New York, Washington Kochlöffel, Shorts und Hemden in Regenbogenfarben – die amerikanische Kaufhauskette Target feiert im Juni „Pride Month“, in dem die LGBTQIA-Community ihre Rechte und Freiheiten einfordert und zelebriert. Target geht dabei weiter als andere Unternehmen. Neben den bunten Designs gibt es auch Tassen mit dem Aufdruck „Ask me about my Pronouns“ – frag mich nach meinen Pronomen. Oder Glückwunschkarten an die „Chosen Family“, also die Wahlfamilie abseits einer klassischen Vater-Mutter-Kind-Konstellation.
Zum Feiern ist dem Konzern allerdings nicht mehr zumute. Target verlor zuletzt rund zehn Milliarden US-Dollar an Börsenwert, direkt nachdem seine „Pride“-Produktreihe eine Kontroverse in den sozialen Medien losgetreten hatte.
Der siebtgrößte Einzelhändler der USA geriet damit mitten in den amerikanischen Kulturkampf um Geschlechterrollen. Der Streit über die Rechte von Transmenschen bekommt durch den Vorwahlkampf der Republikaner um die US-Präsidentschaft besonders viel Aufmerksamkeit.
Die republikanische Präsidentschaftsbewerberin Nikki Haley forderte, dass Transathletinnen nicht am Frauen- und Mädchensport teilnehmen sollten. Ex-Präsident Donald Trump brandmarkte geschlechtsangleichende Operationen für Minderjährige als „sexuelle Verstümmelung von Kindern“ und kündigte an, die OPs aus dem Weißen Haus heraus verbieten lassen zu wollen.
„Der linke Gender-Wahnsinn ist ein Akt des Kindesmissbrauchs, er muss sofort aufhören“, sagte er. Der Präsidentschaftsbewerber Vivik Ramaswamy warf Target gar vor, die Kette habe ihren Stammkunden „ins Gesicht gespuckt“.
Target zieht Pride-Produkte teilweise zurück
Für einige US-Unternehmen wird es immer schwieriger, in der aufgeheizten Gemengelage zu navigieren. Target zog Teile seiner „Pride“-Kollektion schließlich zurück. Betroffen waren Produkte des Transdesigners Erik Carnell. Ihm wurde in den sozialen Medien vorgeworfen, ein Satanist zu sein, weil er ein Amulett mit einem Ziegenkopf entworfen hatte, auf dem steht: „Satan respektiert Pronomen.” Diese Amulette gibt es zwar nicht bei Target zu kaufen, aber konservative Medien und Blogger liefen Sturm gegen Target und warfen dem Unternehmen vor, mit einem satanistischen Partner zusammenzuarbeiten.
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Einige Filialen hätten „Drohungen erhalten, die das Sicherheitsgefühl unserer Mitglieder und ihr Wohlergehen bei der Arbeit beeinträchtigen“, hieß es seitens des Konzerns.
In sozialen Medien wird weiter zum Boykott aufgerufen, weil es viele Pride-Produkte auch in den Kinderabteilungen zu kaufen gibt. Im Sortiment sind Bücher für Kinder von zwei bis acht Jahren mit Titeln wie „Bye Bye, Binary“, „Pride 1,2,3“, „I’m not a girl“ und „Be proud and loud“. Kinder-Shirts tragen Aufschriften wie „Trans people will always exist“ und „Girls Gays Theys“ – Letzteres eine Anspielung auf das im Englischen genutzte Nonbinär-Pronom „they“.
Besonders viel Aufruhr gab es wegen eines angeblich „tuck-friendly“, also „versteckfreundlichen“ Badeanzugs für Kinder, der zusätzlichen Stoff im Schrittbereich bietet. Dadurch könnten Transmädchen, die sich keiner geschlechtsangleichenden Operation unterzogen haben, ihren Intimbereich verbergen.
In Wirklichkeit, stellten US-Medien wie AP klar, war der Badeanzug für Erwachsene und nicht für Kinder – doch das Gerücht verbreitete sich rasant. Der Rap „Why Is #Target Targeting Our Kids?“ bekam Zehntausende Likes auf Twitter und eroberte die iTunes-Charts.
Der Aktienkurs von Target fiel in den vergangenen zwei Wochen um mehr als 14 Prozent. Das lag zunächst vor allem an den eher enttäuschenden Quartalszahlen, Target konnte seinen Umsatz anders als etwa Walmart im ersten Quartal kaum steigern. Doch obendrauf kamen die Proteste gegen die Pride-Kollektion und das Zurückrudern des Unternehmens.
Nach Ansicht des Analysten Greg Melich von Evercore ISI habe das dem Konzern zusätzlich geschadet. „Es ist schwierig, den Umsatz zu steigern, wenn ein signifikanter Teil der Kundenbasis entschieden hat, nicht zurückzukommen“, sagt er. Jene Kunden, die die Produkte attraktiv fänden, seien „nicht in der Lage, diesen Verlust auszugleichen“.
Der Konzern zog einen Teil der Waren nach der Kritik zurück.
(Foto: AP)
Dennoch glaubt der Analyst nicht, dass es Target so schlimm treffen wird wie den Bierkonzern Anheuser Busch, dessen Aktienkurs im April 18 Prozent an Wert verlor. Die Biermarke Bud Light hatte die Trans-Influencerin Dylan Mulvaney in einem Video gesponsert und damit den Zorn vieler Amerikaner auf sich gezogen.
