May 30, 2023
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Türkei: Warum Erdogans Wiederwahl die Migrationspolitik der EU retten kann

Written by Ozan Demircan

Istanbul, Brüssel Die Bestätigung von Recep Tayyip Erdogan als türkischer Präsident hat für die EU auch Vorteile. Zwar zeigten sich viele europäische Politiker fassungslos angesichts der Tatsache, dass sich die Türken ein weiteres Mal für den Autokraten entschieden haben. Doch in Migrationsfragen ist er für Brüssel der angenehmere Partner, als es sein Kontrahent Kemal Kilicdaroglu gewesen wäre.

„Es gab immer bessere und schlechtere Zeiten im Verhältnis zwischen der EU und der Türkei. Vielleicht gibt es jetzt die Möglichkeit, zu einer effektiveren Kooperation zu kommen“, sagte die Migrationsexpertin des European Policy Centre, Anastasia Karatzas.

Seit 2016 haben die EU und die Türkei ein Abkommen, wonach die EU Geld in die Türkei überweist, die im Gegenzug Millionen Flüchtlinge im Land daran hindert, in die EU auszureisen.

In der Praxis ignorierte Erdogan Bestimmungen dieses Abkommens zwar häufig. Kilicdaroglu wäre aber wohl deutlich weiter gegangen. Er hatte zuletzt offen gedroht, Syrer aus der Türkei in Richtung Europa zu schicken, wenn die EU und ihre Mitgliedstaaten nicht bei der Rückkehr der Syrer in deren Heimat helfen würden.

„Wenn die Europäische Union diese Mittel nicht bereitstellt, werde ich diese Leute nicht hier behalten“, hatte Kilicdaroglu angekündigt. „Es tut mir leid, aber ich werde die Türen öffnen“, fügte er hinzu. Anschließend hatte er damit gedroht, das Abkommen mit der EU aufzukündigen.

>> Lesen Sie hier: Warum die türkische Opposition auf Rechtsradikale setzte

Darin hatte sich die Türkei verpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen, die illegal über die Türkei in die EU gereist waren. Im Gegenzug versprach die EU damals Fortschritte bei der Visaliberalisierung.

Wäre die Opposition an die Macht gekommen, hätte die EU die Flüchtlingszusammenarbeit mit der Türkei völlig neu bewerten müssen. Anastasia Karatzas, Migrationsexpertin des European Policy Centre

Erdogan hingegen hatte den Ton beim Thema Migration zuletzt bewusst zurückhaltend gesetzt. Die Türkei baue bereits grenzüberschreitend eine Infrastruktur auf, um die freiwillige Rückkehr von Syrern in ihr Heimatland zu erleichtern, sagte Erdogan am Donnerstag vor der Stichwahl. „Darüber hinaus werden mit der Unterstützung Katars die Arbeiten zum Bau von Häusern in Syrien, die eine Million Flüchtlinge aufnehmen können, fortgesetzt.“

Der Präsident sagte, diese Bemühungen sollten einen „humanen, gewissenhaften und islamischen“ Aspekt haben, und betonte, dass die Türkei Syrer nicht „mit Gewalt“ zurückschicken könne.

Ankara bereitet Umsiedlungen vor

Innenminister Süleyman Soylu hatte am Tag zuvor an der Grundsteinlegung für ein Bauprojekt im nordsyrischen Distrikt Jarablus teilgenommen. Dort sagte er, dass in den nächsten Jahren insgesamt 240.000 Häuser an neun verschiedenen Standorten in den nordsyrischen Grenzregionen Idlib und Afrin gebaut würden.

Wenn die Europäische Union diese Mittel nicht bereitstellt, werde ich diese Leute nicht hier behalten. Erdogan-Herausforderer Kemal Kilicdaroglu

Das Projekt werde neben Wohnhäusern auch landwirtschaftliche Grundstücke, Gewerbeanlagen, Produktions- und Industriegebiete sowie die gesamte soziale Ausstattung vom Bildungswesen bis zum Gesundheitswesen umfassen, erklärte Soylu.

