London Drei Jahre nach dem offiziellen Austritt Großbritanniens aus der EU sieht die Britische Handelskammer in Deutschland (BCCG) erstmals Anzeichen für eine Trendwende in den durch den Brexit stark beschädigten Wirtschaftsbeziehungen. Für das Jahr 2023 erwartet jedes dritte Unternehmen wachsende Umsätze in Großbritannien.
Mit Blick auf die nächsten fünf Jahre geht fast die Hälfte der 136 Firmen, die von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG im Auftrag der BCCG befragt wurden, von steigenden Umsätzen aus. Im vergangenen Jahr meldete eine Mehrheit der Unternehmen noch Umsatz- und Gewinnrückgänge.
„Großbritannien bleibt für die deutsche Wirtschaft ein wichtiger Wirtschaftspartner vor der eigenen Haustür“, ist sich KPMG-Bereichsvorstand Andreas Glunz sicher, „mittelfristig glaubt die Wirtschaft an eine Verbesserung der Wirtschaftslage in Großbritannien und hofft auf eine Wiederannäherung an die EU.“
Glunz weist zudem darauf hin, dass sich auch die Handelsströme und Direktinvestitionen zum ersten Mal seit sechs Jahren wieder positiv entwickelten. Im Vorjahr hatte er noch den „Scherbenhaufen“ beklagt, den der Brexit im deutsch-britischen Handel hinterlassen habe.
Die britische Regierung unter Premierminister Rishi Sunak hat durch die Einigung mit der EU im Nordirland-Streit im März eine wichtige Hürde bei der Wiederannäherung an die Kontinentaleuropäer aus dem Weg geräumt. Sunak habe mit seiner „pragmatischen Politik der ruhigen Hand“ wieder Vertrauen geschaffen und das zum Teil aggressive und chaotische Vorgehen seiner Vorgänger Boris Johnson und Liz Truss vergessen lassen, sagt BCCG-Präsident Michael Schmidt. Zur Verbesserung des Klimas habe aber auch der Besuch von König Charles III. in Deutschland beigetragen.
Handelsabkommen mit der EU soll nachgebessert werden
Für die Briten sind die Umfrageergebnisse ein willkommener Lichtblick, nachdem in der vergangenen Woche mehrere ausländische Unternehmen Zweifel am Standort Großbritannien geäußert hatten. So drohte der Autobauer Stellantis mit der Schließung eines Werks in Ellesmere Port, sollten Brüssel und London nicht die nach dem Brexit vereinbarten Ursprungsregeln für in Großbritannien gebaute Elektrofahrzeuge ändern. Auch der japanische Hersteller Nissan hat den Produktionsstandort Großbritannien infrage gestellt.
Politisch interessant ist, dass sowohl Premier Sunak als auch Oppositionsführer Keir Starmer darauf drängen, das Handels- und Kooperationsabkommen mit der EU im gegenseitigen Interesse nachzubessern. „Hier zeigt sich ein pragmatischer Annäherungskurs, der sich auch nach einem möglichen Regierungswechsel nach den kommenden Parlamentswahlen nicht ändern dürfte“, vermutet KPMG-Partner Glunz.
Reibungsflächen zwischen London und Brüssel gibt es jedoch auch weiterhin. So ringen die Briten im Moment um den Zuschlag für eine neue Batteriefabrik, die der indische Tata-Konzern in Europa errichten will. Mit im Rennen ist auch noch das EU-Mitglied Spanien. Nach Berichten britischer Medien hat die Regierung in London den Indern Staatshilfen von 500 Millionen Pfund (570 Millionen Euro) in Aussicht gestellt. Tata ist der Mutterkonzern des größten britischen Autobauers Jaguar Land Rover (JLR), der gerade dabei ist, seine Modellpalette auf Elektroantriebe umzustellen.
Verschärft hat sich der Standortwettbewerb mit der EU auch bei der Produktion von Halbleitern. Die britische Regierung kündigte jetzt an, dass sie die Chipentwicklung in Großbritannien mit rund einer Milliarde Pfund in den nächsten zehn Jahren subventionieren will.
„Unsere neue Strategie konzentriert unsere Bemühungen auf die Bereiche, in denen unsere Stärken liegen, wie Forschung und Design“, sagte Sunak. Die oppositionelle Labour-Partei hält das für zu wenig und weist darauf hin, dass die USA ihren Chipstandort mit 52 Milliarden Dollar fördern wollen und dass die EU dafür 43 Milliarden Euro bereitgestellt hat.
Großbritannien lockt mit weniger Regulierung
Der Standort Großbritannien hat durch den Brexit zwar gelitten, seine Anziehungskraft hat er offenbar aber noch nicht verloren: Ein Viertel der von KPMG befragten Unternehmen halten das Wirtschaftsklima auf der Insel für besser als das in der EU beziehungsweise Deutschland – und ebenso viele loben die geringeren Regulierungen durch den Staat. „Biontech hat wegen der geringeren Regulierung einen Teil seiner Forschung nach Großbritannien verlegt“, sagt Glunz. Die Briten würden jetzt ihren Vorteil stärker nutzen, dass sie sich nicht mehr an EU-Recht halten müssten.
Was von den Konservativen in London als „Brexit-Dividende“ gefeiert wird, ist jedoch ein zweischneidiges Schwert. „Sollte der Abstand zwischen Großbritannien und der EU im Umwelt-, Verbraucher- oder Steuerrecht zu groß werden, könnte das zu neuen Reibungen mit Brüssel führen“, warnt BCCG-Chef Schmidt.
Manchmal versprechen die Brexit-Anhänger aber auch einfach mehr, als sie halten können: Kürzlich musste die britische Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch den Zeitplan für die Abschaffung aller alten EU-Regeln auf der Insel wegen Überlastung der Bürokratie auf die lange Bank schieben.
Mehr: Brexit-Regeln werden für europäische Autobauer zum Wettbewerbsnachteil
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