London Die jüngsten Fortschritte bei der Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) haben nicht nur ein technologisches Wettrennen zwischen Unternehmen und Nationen ausgelöst. Zugleich wetteifern Regierungen darum, wer die globalen Spielregeln für die neue Technologie bestimmen soll. Großbritannien sieht sich nach dem Brexit dabei in einer guten Ausgangslage zwischen den weitreichenden Regulierungsvorstellungen in der EU einerseits und der „Laissez-faire“-Haltung in den USA andererseits.
Der britische Premierminister Rishi Sunak will deshalb seinen Besuch in Washington diese Woche auch dazu nutzen, um US-Präsident Joe Biden für seine Ideen einer globalen KI-Regulierung zu gewinnen, die, so hoffen die Briten, von London aus gesteuert werden könnte. Das wurde vor Sunaks Abreise nach Washington aus Regierungskreisen in London bekannt.
Im Kern der britischen Überlegungen stehen zwei Ideen, die bereits in der Technologiebranche diskutiert werden: So könnte es nach dem Vorbild des Kernforschungszentrums Cern in Genf eine gemeinsame Spitzenforschung für Künstliche Intelligenz in einer „kontrollierten Umgebung“ geben. Parallel und möglicherweise komplementär hat der amerikanische Technologiemanager Sam Altman die Idee einer internationalen Überwachungsbehörde für KI nach dem Vorbild der Internationalen Atomenergieagentur IAEA ins Spiel gebracht.
Altman ist der Chef von OpenAI, jenem Unternehmen, das den Chatbot ChatGPT entwickelt hat. Zusammen mit seinen Kollegen des amerikanischen KI-Entwicklers Anthropic und der Google-Tochter Deepmind hatte er sich kürzlich in London mit Sunak über die Gefahren der neuen Technologien beraten. Die drei Tech-Manager hatten zuvor in einem öffentlichen Aufruf gemeinsam mit anderen Industrievertretern vor den Risiken einer unkontrollierten Entwicklung der KI gewarnt. Dazu zählen unter anderem die Verbreitung von Falschinformationen und die Verdrängung menschlicher Arbeitskraft durch intelligente Maschinen.
KI soll eine zentrale Rolle auf dem Weg zur „Innovation Nation“ spielen
Die Initiative Sunaks stellt jedoch einen Sinneswandel innerhalb der britischen Regierung dar. Noch im April hatte Finanzminister Jeremy Hunt die Risiken von KI heruntergespielt und versprochen, Großbritannien werde seine führende Stellung im Technologiewettrennen nicht durch „protektionistische Barrieren“ gefährden. Damit stand er scheinbar im Einklang mit seinem technologiebegeisterten und an der Eliteuni Stanford ausgebildeten Premier, der das Königreich auch dank der „Brexit-Freiheiten“ in eine „Innovation Nation“ verwandeln will. KI soll dabei eine zentrale Rolle spielen. Im April hatte die britische Regierung 100 Millionen Pfund (116 Millionen Euro) bereitgestellt, um die Einführung der Technologie zu beschleunigen.
Gleichzeitig stellte das Alan Turing Institute eine neue KI-Strategie vor, die sich vor allem auf den Einsatz der intelligenten Maschinen im Gesundheitswesen, dem Umweltschutz und der nationalen Sicherheit konzentriert. „Wir wollen die Revolution in der Datenwissenschaft und der KI nutzen und ihre Energie auf die Lösung einiger der größten Herausforderungen unserer Gesellschaft lenken“, sagte Turing-Direktor Adrian Smith.
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Beim Treffen der sieben führenden Industrienationen (G7) in Japan schlug Sunak dann jedoch neue Töne an und beharrte darauf, dass die Vorteile von KI nur erreicht werden könnten, wenn zugleich „Schutzvorschriften“ eingehalten würden. Offenbar hat man in London erkannt, dass man im Standortwettbewerb um die neuen Technologien nur dann mithalten kann, wenn man den Tech-Pionieren auch ein Regelwerk an die Hand gibt.
Entschieden ist das Ringen um die Regulierung der Technologiebranche in Großbritannien aber noch nicht. Zwar soll die britische Wettbewerbsbehörde Competition and Market Authority (CMA) mehr Befugnisse erhalten und hat kürzlich die Übernahme des Videospielherstellers Activision Blizzard durch Microsoft blockiert. Dagegen regt sich innerhalb der regierenden Konservativen jedoch ebenso Widerstand wie gegen die geplante „Online Safety Bill“, die eine bessere Handhabe gegen illegale Inhalte im Internet bieten soll.
Großbritannien steht vor einem ähnlichen Dilemma wie die EU: Einerseits will man den Standort für internationale Tech-Firmen möglichst attraktiv halten, andererseits gibt es nicht nur gesellschaftspolitisch, sondern auch immer mehr von den Unternehmen selbst ein Bedürfnis nach klaren regulatorischen Leitplanken für den technischen Fortschritt.
OECD startet neue Technologie-Plattform
So hat der amerikanische KI-Entwickler Anthropic kürzlich London als Standort in Europa gewählt. OpenAI-Chef Altman hat das von der EU geplante Regelwerk für KI als eine „Überregulierung“ kritisiert, Andeutungen, seine Firma könnte deshalb die EU verlassen, zog er jedoch wieder zurück. Dennoch zeigt sich auch hier, wie Unternehmen und Regierungen durch das Technologiewettrennen und den Wettbewerb um dessen Regulierung hin- und hergerissen werden.
Am Dienstag treffen sich in Paris westliche Technologie- und Forschungsminister, um im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine gemeinsame Linie für die Entwicklung der wohl wichtigsten Technologie der nächsten Jahre zu finden. Die OECD will dafür ein neues „Globales Forum on Technology“ gründen. Nicht mit am Tisch sitzt allerdings China – eine der führenden Nationen bei der Entwicklung und Nutzung von KI.
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