Die Bierumsätze gingen zurück, und das Unternehmen stellte sich im Anschluss nicht klar hinter die Community. „Wir wollten nie Teil einer Diskussion sein, die die Menschen spaltet“, sagte CEO Brendan Whitworth. „Unser Geschäft besteht darin, Menschen über ein Bier zusammenzubringen.“
US-Präsident Biden: „Skrupellose Angriffe“
Laut Pew Research identifizieren sich 1,6 Prozent der Erwachsenen in den USA als trans oder nicht binär, also weder als Mann noch als Frau. Bei jungen Erwachsenen unter 30 Jahren ist der Anteil fünf Prozent.
Gleichzeitig sind Transmenschen in den sozialen Medien, in der Popkultur und in Marketingkampagnen zunehmend sichtbar – und werden von einigen US-Republikanern als Feindbild betrachtet. „Die Rechte von LGBTQIA-Amerikanern sind unerbittlichen Angriffen ausgesetzt“, sagte US-Präsident Joe Biden vergangene Woche. „Diese skrupellosen Angriffe haben unzählige LGBTQIA-Familien in Angst und Schmerz versetzt.“
Die Biden-Regierung stellt sich immer wieder demonstrativ an die Seite von Transmenschen.
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
Damit meinte er nicht nur Gewalttaten gegen Transmenschen, die in den vergangenen Jahren zugenommen haben. Sondern auch die Fülle an politischen Initiativen in republikanisch regierten US-Bundesstaaten, wo Dutzende Anti-Trans-Gesetze auf den Weg gebracht wurden, geschlechtsangleichende Operationen unter 18 sind in mindestens vier Staaten verboten. In Texas sollen demnächst Pubertätsblocker und Hormonbehandlungen für Transkinder unter Strafe gestellt werden.
„Die Linken wollen uns erzählen, dass Männer schwanger werden können. Dass Menschen rassistisch geboren werden. Sie wollen unsere Werte angreifen, aber wir sind stärker“, rief Ron DeSantis, Gouverneur von Florida und Präsidentschaftsbewerber, bei einem Wahlkampfauftritt.
Der Bewerber um die republikanische Präsidentschaftskandidatur macht bereits in seiner Rolle als Gouverneur von Florida Stimmung gegen die queere Community.
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
Auch der Feldzug von DeSantis gegen den Disney-Konzern steht für den Kulturkampf um Transrechte, der Gesellschaft und Politik spaltet. 2021 hatte Disney ein umstrittenes Gesetz in Florida scharf kritisiert, das Schulunterricht über sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität einschränkt. DeSantis zog daraufhin gegen Disney zu Felde und wurde inzwischen von dem Konzern verklagt.
Republikaner kritisieren „Wokeness“
Ähnlich wie der Präsidentschaftsbewerber Ramaswamy, der mit seinem Buch „Woke Inc.“ einen Bestseller landete, prangert DeSantis sozial orientierte Investments an, in der Geschäftssprache Umwelt-, Sozial- und Governance-Investitionen (ESG) genannt. „Wokeness“, sagte Ramaswamy im Zusammenhang mit der Kontroverse um Target, sei „auf lange Sicht schlecht für Unternehmen und die Gesellschaft insgesamt“. Politische Positionen, argumentiert er, hätten in der Geschäftswelt nichts zu suchen.
Er und andere Republikaner werfen US-Unternehmen vor, dass diese nur deshalb an LGBTQIA-Verbände spendeten, um im sogenannten Corporate Equality Index (CEI) nach oben zu rücken – und damit wiederum ESG-Investoren anzulocken. Der Index wird von der Human Rights Campaign, der größten politischen Lobbygruppe für queere Rechte, erstellt. Laut „Forbes“ stehen Walmart und Target regelmäßig oben im Ranking.
Der Begriff „woke“ steht im Englischen sinngemäß dafür, dass sich Menschen Vorurteilen wie Rassismus oder Sexismus bewusst sind. Im öffentlichen Diskurs wird „Wokeness“ inzwischen in manchen Kreisen als Schimpfwort benutzt. Linke und progressive Akteure, so Kritiker, würden es mit Bemühungen um Toleranz und Antidiskriminierung übertreiben und der gesamten Gesellschaft ihre Weltsicht aufzwingen.
Laut dem Meinungsforschungsinstitut Pew Research ist die Stimmungslage in der Bevölkerung nicht eindeutig pro- oder antitrans. Die allermeisten US-Amerikaner, etwa acht von zehn, sprachen sich in einer umfangreichen Studie für den Schutz von Transmenschen vor Diskriminierung aus.
Gleichzeitig sagten aber 60 Prozent der Befragten, dass das Geschlecht einer Person das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht sei – das sind sechs Prozent mehr als bei einer Befragung 2017. Auch lehnt eine überwiegende Mehrheit der US-Amerikaner geschlechtsangleichende OPs für Minderjährige ab.
Ganz anders die Haltung unter jungen Menschen: Die Hälfte der unter 30-Jährigen findet, dass sich jeder mit dem Geschlecht der Wahl identifizieren sollte. Pew Research stellte eine „Ambivalenz der Öffentlichkeit“ im Umgang mit Transmenschen fest, die stark zwischen Altersgruppen, politischer Orientierung und ethnischer Zugehörigkeit variiere. Die Debatte um Rechte von Transmenschen ist längst nicht abgeschlossen – und die US-Konzerne stehen mittendrin.
Mehr: „Wir wollen nicht wie Deutschland enden“ – DeSantis“ holpriger Wahlkampfstart
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