei die Effektivität des Rechtsschutzes zu beeinträchtigen“.

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Bundesverwaltungsgericht übt scharfe Kritik

Das Bundesverwaltungsgericht rügt nun: „Diesem Ziel wird der Entwurf nicht gerecht.“ Das Schreiben stammt von Anfang September und ist vom damaligen Vizepräsidenten Andreas Korbmacher unterzeichnet. Mittlerweile ist Korbmacher Präsident des Bundesverwaltungsgerichts.

Vor allem der Plan, die Gerichte sollten Verfahrens- oder Formfehler außer Acht lassen, stößt auf Kritik. „Die Regelung hat keinen relevanten Anwendungsbereich“, heißt es in dem sechsseitigen Schreiben vom 6. September. Schon jetzt werde die Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften im Eilverfahren nicht berücksichtigt, wenn „deren Ergebnisrelevanz“ ausgeschlossen werden kann.

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Fehler, die sich auf den Inhalt des Verwaltungsakts auswirken könnten, müssten dagegen in einem ergänzenden Verfahren behoben werden, das grundsätzlich ergebnisoffen zu führen sei. „In solchen Fällen ist gerade nicht offensichtlich, dass die Fehlerheilung keine Veränderung des Verwaltungsaktes zur Folge haben kann“, wird in dem Schreiben klargestellt.

Nach den bisherigen Erfahrungen der Planungssenate des Gerichts lassen sich große Mängel eines Planfeststellungsbeschlusses nicht zeitnah beheben. In der Regel dauern die ergänzenden „Heilungsverfahren“ länger als das gerichtliche Hauptsacheverfahren.

Dazu kommt ein weiterer Tadel für Buschmann: Die verfassungsrechtlichen Grundsätze des fairen Verfahrens, der Waffengleichheit der Beteiligten und der richterlichen Neutralität verböten dem Gericht, sich als „Reparaturbetrieb“ für die Verwaltung zu betätigen und die Behebung von Fehlern in einem ergänzenden Verfahren zu initiieren, führt Korbmacher aus. Aufgabe des Gerichts sei die Verwaltungskontrolle, nicht die Abgabe von „Empfehlungen zur Fehlerkorrektur“.

Ministerien streiten über Gesetzentwurf

Die Kritik ist brisant, da die Staatssekretäre mehrerer Bundesministerien seit Wochen um das Gesetz ringen – auch und besonders um den von den Richtern gerügten neuen Paragrafen. So hatte das Umweltministerium ein Veto gegen den Vorschlag eingelegt, künftig Fehler im Verfahren nachträglich heilen zu können. Das Ressort von Ministerin Steffi Lemke (Grüne) lehnt es ab, dass auch neue Straßen, Wasserstraßen und Flughäfen unter die Regelung fallen – und nicht nur Windräder und Stromleitungen.

Sie wird unterstützt von den Beamten aus dem von Robert Habeck (Grüne) geführten Wirtschaftsministerium. Das Bundesjustizministerium indes besteht darauf, den Gerichten Spielraum zu lassen.

Der Punkt müsse „politisch geeint“ werden, hieß es seither von allen Beteiligten. Die Ausführungen der Richter seien „eine harte Schlappe für Minister Buschmann“, hieß es in Koalitionskreisen.

Harsch kritisiert das Bundesverwaltungsgericht auch einen weiteren zentralen Punkt aus Buschmanns Entwurf. So soll es künftig einen Erörterungstermin „in einem frühen Verfahrensstadium“ geben. Hier sollen die Richter vor allem die Möglichkeiten einer „gütlichen Beilegung des Rechtsstreits“ ausloten.

Marco Buschmann

Kritik am Gesetzesvorhaben des Justizministers kommt von allen Seiten.



(Foto: Reuters)

Das Bundesverwaltungsgericht befindet indes: „Diese Überlegungen beschreiben einen idealtypischen Verfahrensablauf, an der Realität gehen sie vorbei.“ So sei der Spielraum für gütliche Lösungen insbesondere in den größeren Verfahren „außerordentlich begrenzt“. Denn in den Planungsverfahren werde in der Regel bereits die Öffentlichkeit beteiligt, um bei Einwendungen einvernehmliche Lösungen mit dem Vorhabenträger zu finden. „In der Regel ist daher im gerichtlichen Verfahren kein Vergleichspotenzial mehr gegeben“, erklärt Korbmacher.

Andere öffentliche Stellungnahmen zu dem Gesetz fallen kritisch aus. So rechnet etwa der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen (BDVR) vor, dass die durchschnittliche Dauer der Klageverfahren, die dem Bundesverwaltungsgericht erstinstanzlich zugewiesen werden und bedeutende Infrastrukturprojekte betreffen, im vergangenen Jahr zwölf Monate und 18 Tage betragen habe.

Richter und Anwälte sehen kaum Spielraum für weitere Beschleunigung

Der BDVR schreibt: „In der Praxis besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Möglichkeiten der Beschleunigung der verwaltungsgerichtlichen Verfahren nahezu ausgeschöpft sind, weshalb auch der vorliegende Referentenentwurf keinen erheblichen Beitrag zu einer weiteren Beschleunigung der Gerichtsverfahren erwarten lässt.“

Der wesentliche Grund für die überlange Dauer von Planungsverfahren liege eindeutig bei fehlenden Fachleuten in den Behörden und der mangelnden Ausstattung.

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) äußert sich ebenfalls „skeptisch, ob das Problem durch weitere Änderungen des Prozessrechts substantiell gelöst werden kann“. Es bestehe die Sorge, dass erneut Rechtsschutzmöglichkeiten Betroffener eingeschränkt werden. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) moniert: Dass ein Gericht einen von ihm festgestellten Rechtsmangel einer Behördenentscheidung „außer Acht“ lasse, sei schon unter rechtsstaatlichen Aspekten nicht wünschenswert.

Eigentlich sollte das Gesetz längst das Bundeskabinett passieren. Angesichts des Koalitionsstreits ist nun der 30. November im Gespräch – und das verbunden mit anderen Gesetzesvorhaben. Von einem „Basar“ ist bereits die Rede.

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