„Es gibt viel Zweifel daran, ob die Umsiedlung nach Syrien eine haltbare Lösung ist“, sagt Migrationsexpertin Karatzas. „Umso mehr wird die EU gefragt sein, wenn es darum geht, bessere Angebote zu machen.“ Darin lägen neue Chancen für die Zusammenarbeit zwischen Brüssel und Ankara. „Wäre die Opposition an die Macht gekommen, hätte die EU die Flüchtlingszusammenarbeit mit der Türkei völlig neu bewerten müssen.“

Annäherung an Assad

Indes sucht die Türkei wieder den Kontakt zum Regime von Staatschef Baschar al-Assad in Damaskus, um syrische Flüchtlinge aus der Türkei nicht nur in sichere Zonen, sondern auch in vom Regime kontrollierte Städte zurückzuführen, wie Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte.

Logo des Europäischen Parlaments

Der Wahlsieg Erdogans erleichtert die Migrationspolitik der EU.

(Foto: imago images/Michael Kneffel)

„Wir müssen die Syrer in die Städte zurückschicken, aus denen sie kommen. Wir haben Gespräche mit dem Regime aufgenommen und einen Konsens erzielt, um den Grundstein dafür zu legen“, sagte Cavusoglu.

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Bisher seien über eine halbe Million Syrer in ihre Heimat zurückgeschickt worden, aber das reiche nicht aus, bemerkte der türkische Diplomat und fügte hinzu, dass beide Seiten an einem Fahrplan für den Aufbau der notwendigen Infrastruktur arbeiteten. „Wir sind entschlossen, die Syrer zurückzuschicken, aber wir müssen dies auf ehrenhafte Weise tun.“

Spanische Wahl erschwert Konsens in Brüssel

Im syrischen Bürgerkrieg hatte Ankara Oppositionskämpfer unterstützt, die das Regime von Assad stürzen wollten. Millionen Menschen flohen wegen des Krieges über die Grenze; nach Angaben des Innenministeriums leben rund 3,3 Millionen Menschen aus Syrien auch zwölf Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs immer noch in der Türkei.

Neue Heimat

3,3

Millionen

Menschen aus Syrien leben auch zwölf Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs immer noch in der Türkei.

Eine Niederlage Erdogans hätte wohl bedeutet, dass die Türkei die Rückführung von syrischen Flüchtlingen deutlich aggressiver angeht. Vielen von ihnen droht dort Verfolgung durch das Regime. Darum wäre es nicht unwahrscheinlich gewesen, dass die Syrer in großer Zahl Richtung EU aufgebrochen wären.

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Die Debatten in Brüssel über eine abgestimmte Asylpolitik der EU-Staaten wären dann weiter erschwert worden. Dabei geht es darum, wie die Ankunftsländer mit Flüchtlingen umgehen sollen, wie Asylverfahren beschleunigt werden können, ob die EU Grenzzäune finanzieren darf, wie aufgenommene Asylbewerber auf die EU-Staaten verteilt werden und vieles mehr.

Hoffnungen lagen dabei auf der spanischen Regierung, die ab Juli für sechs Monate die Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union übernimmt und in dieser Rolle Kompromisse hätte ausloten sollen.

Nach den für seine Partei schlecht ausgegangenen Regionalwahlen am Wochenende setzte der spanische Premier Pedro Sánchez nun aber Neuwahlen für den 23. Juli an. Damit dürfte die Schlagkraft der Spanier in Brüssel deutlich sinken.

Denn für Sanchez wird die Präsidentschaft in der heißen Wahlkampfphase kaum die größte Rolle spielen. Und eine neue Regierung braucht erfahrungsgemäß etwas Zeit, bis sie auf der EU-Bühne ihre eigenen Akzente setzen kann.

Mehr: Erdogan gewinnt und droht – Der Westen muss endlich lernen, mit Autokraten umzugehen



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