May 10, 2023
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Diplomatie: So versuchen Paris und Berlin, sich einander wieder anzunähern

Written by Martin Greive

Berlin, Paris Annalena Baerbock (Grüne) steht in einem Nebengebäude des Élysée-Palastes in Paris und spricht über die vielen Gemeinsamkeiten von Deutschland und Frankreich. Gerade hat die Bundesaußenministerin an einer Sitzung des französischen Kabinetts teilgenommen, die dort diskutierten Themen hätten sie stark an die heimische Ministerrunde in Berlin erinnert.

Baerbock schlug am Mittwoch in Paris einen fast überschwänglichen Ton an: „Frankreich ist unsere beste Freundin.“ Am Vorabend hatte sie sich im Élysée-Palast bereits mit dem Hausherrn ausgetauscht. Präsident Emmanuel Macron ließ nach dem Gespräch mitteilen, der Besuch eröffne ein „neues Kapitel in den deutsch-französischen Beziehungen“.

Baerbocks Visite ist nur der Auftakt einer neuen Harmonieoffensive, mit der Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die schon länger kriselnden deutsch-französischen Beziehungen wieder beleben wollen. „Man merkt, dass die Dinge schlecht sind, wenn Paris und Berlin die Symbolik betonen“, sagt Charles Grant, Direktor der Denkfabrik „Centre for European Reform“.

Die nächsten Schritte sind eng getaktet und symbolisch: So empfängt Scholz Macron am 6. Juni an seinem Wohnort in Potsdam. Vom 2. bis zum 4. Juli kommt Macron auf Einladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu einem Staatsbesuch nach Deutschland.

Die Reise ist der erste Staatsbesuch eines französischen Staatschefs – mit höchsten protokollarischen Ehren – seit 23 Jahren. Zuvor waren es Arbeitsbesuche in Deutschland, bei diesen kommen Regierungschefs oder Staatsoberhäupter auf Einladung des Bundeskanzlers und nicht des Bundespräsidenten nach Berlin. Nun soll Macrons Reise in mehrere Regionen der Bundesrepublik führen. 

Für den Herbst ist eine gemeinsame Klausurtagung der beiden Regierungen angedacht, die sich vom steifen Sitzungsambiente der bisherigen deutsch-französischen Ministerräte abheben soll. All diese Treffen sollen das strapazierte Verhältnis beider Länder wieder verbessern – und die als unterkühlt geltenden Beziehungen von Macron und Scholz verbessern.

Angestaute Konflikte wurden offengelegt

Die kurzfristige Absage des deutsch-französischen Ministerrats im Oktober 2022 hatte die monatelang aufgestauten Konflikte in zentralen Fragen offengelegt. Der Ärger um den Aufbau des deutschen Energie-Abwehrschirms, mit dem Scholz die Franzosen überrumpelte, war da nur ein Beispiel. Auf dem Höhepunkt der Krise warnte Macron den Kanzler vor laufenden Kameras gar davor, die Bundesrepublik in der EU zu „isolieren“.

Xi Jinping und Emmanuel Macron

In Berlin verfolgte man mit einem gewissen Entsetzen Macrons China-Reise Mitte April.

(Foto: AP)

Eigentlich sollte zum 60. Jahrestag des Élysée-Vertrags in diesem Januar alles besser werden, der Ministerrat wurde parallel zu den Feierlichkeiten in Paris nachgeholt. Doch auch nach dem großen Festakt kam es schnell zu neuen Konflikten. Nur wenige Wochen nach dem Jubiläum gerieten Deutschland und Frankreich in der Frage aneinander, welche Rolle Atomkraft bei der Energiewende in der EU spielen soll. In französischen Regierungskreisen wurde den Deutschen der Bruch der Absprachen vom Ministerrat vorgeworfen.

In Berlin wiederum verfolgte man mit einem gewissen Entsetzen Macrons China-Reise Mitte April. Die Aussage des Präsidenten, Europa dürfe in der Taiwan-Frage kein Mitläufer der USA sein, nahmen ihm selbst frankophile deutsche Außenpolitiker übel. Sie wurde so verstanden, als solle die EU eine Art Äquidistanz zu den USA und China halten.

Konfliktpotenzial birgt auch die Reform der europäischen Schuldenregeln. Die EU-Kommission setzt statt einheitlicher Vorgaben auf individuelle Wege für jeden Mitgliedstaat, um Schulden und Defizite langfristig zu senken. Während Frankreich die Vorschläge unterstützt, gehen sie der Bundesregierung zu weit.

>> Lesen Sie auch: Paris weist Kritik an Macrons China-Aussagen zurück

Die Bundesregierung tritt unterdessen dem Eindruck entgegen, das für Herbst geplante deutsch-französische Teambuilding auf Ministerebene sei die Folge ernsthafter Beziehungsprobleme. Details des neuen Formats der Ministertreffen sind noch nicht bekannt. In Berlin wird das Format als Treffen beschrieben, bei dem „man nicht nur von morgens bis abends in einem Raum zusammensitzt, sondern in der es vielleicht auch etwas lockere Elemente gibt, bei denen man sich ungezwungen, aber trotzdem vertrauensvoll, austauschen kann“.

Respekt in Berlin für Macrons Reformwillen

In deutschen Regierungskreisen heißt es, bei allen Meinungsverschiedenheiten wisse man, was man an Macron habe. Das Gelingen des europäischen Projekts sei „ihm ohne jeden Zweifel eine absolute Herzensangelegenheit“. Auch wird Macron in Berlin Respekt entgegengebracht, wie er gegen große Widerstände versucht, sein Land zu reformieren.

Olaf Scholz

Scholz will Macron am 6. Juni in Potsdam empfangen.

(Foto: IMAGO/Starface)

Éric-André Martin, Deutschlandexperte des Pariser Thinktanks Institut français des relations internationales (Ifri), sagt: „Ich glaube, dass jetzt alle verstanden haben, dass man sich offene Konflikte zwischen Deutschland und Frankreich in diesen Zeiten nicht leisten kann.“ Die geplanten deutsch-französischen Treffen der nächsten Monate würden den Willen signalisieren, eine „positive Agenda“ für die EU zu entwickeln und voranzutreiben.

Es sei gut, dass Berlin und Paris nach neuen Wegen suchten, um dem Austausch zwischen beiden Regierungen neues Leben einzuhauchen, sagte der SPD-Außenpolitiker Michael Roth, der von 2014 bis 2021 Beauftragter der Bundesregierung für die deutsch-französische Zusammenarbeit war. Aus eigener Erfahrung wisse er, „dass der stark überformalisierte Rahmen der Ministerräte faktisch keinen Raum für einen offenen inhaltlichen Austausch lässt“.

Allerdings sind aus Roths Sicht die Zeiten vorbei, in denen Frankreich und Deutschland den Takt in Europa vorgeben könnten. Berlin und Paris müssten die Interessen der mittel- und osteuropäischen EU-Staaten stärker einbeziehen. „Die alte Formel, dass ein deutsch-französischer Kompromiss automatisch auch ein akzeptabler gesamteuropäischer Kompromiss ist, gilt nicht mehr in der EU“, sagte er.

>> Lesen Sie hier: Scholz ist gar nicht so weit entfernt von Macron

Die Gewichte in der EU hätten sich zunehmend nach Osten verschoben. „Und Deutschland und Frankreich müssen durch manche Fehler in der Vergangenheit erst Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.“

Mehr: Wie Deutschland und Frankreich ihre Freundschaft retten wollen.



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