Berlin, Düsseldorf Der von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorgeschlagene Industriestrompreis soll energieintensiven Branchen helfen, doch Finanzminister Christian Lindner (FDP) lehnt das Konzept ab. In den betroffenen Branchen ist die Enttäuschung groß. Reiner Blaschek, CEO des Stahlherstellers Arcelor Mittal Germany, sagte dem Handelsblatt, ohne wettbewerbsfähige Strompreise lasse sich die Stahlherstellung in Deutschland nicht halten. „Es ist ärgerlich, dass eine Notlage für parteipolitischen Stimmenfang ausgenutzt wird.“
Auch die energieintensive Chemieindustrie stützt Habecks Pläne, für einen begrenzten Zeitraum einen gesicherten Industriestrompreis einzuführen. Christian Hartel, CEO von Wacker Chemie, sagte dem Handelsblatt, die hohen Strompreise in Europa blockierten die Transformation zur Klimaneutralität und zerstörten Wettbewerbsfähigkeit. „In Europa ist der Strompreis aktuell fünfmal so hoch wie in den USA und viermal so hoch wie in China“, sagte Hartel. Bei einem so großen Preisunterschied könnten energieintensive Unternehmen nicht auf Dauer aus Europa heraus agieren.
Es drohten eine Abwanderungswelle aus Deutschland und der Verlust ganzer Produktionsketten. „Ohne Industriestrompreis ist Abwanderung unausweichlich“, erwartet Blaschek. Aktuell gibt es noch keine Anzeichen für eine Verlagerung im großen Stil, doch derartige Prozesse können schleichend verlaufen.
Erkennbar ist: Unternehmen beginnen damit, ihre Investitionspläne für die kommenden Jahre an die absehbaren Rahmenbedingungen anzupassen. So hat der Chemiekonzern Lanxess angekündigt, deutsche Standorte vorerst nicht auszubauen. Vorstandschef Matthias Zachert macht dafür explizit die hohen Energiekosten in Deutschland verantwortlich.
Geld für mehr Produktionskapazitäten steckt der Kölner Konzern vor allem in die USA. Das geschieht nicht etwa wegen der dortigen Investitionsanreize. Vielmehr garantiere der absehbar billigere Strom auf Dauer niedrigere Betriebskosten, unterstreicht Lanxess.
Dow-Deutschlandchefin: „Investment in Deutschland ist schwierig zu begründen“
Ähnlich bewertet das Management des führenden US-Chemiekonzerns Dow den Ausblick. Die Amerikaner verfügen über große Standorte in Deutschland und enge Verbindungen mit der deutschen Industrie. Doch Deutschlandchefin Julia Schlenz muss für einen Ausbau hierzulande bei ihren Vorgesetzten in den USA immer stärker kämpfen. „Wenn Energiekosten so hoch sind wie in Europa, ist es schwierig, im internationalen Kontext hier ein Investment zu begründen.“
Habeck kündigt Subventionen für Industriestrom an
Dieser Entwicklung will Habeck mit seinem Konzept für einen Industriestrompreis entgegentreten. Danach soll für energieintensive Branchen ein Preis von sechs Cent je Kilowattstunde eingeführt werden, der bis 2030 gelten soll. Für 80 Prozent des Verbrauchs der Unternehmen soll der subventionierte Preis gelten. Im Gegenzug sollen sich die Unternehmen verpflichten, die Transformation zur Klimaneutralität bis 2045 abzuschließen, Standorte zu erhalten und Tariflöhne zu zahlen. Die Kosten für die Subvention beziffert das Wirtschaftsministerium auf 25 bis 30 Milliarden Euro pro Jahr.
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Gunnar Groebler, Vorstandschef des Stahlherstellers Salzgitter, hält Habecks Plan für unverzichtbar. Erstmals liege nun ein ganzheitliches Konzept vor, wie ein dringend notwendiger Industriestrompreis umgesetzt werden könnte, sagt er. Das Ministerium erkenne die Notwendigkeit an, schnell zu handeln, um Planbarkeit und Sicherheit für die Unternehmen herzustellen.
