Salvador Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat ihrer ersten Reise nach Lateinamerika eine emotionale Grußbotschaft vorweggeschickt: „Selbst ein ganzer Ozean kann uns nicht trennen, denn Lateinamerika und Europa sind natürliche Partner“, ließ sie vorab in Brasilien, ihrer ersten Station, verbreiten.
„Ohne Lateinamerika werden wir die Klimakrise nicht aufhalten können“, richtete sie aus. Und sie schickt auch gleich eine Mahnung mit: „Im Amazonasgebiet geht jede Minute eine Fläche des Regenwaldes, die drei Fußballfeldern entspricht, in Flammen auf oder wird durch Kettensägen abgeholzt. Das geht uns alle an.“
Die Reise der grünen Außenministerin von Montag bis Mittwoch kommt für den brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Denn in den vergangenen Tagen hat sich gezeigt: Der seit Anfang des Jahres regierende Lula wird es weitaus schwieriger haben, seine Umweltagenda umzusetzen als angekündigt.
Denn der mit einer konservativen Mehrheit besetzte Kongress wird alles daransetzen, die geplante Umweltpolitik der Regierung zu blockieren. Und auch in der Links-Mitte-Koalition Lulas herrscht kein Konsens über Klimaschutzmaßnahmen.
Fabio Alperowitch, Nachhaltigkeitsexperte und Partner beim Investmentfonds Fama Investimentos, sagt: „Die Entscheidungen der letzten Tage beschädigen das Image des Umweltschützers, welches die Regierung aufbauen will.“
Lula will Brasilien wieder zu einer Nation machen, die sich aktiv für die Klimapolitik engagiert. Unter dem Vorgänger Jair Bolsonaro war das Land wegen dessen desaströser Umwelt- und Amazonaspolitik international scharf kritisiert worden.
Die Vereinten Nationen erkennen Lulas Bemühungen an, 2025 soll die 30. UN-Klimakonferenz in der brasilianischen Amazonasstadt Belém stattfinden. Bolsonaro hatte die 2019 in Brasilien geplante Klimakonferenz kurzerhand abgesagt.
Kongress blockiert Lulas Umweltpolitik
Doch nun hat der Kongress gerade die Anerkennung von Indigenenreservaten beschränkt – zugunsten der Agrar- und Bergbaulobby. Farmer und Rohstoffkonzerne wollen die Reservate der Indigenen gern bewirtschaften. Mit dem Gesetz wäre es für sie künftig leichter, Ansprüche auf Gebiete in Reservaten durchzusetzen.
Für die Politikbeobachter der Denkfabrik Eurasia ist nun klar: „Der Kongress wird eines der größten Hindernisse für Lulas Umweltagenda sein.“
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Dazu passt, dass die Abgeordneten gerade der Ministerin für indigene Völker, Sônia Guajajara, das Recht entzogen haben, Reservate zu demarkieren, also indigene Territorien abzugrenzen.
Auch hat der Kongress der Umweltministerin Marina Silva die Kontrolle über die nationale Wasserbehörde und das Katasteramt für die Landwirtschaft weggenommen. Zudem sollen Abholzungen im Atlantikregenwald künftig einfacher möglich sein.
Zwei Drittel der Abgeordneten aus Lulas Arbeiterpartei haben dieser Vorlage zugestimmt. Das zeigt, wie schwer Lula es hat, seine eigene Regierung bei Umweltthemen zusammenzuhalten.
Ein weiteres Beispiel ist die Debatte um Probebohrungen des staatlichen Ölkonzerns Petrobras im Amazonasdelta. Die Umweltbehörde Ibama hat der Bohrung keine Genehmigung erteilt. In der Region werden große Ölvorkommen vermutet. Politiker in den Amazonasstaaten hoffen auf Steuereinnahmen, Petrobras auf neue Reserven.
Präsident Lula stellt sich hier gegen den Umweltschutz: Er will den Ölkonzern wieder zum zentralen Instrument einer staatlichen Industriepolitik machen und hat angewiesen, dass der Behörde weitere Gutachten vorgelegt werden sollten. Seine Ministerin Marina Silva dagegen steht hinter der Entscheidung ihrer Behörde.
Umweltschutz hat auch bei Lula nicht die höchste Priorität
Der Interessenkonflikt erinnert an denjenigen, der schon in Lulas vorherigen Regierungen zum Zwist und schließlich Rücktritt der Ministerin geführt hat: 2006 verließ sie die Regierung Lula, weil der Präsident an der Errichtung des Wasserkraftwerks Belo Monte im Amazonas festgehalten hatte.
Im Nachhinein erwies sich Marina Silvas Kritik als berechtigt: Das Kraftwerk produziert bis heute weniger Strom als prognostiziert, verursacht große Umweltschäden und ist zudem tief in den Korruptionsskandal der Regierung Lula verwickelt.
Auch wenn Lula der Umwelt einen höheren Stellenwert zugesteht als sein Vorgänger, zeigt er immer wieder, dass bei ihm Umwelt nicht die oberste Priorität hat.
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Für den ehemaligen Arbeiterführer ist wirtschaftliches Wachstum wichtiger. So will er jetzt ein Subventionsprogramm starten, damit sich die Mittelschicht eigene Autos kaufen kann – das hilft weder den Armen Brasiliens noch der Klimabilanz des Landes. Doch Lula hofft auf Jobs und Einkommen in der Autoindustrie.
Die politischen Konflikte bei Umweltthemen schaden Lulas Ansehen vor allem in Europa. Dort wird genau beobachtet, wie er in der Umweltpolitik agiert. Die EU und vor allem Deutschland unterstützen Brasilien seit Lulas Antritt beim Umwelt- und Amazonasschutz finanziell – und wollen Ergebnisse sehen.
Baerbock mahnt den Schutz des Regenwaldes an
Die EU hat gerade den Import von Rohstoffen aus Abholzungsgebieten des Regenwaldes untersagt. Grüne und Umweltschützer in Europa wollen zudem in Handelsabkommen Sanktionsmöglichkeiten einbauen, wenn Umweltziele nicht erreicht werden.
Auch Baerbock mahnt, dass das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten nachhaltig gestaltet und den Regenwald wirksam schützen müsse, „mit Regeln und Anreizen“. Raul do Valle, Direktor für öffentliche Politik beim WWF-Brasilien, warnt: „Wir gefährden den Abschluss des Freihandelsabkommens mit der Europäischen Union.“
Die Politberater bei Eurasia sehen wenig Grund zur Sorge. Lula werde seine Wahlkampfversprechen kaum zurücknehmen. Die Umweltagenda sei in mehreren Ministerien – Industrie- und Handel, Finanz und Planung – bis zu den staatlichen Förderbanken als Priorität aufgenommen worden. „Daran wird Lula kaum etwas ändern“, urteilen die Analysten.
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