Frankfurt (Reuters) – Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wirft den deutschen Autokonzernen und ihrem Zulieferer Bosch vor, sich schon früh über die Illegalität ihrer umstrittenen Technik zur Dieselabgasreinigung im Klaren gewesen zu sein.
Audi, Volkswagen, Daimler, BMW und Bosch hätten von Anfang an gewusst, dass die Abschalteinrichtungen gegen behördliche Vorschriften verstießen, erklärte die DUH am Donnerstag. Sie beruft sich auf Dokumente aus den Jahren 2006 bis 2015, die ihr im Sommer zugespielt worden seien und die sie an die Staatsanwaltschaft Stuttgart weitergeleitet habe. “Uns geht es um die Gesundheit von Menschen”, betonte DUH-Chef Jürgen Resch. In Deutschland gebe es noch immer 70.000 vorzeitige Todesfälle wegen zu hoher Luftverschmutzung im Jahr.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erklärte, die Dokumente seien in dem schon 2019 abgeschlossenen Diesel-Bußgeldverfahren gegen Bosch berücksichtigt worden. Nach der Übergabe der Dokumente der DUH werde keine neue Vorermittlung eingeleitet.
Aus Protokollen und Folien zu Sitzungen geht demnach hervor, dass der Autozulieferer mehrfach auf rechtliche Risiken bei der von den Auto-Konzernen beauftragten Technik hingewiesen hat. Dabei geht es unter anderem um eine von der Temperatur abhängige Drosselung der Abgasreinigung, die zu Stickoxidausstoß weit über dem Grenzwert führte. Die Autobauer sahen sie von der EU-Gesetzgebung gedeckt, die das bei sonst drohenden Motorschäden erlaubte. Diese Reduzierung sei aber “über Bauteilschutzgründe hinaus” erfolgt, heißt es laut DUH in einem der Dokumente. Bosch habe sich abgesichert, nicht die rechtliche Verantwortung zu tragen. Die “Applikationsverantwortung sowie Rechtfertigung der Funktion selbst liegt beim Kunden”, zitierte die DUH von einer Folie aus dem Jahr 2006. Insgesamt habe Bosch 44 Varianten der Betrugssoftware entwickelt.
BOSCH – ALLES BEKANNT
Mercedes-Benz wollte sich nicht äußern. Konkurrent BMW, zu dem nach Ansicht der DUH jetzt erstmals Beweise für Betrug auftauchen, wies die Vorwürfe zurück. “Ein bewusstes, gezieltes Vorgehen zur unzulässigen Manipulation von Abgasemissionen ist für uns nicht akzeptabel”, erklärte BMW. “Die angeführten Punkte sind nicht neu und allesamt aufgearbeitet”, teilte Bosch mit. “Die Dokumente sind uns bekannt, und wir haben eng mit den Ermittlungsbehörden kooperiert.” Bei dem Verhängen des Bußgeldes von 90 Millionen Euro gegen Bosch vor drei Jahren hätte die Staatsanwaltschaft festgestellt, “dass die Initiative für Integration und Ausgestaltung von als unzulässig vorgeworfenen Softwarestrategien jeweils von Mitarbeitern anderer Unternehmen ausging.” In Bußgeldverfahren gegen die Autobauer verhängten die Behörden höhere Strafen. Der Volkswagen-Konzern, bei dem der Dieselskandal 2015 aufflog, musste eine Milliarde Euro zahlen, Audi, Porsche und Daimler hohe dreistellige Millionenbeträge.
Auch Volkswagen erklärte, die Ermittlungen zum Themenskomplex Diesel seien schon lange beendet. Die Thermofenster seien nach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes weiter zulässig, da sie dem Motorschutz dienten. “Diese Ansicht teilen auch die Aufsichtsbehörden, wie zum Beispiel das Kraftfahrt Bundesamt (KBA), unverändert.” Die DUH will mit den Unterlagen ihre Klage gegen das KBA vor dem Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein untermauern. Das Amt hat aus Sicht der DUH bei einem VW Golf wie bei mehr als 100 anderen Typgenehmigungen eine illegale Abschalteinrichtung durchgehen lassen. DUH-Chef Resch rechnet mit einem Erfolg vor Gericht. Dann müssten fünf bis sechs Millionen Dieselautos repariert oder aus dem Verkehr gezogen und ihre Besitzer entschädigt werden.
Die Umweltlobby betrachtet die Dokumente als “rauchenden Colt”, der Autobesitzern in Schadenersatzklagen neue Munition liefert. Anders als die VW-Software, die zwischen Prüfstand und Fahrbetrieb unterschied, stufte der Bundesgerichtshof die temperaturgesteuerte Abgasreinigung bisher nicht als Betrug ein. Die Kläger konnten den Autobauern keinen Vorsatz zu sittenwidriger Schädigung ihrer Kunden nachweisen. “Nach meiner Einschätzung lässt sich die Feststellung von Gerichten eines Verbotsirrtums der Pkw-Hersteller nicht mehr halten”, erklärte DUH-Verkehrsexperte Axel Friedrich.
(Bericht von Ilona Wissenbach, redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com)
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