Lindner hält Industriestrompreis für „ökonomisch unklug“
Doch Finanzminister Lindner sieht das anders. In einem Gastbetrag für das Handelsblatt argumentiert Lindner: Es sei „ökonomisch unklug“ und widerspreche auch den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft, auf direkte staatliche Hilfen zu setzen, um die Industrie auf dem Weg der Transformation zu unterstützen. Ein Industriestrompreis wäre verteilungspolitisch ungerecht, weil er nur auf Kosten anderer Stromverbraucher und Steuerzahler umsetzbar wäre.
„Die Wettbewerbsfähigkeit für manche zu steigern würde für andere damit einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit bedeuten“, schrieb der FDP-Chef. Außerdem gebe es im ohnehin schon angespannten Haushalt keinen Spielraum. Auch die mittelständische Wirtschaft warnt vor einer „schlimmen Wettbewerbsverzerrung“ zu ihren Lasten.
Fakt ist: Unternehmen in Europa zahlen zwar schon länger höhere Strompreise als in anderen Weltregionen. Mit dem Ukrainekrieg hat sich der Abstand aber weiter vergrößert. Speziell in Deutschland ist das Preisniveau noch einmal höher als in anderen europäischen Staaten mit relevanter Industrieproduktion.
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Das hängt unter anderem mit hohen staatlichen Abgaben und Umlagen zusammen, die auf den Stromgroßhandelspreis aufgeschlagen werden. Zwar gibt es auch in Deutschland Sonderregeln und Entlastungen für große Stromverbraucher, unterm Strich ist das Strompreisniveau aber deutlich höher als beispielsweise in Frankreich.
In Frankreich gibt es für eine Reihe großer Industriekunden seit Jahren einen staatlich regulierten Industriestrompreis von vier Cent je Kilowattstunde. Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) zahlten Industriekunden mit einem Jahresverbrauch von bis zu 20 Millionen Kilowattstunden in Deutschland in diesem Jahr bei Abschluss eines Neuvertrags dagegen 28 Cent je Kilowattstunde. Die Angaben des BDEW stammen von April.
Industrie: Billiger Strom ist Grundlage für grüne Transformation
Das Problem wächst sich zu einer akuten Gefahr aus, weil der Strombedarf in den kommenden Jahren deutlich steigen wird. Hintergrund ist die Transformation der Industrie zur Klimaneutralität. Wo immer es geht, werden Kohle, Gas und Öl durch Strom ersetzt.
In den Fällen, in denen das technisch nicht möglich ist, wird Strom genutzt, um Wasserstoff per Elektrolyse herzustellen. Stammt der Strom aus erneuerbaren Quellen, ist der Wasserstoff klimaneutral. Allerdings ist der Strombedarf der Elektrolyse immens.
Klimaneutraler Wasserstoff wird künftig in großem Stil zur Stahlherstellung für das sogenannte Direktreduktionsverfahren eingesetzt. Es ersetzt die Primärstahlroute, also den klassischen Hochofen. Außerdem gewinnt die Sekundärstahlroute, also das Einschmelzen von Schrott in mit Strom betriebenen Anlagen, an Bedeutung. Auch das lässt den Strombedarf steigen.
Die Stahlbranche richtet sich bereits klar aus. Unternehmen wie Thyssen-Krupp, Salzgitter oder Arcelor Mittal investieren in den Umbau der Stahlherstellung auf wasserstoff- und strombasierte Verfahren. Für den Bau der neuen Anlagen erhalten sie Zuschüsse der öffentlichen Hand. Sie sind für deren Betrieb jedoch auf niedrige Strompreise angewiesen.
Arcelor-Mittal-Germany-Chef Blaschek weist der Politik die Verantwortung bei der Finanzierung der Transformationsprozesse zu: „Die energieintensive Industrie ist nicht die Ursache des Problems. Die mangelhafte Energiepolitik der vergangenen Jahre hat in Kombination mit der Angebotsverknappung, die der Ukrainekrieg ausgelöst hat, eine unhaltbare Situation entstehen lassen“, sagte er.
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