Nov 8, 2022
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Stabipakt-Reform: Wie die neuen EU-Schuldenregeln aussehen und welche Bedenken es gibt

Written by Carsten Volkery


Ursula von der Leyen

Jedes EU-Land soll einen maßgeschneiderten mehrjährigen Schuldenabbauplan mit der EU-Kommission vereinbaren.


(Foto: IMAGO/NurPhoto)

Brüssel Mit monatelanger Verzögerung stellt die EU-Kommission am Mittwoch ihren Vorschlag zur Reform des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts vor. Nach Handelsblatt-Informationen will die Brüsseler Behörde den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität beim Schuldenabbau einräumen. Zugleich sollen die Regeln einfacher und verbindlicher werden.

Der Aufschlag markiert den eigentlichen Beginn der Reformdebatte, denn über die genaue Ausgestaltung dürfte es noch heftige Auseinandersetzungen geben. Mehrere Staaten, darunter auch Deutschland, wollen verhindern, dass die Regeln zu stark gelockert werden.

Die wichtigste Neuerung ist die Abschaffung der Ein-Zwanzigstel-Regel. Diese sieht bislang vor, dass überschuldete Länder ihre Gesamtverschuldung binnen 20 Jahren unter die Maastricht-Obergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts drücken müssen. Dieses Ziel gilt angesichts der teils dreistelligen Schuldenquoten nach der Coronapandemie als unerfüllbar für etliche europäische Länder.

Stattdessen soll künftig jedes Land einen maßgeschneiderten mehrjährigen Schuldenabbauplan mit der Kommission vereinbaren. Dessen Vorgaben fallen unterschiedlich strikt aus, je nachdem wie stark verschuldet das Land ist.

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Die Staaten werden in drei Kategorien eingeteilt: In der ersten Gruppe sind die Hochrisikoländer mit einer Staatsverschuldung von mehr als 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dazu zählen aktuell Griechenland, Italien, Portugal, Spanien, Frankreich, Belgien und Zypern.

In der zweiten Gruppe finden sich die Länder, deren Staatsverschuldung zwischen 60 und 90 Prozent liegt. Hierzu zählt zum Beispiel Deutschland (66 Prozent). In der dritten schließlich sind diejenigen versammelt, die unter der Maastricht-Obergrenze bleiben und damit nicht als überschuldet gelten.

>> Lesen Sie auch: EU-Schuldenregeln: 90 ist die neue 60 – Brüssel kapituliert vor der traurigen Realität

Alle überschuldeten Staaten müssen binnen vier Jahren einen nachhaltigen Schuldenabbaupfad erreichen. Die Hochrisikoländer müssen dabei ihre Schulden schneller abbauen als Länder mit mittlerem Risiko.

EU-Rat muss jeden Schuldenabbauplan genehmigen

Die jährliche Neuverschuldung darf nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Bei Verstößen wird gegen Hochrisikoländer automatisch ein Defizitverfahren eingeleitet, welches ein Land unter die verschärfte Aufsicht der Kommission stellt.

Auf Antrag kann die Anpassungsperiode auf sieben Jahre verlängert werden, wenn die Regierung konkrete Strukturreformen oder Investitionen vorweisen kann, die zur langfristigen Schuldentragfähigkeit beitragen. Jeder nationale Schuldenabbauplan muss von einer qualifizierten Mehrheit im EU-Rat genehmigt werden.

Der Kommissionsvorschlag ist noch kein Gesetzesentwurf, sondern zunächst nur eine Mitteilung. Die Details wollen die 27 Finanzminister in ihrer nächsten Sitzung im Dezember diskutieren. Mit einem Rechtstext wird frühestens im Frühjahr gerechnet.

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Denn die Reform ist umstritten. Auch die Bundesregierung hat noch Einwände gegen den Kommissionsplan. Im Finanzministerium von Christian Lindner (FDP) wird vor allem befürchtet, dass die Schuldenabbaupläne zu wenig ambitioniert ausfallen, wenn sie bilateral zwischen EU-Kommission und nationalen Regierungen verhandelt werden.

Zweifel am Zeitplan

Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Nicola Beer (FDP), warnt, eine solche Praxis würde in eine „stabilitätspolitische Sackgasse“ führen. Jede neue Regierung könne dann die Regeln neu verhandeln. „Da wäre jeder Hauch von Verlässlichkeit vorbei.“

Das Problem sehen auch Experten. „Wir brauchen zwar einen Ermessensspielraum, weil man nicht alles über Regeln machen kann. Die Frage ist aber, wer übt diesen aus?“, sagt Jeromin Zettelmeyer, Direktor des Brüsseler Instituts Bruegel. „Wenn die Kommission und der Mitgliedstaat den Schuldenabbauplan bilateral vereinbaren, ist das politisch schwierig.“

Der Ökonom schlägt deshalb vor, dass in jedem Land zusätzlich eine unabhängige nationale Institution den Plan absegnen muss. Außerdem müsste Hochrisikoländern vorgeschrieben werden, dass sie binnen einigen Jahren einen ausgeglichenen Haushalt, die sogenannte Schwarze Null, erreichen.

Nicola Beer

Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Nicola Beer (FDP), hat Bedenken gegen die geplanten EU-Schuldenregeln.


(Foto: ddp/Panama Pictures)

Zweifel gibt es auch am Zeitplan. Eigentlich sollte der Stabilitätspakt 2024 wieder in Kraft treten – und dann in aufgefrischter Form. Seit Beginn der Pandemie sind die Schuldenregeln nämlich ausgesetzt, zuletzt wurde die Ausnahmeregelung aufgrund des Ukrainekriegs noch bis Ende 2023 verlängert.

In Brüssel gilt es jedoch als unwahrscheinlich, dass die Rechtsakte so schnell geändert werden können. Die Reform sei technisch schwierig und politisch kontrovers, heißt es in EU-Kreisen. „Das kann ein paar Jahre dauern.“

Auch die Liberale Beer ist skeptisch: Allein die Tatsache, dass die EU-Kommission noch keinen Gesetzesentwurf vorlegen könne, zeige, dass die Abstimmungen dazu heikel seien. „Der angepeilte Zeitrahmen scheint mir sehr unrealistisch.“

Mehr: Bund macht doppelt so viele Schulden wie geplant – Lindner will Schuldenbremse trotzdem einhalten



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Politik

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