Berlin. Die Güterbahnunternehmen in Deutschland mobilisieren gegen Verkehrsminister Volker Wissing (FDP). Sie üben scharfe Kritik an der von ihm vorgelegten Verkehrsprognose, die als Grundlage für die zukünftige Verkehrspolitik dienen soll. Gemeinsam haben der Verband Allianz pro Schiene, der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) sowie der Verband der Güterwagenhalter in Deutschland die Annahmen überprüft, mit denen die Prognose erstellt wurde.
Das Ergebnis: Die unterstellten Annahmen seien teilweise falsch oder fehlerhaft zulasten des Schienenverkehrs, kritisieren die Verbände. „Die Schiene ist logistikfähig, hat bewiesen, dass sie trotz des Wandels in der Güterstruktur überproportional gewachsen ist, und wird auch den künftigen Strukturwandel mit innovativen Konzepten und politischem Rückenwind überdurchschnittlich meistern“, schreiben sie. Zu den Mitgliedern gehören die bundeseigene Deutsche Bahn AG, aber auch Güterbahnen anderer Staatsbahnen wie SBB (Schweiz), Captrain (Frankreich) oder TX Logistik (Italien) sowie private Anbieter wie Metrans.
Minister Wissing hatte im März seine Prognose vorgestellt. Demnach wird der Güterverkehr bis 2051 um mehr als die Hälfte wachsen, aber vornehmlich auf der Straße. Der Güterverkehr soll zwar auch auf der Schiene zulegen, allerdings mit 33 Prozent weniger stark als auf der Straße.
Die Bundesregierung wird der Schätzung zufolge ihr Ziel verfehlen, 2030 ein Viertel des gesamten Güterverkehrs über die Schiene abzuwickeln. Derzeit sind es knapp 18 Prozent. Nach der Prognose sinkt der Anteil sogar. NEE-Geschäftsführer Peter Westenberger erklärte bereits bei der Präsentation: „Eine Prognose ersetzt keine Politik“, und forderte, politisch gegenzusteuern.
Das Ministerium hatte im Vorfeld wissenschaftlich Prämissen erstellen lassen und auch etliche Verbände einbezogen. Die Güterbahnen aber legen Wert auf die Feststellung, dass sie dem Ergebnis nicht zugestimmt haben, sondern frühzeitig Kritik übten.
Wunsch und Wirklichkeit bei den Prognosen
So sei etwa der künftige CO2-Preis bei Kraftstoffen zu niedrig angesetzt, sogar niedriger als bei der inzwischen von der Bundesregierung beschlossenen Lkw-Maut, die ab 2024 bei 200 Euro je Tonne ausgestoßenen Kohlendioxids liegen soll. Kritik sei nicht berücksichtigt worden, heißt es.
Auch bemängeln sie, dass die Prognose nur abstrakt unterstelle, dass das Schienennetz ausgebaut und digitalisiert werde. Beim Autobahnnetz hingegen seien konkrete Maßnahmen benannt, die für mehr Kapazität sorgten, etwa die Freigabe von Standstreifen. Bei der Schiene würden weder Innovationen unterstellt noch Züge, die statt 740 sogar 1500 Meter lang sein könnten, wenn das Netz konsequent digitalisiert würde.
Dagegen sei beim Straßenverkehr von reichweitenstarker Batterietechnologie für schwere Lastwagen im Fernverkehr die Rede, von ausreichender Ökoenergie und einer guten Ladeinfrastruktur. Doch was aus diesen Annahmen werde, sei längst nicht sicher, monieren die Bahnunternehmen.
Dennoch werde unterstellt, dass bereits ab 2035 nahezu alle schweren Nutzfahrzeuge elektrisch betrieben würden. Weil es aber weder erschwingliche Lastwagen gebe noch ausreichend Ökostrom oder Umspannwerke an Rastanlagen für große Ladestationen, rechne selbst die Regierung in ihrer Klimaprognose allenfalls damit, dass 2040 rund 30 Prozent der Lkw-Kilometer elektrisch gefahren werden – inklusive der leichten Nutzfahrzeuge, bei denen Batterieantriebe schneller eingesetzt werden.
Güterbahnen verweisen auf neue Logistikangebote für Pakete und Lebensmittel
Während Wissing als Ursache für den wachsenden Straßenverkehr den „Güterstrukturwandel“ nennt – weniger Schwergüter wie Kohle, dafür mehr Elektronik, Nahrungsmittel und Paketsendungen –, führen die Güterbahnen neue Logistiklösungen an: So habe der Schienengüterverkehr seinen Marktanteil beim Transport von Nahrungsmitteln und anderen sogenannten kurzlebigen Konsumgütern von etwas mehr als einem auf gut sechs Prozent gesteigert.
Allein die DB Cargo transportiere pro Jahr 1500 Kühlcontainer mit Obst und Gemüse von Spanien nach Zentraleuropa. Die DHL, die Pakettochter der Deutschen Post, habe ihre Transporte per Schiene auf sechs Prozent verdreifacht und strebe bis 2030 einen Anteil von 20 Prozent an.
Die Güterbahnen sorgen sich, dass die schlechten Prognosen für den Schienenverkehr dazu führen, dass der Staat weniger in das Netz, den Ausbau und die Digitalisierung investiert. So sei in der Prognose nicht unterstellt, dass es bis 2051 neue Schienenwege geben wird. Dies sei „unverständlich“, kritisieren die Verbände, rechne die Logistikbranche doch mit einer steigenden Nachfrage und einem Bedarf an neuen Trassen. Sie fordern daher, an einer auf Klimaziele ausgerichteten Verkehrspolitik festzuhalten.
Wissing hingegen hatte sich von dem Paradigma verabschiedet, wonach Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert werden soll, um klimafreundlich zu transportieren. Vielmehr geht er davon aus, dass Autos und Lastwagen bis 2045 überwiegend mit klimaneutralen Antrieben fahren werden. Daher setzt er bei der Verlagerung auf die Schiene darauf, vornehmlich die Straße zu entlasten.
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